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Ausstieg mit Hindernissen

Japan soll nach den Vorstellungen von Ministerpräsident Naoto Kan künftig umfangreichere Investitionen in erneuerbare Energieträger tätigen und allmählich seine Abhängigkeit von der Atomkraft reduzieren. Als Reaktion auf die nach der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe laut gewordenen Bedenken forderte Kan neuerlich, die Fördermaßnahmen für den privaten Atomsektor auf den Prüfstand zu stellen.

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„Wir streben nach einer Gesellschaft, die nicht auf die Atomenergie angewiesen ist“, erklärte Kan am Samstag. „Es ist sehr wichtig, dass wir eine fruchtbare Diskussion über dieses Thema führen.“ Nach Kans Plänen soll die Abhängigkeit von der Atomenergie bis 2050 „nachhaltig und allmählich“ heruntergefahren werden. Der Regierungschef kündigte bereits an, er beabsichtige zurückzutreten, sobald er Japan wieder auf einen guten Weg gebracht habe. Zugleich ist seine Regierung tief gespalten darüber, wie sie mit dem Thema Atomenergie umgehen soll.

Widerstand im eigenen Kabinett

Erst kürzlich hatte der Ministerpräsident gesagt, dass er im Lichte der Ereignisse von Fukushima einen vollständigen Ausstieg aus der Atomenergie sehen wolle. Gegen diese Haltung verwahrten sich allerdings Mitglieder seines Kabinetts, die Opposition kritisierte ihn als unverantwortlich. Kan stellte später klar, dass seine Äußerungen nur seine „persönliche Meinung“ widergespiegelt hätten.

Der nun verkündete Plan hat die grundlegende Unterstützung seiner Partei. Das war aber nicht immer so. Das an natürlichen Ressourcen arme Land hat lange Zeit eine aggressive Atompolitik verfolgt. Vor der Katastrophe im März gewann Japan rund ein Drittel seines Stroms aus Atomenergie und hatte es sich zum Ziel gesetzt, diesen Anteil bis 2030 auf etwa 50 Prozent zu erhöhen.

„Hoffnung für die ferne Zukunft“

Steht dem Land damit eine Kehrtwende in der Energiepolitik bevor? Wohl kaum. Denn für Regierungssprecher Yukio Edano ist die in Aussicht gestellte Abkehr von der Kernkraft nicht die offizielle Regierungslinie. Eine Gesellschaft ohne Atomkraft sei lediglich eine „Hoffnung für die ferne Zukunft“, zitierte ihn die Nachrichtenagentur Kyodo.

Widerstand kommt auch aus der Wirtschaft. Es mangele an alternativen Energiequellen, ein Ausstieg aus der Atomkraft könne sich negativ auf die kränkelnde japanische Wirtschaft auswirken, sagte der Chef des japanischen Wirtschaftsverbands, Hiromasa Yonekura. Zudem gehörten Japans Energieversorger bis zur Erdbebenkatastrophe zu den profitabelsten Unternehmen des Landes. Gewerkschafter sorgen sich jetzt um Arbeitsplätze im Energiesektor. Bis jetzt haben die Energiegewerkschaften Kans Regierung unterstützt. Das könne sich nun ändern, sagte der Analyst Minoru Morita.

Man müsste Atomkraftwerke verstaatlichen

Eine Neuaufstellung der Energiepolitik sei alles andere als einfach, sagte Morita. Unter anderem gebe es kein Gesetz über das Abschalten von Atomkraftwerken. Die Energieversorger, die eine zentrale Rolle im Wiederaufbau nach 1945 spielten, haben großen regionalen und politischen Einfluss. „Der Ausstieg wäre möglich, wenn die Atomkraftwerke verstaatlicht würden“, erklärte Morita.

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