Rätseln über sein Schicksal
Alois Brunner (99), der wichtigste unter den Nazi-Verbrechern, die noch am Leben sein könnten, soll nach Informationen des Nachrichtenmagazins „profil“ 1989 kurz vor der Auslieferung an die DDR gestanden sein. Das sei jedoch durch den Fall der Berliner Mauer verhindert worden.
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Der Österreicher galt als „rechte Hand“ Adolf Eichmanns. Als „Ingenieur der Endlösung“ soll der SS-Hauptsturmführer für die Ermordung von etwa 130.000 Juden aus mehreren Ländern die Verantwortung tragen. 1954 war er nach Syrien geflüchtet, wo er 2001 zum letzten Mal gesehen wurde.
Bisher unbekannte Stasi-Akten
In seiner am Montag erscheinenden Ausgabe beruft sich „profil“ auf bisher unveröffentlichte Stasi-Akten, die demnach nahelegen, dass es Ende der 1980er-Jahre Verhandlungen zwischen der DDR und Syrien über eine Auslieferung Brunners nach Ostberlin gab, wo der NS-Kriegsverbrecher umgehend verhaftet werden sollte. Die Initiative dazu war von den Nazi-Jägern Beate und Serge Klarsfeld ausgegangen. „Wir haben der DDR vorgeschlagen, dass man Brunner in Damaskus festnimmt und nach Berlin-Schönefeld ausfliegt“, so Beate Klarsfeld gegenüber „profil“. Sie fügte hinzu: „Wir haben uns von denen aber nie vereinnahmen lassen.“
Das französisch-deutsche Ehepaar hat sich bei der Aufspürung von Nazi-Verbrechern einen Namen gemacht. 1968 hatte Beate Klarsfeld den damaligen deutschen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) geohrfeigt, um auf dessen einstige NSDAP-Mitgliedschaft hinzuweisen. Österreich warf sie wiederholt vor, ein Zufluchtsort für NS-Verbrecher zu sein.
Späte Aktivität
Erst unter der früheren SPÖ-Justizministerin Maria Berger war im Juli 2007 entschieden worden, eine staatliche Prämie in Höhe von 50.000 Euro für zweckdienliche Hinweise zur Ergreifung von Alois Brunner auszuschreiben.
„Wird davon ausgegangen“
Die Gespräche zwischen Ostberlin und Damaskus dürften bereits weit gediehen gewesen sein: „Es wird davon ausgegangen, dass Brunner, Alois, möglicherweise von der SAR (Syrische Arabische Republik) in die DDR abgeschoben wird“, heißt es in einem „profil“ vorliegenden Aktenvermerk der DDR-Staatssicherheit aus dem Jahr 1988. Ein Jahr später, im April 1989, wurde auch die oberste Führung der DDR informiert: „Genosse Erich Honecker (Staats- und Parteichef) hat festgelegt, dass der Generalstaatsanwalt der DDR die erforderlichen Maßnahmen zur Vorbereitung der Strafverfolgung Brunners für den Fall seines Eintreffens in der DDR einleitet“, notierte DDR-Außenminister Oskar Fischer. Dem kam schließlich aber der Fall der Berliner Mauer zuvor. Die Kontakte um die Auslieferung Brunners rissen dann ab.
Es ist völlig unklar, ob Brunner überhaupt noch lebt - und wenn ja, wo. Ende 2005 berichtete die israelische Tageszeitung „Haaretz“ unter Berufung auf brasilianische Behörden dagegen, Brunner lebe unter falschem Namen seit 1999 in Brasilien. Im März 2009 zeigte sich das Simon Wiesenthal Center allerdings überzeugt, dass die Chance, dass Brunner noch am Leben sei, „sehr gering“ ist.
Noch Ende der 80er Jahre hatte sich Brunner in mehreren Interviews als offener Antisemit und ohne Reue gezeigt. Der „Chicago Sun-Times“ sagte er 1987, er würde „alles noch einmal so machen“. Die im Weltkrieg umgebrachten Juden hätten ihr Schicksal „verdient“.
In Abwesenheit verurteilt
Anfang März 2011 war Brunner in Abwesenheit wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Paris zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Bei dem Prozess ging es um die von Brunner 1944 angeordnete Deportation jüdischer Waisen in die NS-Vernichtungslager Auschwitz und Bergen-Belsen. In dem halbtägigen Prozess hatte Generalstaatsanwalt Philippe Bilger den Strafantrag nach der Verlesung der langen Anklageschrift nur kurz begründet. Aus den 50 Bände umfassenden Akten „trieft der Tod, und Not durchtränkt jedes Blatt“. Verlesen worden waren zuvor die Namen und Geburtsdaten von 345 deportierten jüdischen Waisen. 284 von ihnen wurden in Auschwitz ermordet.
Der ehemalige SS-Hauptsturmführer war schon 1954 von Gerichten in Marseille und Paris in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Der neue Prozess in Paris behandelte damals nicht berücksichtigte Taten.
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