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Frage nach der Überlebensfähigkeit

Millionen Südsudanesen haben am Samstag gemeinsam mit afrikanischen Staats- und Regierungschefs und Vertretern aus dem Ausland die Gründung des jüngsten Staates der Welt begleitet. Es ist eine Staatsgründung, die vielen noch vor einigen Monaten unwahrscheinlich erschien. Viele fragen sich jetzt, wie überlebensfähig der neue Staat ist.

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Das zwar ölreiche aber arme Land wird sich in eine wenig beneidenswerte Liste von Staaten wie Afghanistan und Somalia einreihen, die im Sozial- und Gesundheitswesen weltweit am unteren Ende rangieren. „Der Südsudan hat die höchste Müttersterblichkeitsrate der Welt“, sagt der Arzt Alexander Dimiti vom Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen. Doch das Gesundheitswesen ist nur einer von vielen Bereichen, bei denen der Südsudan vor enormen Herausforderungen steht: Politiker und Sicherheitskräfte müssen Verantwortung übernehmen, Schulwesen und Infrastruktur müssen aufgebaut werden.

Offiziell wurde die Teilung vom Norden am Samstagvormittag vollzogen. Die Erklärung wurde von Parlamentspräsident James Wanni Igga in der Hauptstadt Juba verlesen. Der Präsident des neu ausgerufenen Staates Südsudan, Salva Kiir, legte seinen Amtseid ab. Er setzte seine Unterschrift unter die Übergangsverfassung und erklärte, er werde „dem Wohlergehen des südsudanesischen Volkes“ dienen. Doch schon um Mitternacht (Ortszeit) hatten Kirchenglocken den historischen Tag eingeläutet und Trommelrhythmen den 54. Staat Afrikas begrüßt.

Grafik zum Südsudan mit Ländereckdaten

APA

Hunderttausende Rückkehrer

„Wir haben enorme Erwartungen, aber auch riesige Herausforderungen zu bewältigen“, sagt der Leiter des UNO-Entwicklungsprogramms im Südsudan, Joe Feeney. Das entwicklungspolitische Netzwerk „Jugend Eine Welt“ verweist auch auf Hunderttausende Südsudanesen, die aus dem Norden zurückgekehrt sind und sich nun dort eine neue Existenz aufbauen müssen.

Doch auf politischer Ebene soll die Freude über den neuen Staat alle Sorgen überdecken. „Es ist etwas, worauf die Menschen seit Jahren gewartet haben“, sagt Regierungssprecher Mangar Gordon Marial. Auf dem Programm am Mausoleum des verstorbenen Rebellenführers John Garang in Juba stehen Militärparaden, traditionelle Tänze, das Hissen der südsudanesischen Flagge und das Unterzeichnen der vorläufigen Verfassung.

Zwischen 1955 und 2005 führten die Rebellen aus dem Süden zwei Kriege um ihre Unabhängigkeit gegen den Norden. Der Konflikt verwüstete das Land, kostete Millionen Menschen das Leben und führte zu einem tiefen beiderseitigen Misstrauen.

Der Streit zwischen Norden und Süden

Das Verhältnis von Nord- und Südsudan ist ein jahrzehntealtes Streitthema. 1947 legte man auf der Juba-Konferenz fest, dass der Südsudan unter nordsudanesischer Führung bleiben solle. Vertreter des Südens waren damals an dieser Entscheidung nicht beteiligt. Viele Südsudanesen fühlten sich im Gesamtgebilde Sudan, das 1956 von Großbritannien unabhängig wurde, an den Rand gedrängt und unterdrückt. 1955 bis 1972 und erneut ab 1983 kämpften deshalb Rebellen für die Unabhängigkeit des Süden.

In der Zeit zwischen den beiden Kriegen (1972 bis 1983) bestand der Südsudan infolge des Friedensabkommens von 1972 bereits einmal als autonome Region, allerdings griff die Zentralregierung verschiedentlich in die Autonomie ein.

Ab 1983 übernahm die Sudanesische Volksbefreiungsarmee (SPLA) die Führung auf der Seite der Separatisten. Sie einigte sich 2005 mit der Regierung in Khartum auf ein Friedensabkommen. Laut Regierung in Khartum sollte der Region Autonomie gewährt werden. SPLA-Führer John Garang wurde Vizepräsident des gesamten Sudan und provisorischer Präsident der autonomen Region. Am 30. Juli 2005 starb Garang beim Absturz eines Hubschraubers, sein Nachfolger wurde Salva Kiir Mayardit. Dieser wurde bei der Präsidentschaftswahl im Südsudan 2010 in seinem Amt bestätigt.

Historisches Referendum

Der 2005 zwischen Garang und dem sudanesischen Vizepräsidenten Ali Osman Taha unterzeichnete Friedensvertrag schlug ein neues Kapitel in der Geschichte des Landes auf und ebnete den Weg für das heuer im Jänner abgehaltene Referendum zur Unabhängigkeit des Südens. Fast einstimmig votierten die Südsudanesen für ihren eigenen Staat. „Das wird ein historischer Anlass für unser ganzes Volk, das diesen langen und schwierigen Weg in Richtung der Geburt dieser Nation gegangen ist“, sagte der südsudanesische Informationsminister Barnaba Marial Benjamin. „Wir alle wissen, dass wir vor großen Herausforderungen stehen.“ Doch gemeinsam werde es gelingen, einen stabilen und prosperierenden Staat aufzubauen.

Traditionelle Tanz während einer Demonstration im Vorfeld der südsudanesischen Unabhängigkeit

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Politik und Einübung eines neuen Selbstbewusstseins gehen Hand in Hand.

Der sudanesische Präsident Omar al-Baschir hatte erklärt, den Ausgang des Referendums zur Unabhängigkeit des Südens akzeptieren zu wollen. In der südsudanesischen Hauptstadt Juba will er am Samstag an den Feierlichkeiten der Staatsgründung teilnehmen, wo er nach Angaben südsudanesischer Beamter als Ehrengast geladen ist. Der Südsudan werde als „unabhängiger“ Staat in den Grenzen vom 1. Januar 1956 anerkannt, betonte zudem der Staatsminister für Präsidialangelegenheiten, Bakri Hassan Saleh, am Freitag im staatlichen Fernsehen. Der Sudan zählt damit auch zu den ersten Ländern, die den Südsudan anerkennen.

Vorbereitung der Unabhängigkeitsfeier in Juba

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Vorbereitung der Unabhängigkeitsfeier in Juba

Doch erst vor kurzem rief Baschir seine Truppen zu weiteren Kämpfen in der umstrittenen Grenzregion Südkordofan auf, bis das Gebiet „von Rebellen gesäubert“ sein werde, und machte damit Hoffnungen auf einen stabilen Frieden zunichte. Die größten Herausforderungen stellen derzeit die Kämpfe entlang der Grenze zwischen Nord und Süd dar, durch die nach UNO-Schätzungen mehr als 1.800 Menschen getötet und etwa 150.000 vertrieben wurden. Streitpunkt ist vor allem der Status der umkämpften Region Abyei, die der Norden im Mai besetzte. Obwohl einen Monat später ein Abkommen zur Entmilitarisierung und zur Stationierung Tausender UNO-Soldaten geschlossen wurde, bleibt die Zukunft ungewiss.

„Sehr kritische Zeit“

Die Hilfsorganisation Oxfam warnte vor Beschluss des UNO-Sicherheitsrates zur Entsendung der Friedenstruppen in einer Aussendung davor, „bei der finanziellen Ausstattung dieser Mission zu geizen“ und etwa zu wenige Soldaten und zivile Mitarbeiter zu schicken. Kirsten Hagon, Leiterin des Oxfam-Büros in New York, erwartet sich ein klares Signal der Vereinten Nationen, „dass sie sich weiterhin vorbehaltlos für den Schutz der Menschen im Südsudan engagieren“. „Das ist eine Zeit des Aufbruchs für den Südsudan - es ist aber zugleich auch eine sehr kritische Zeit angesichts der zahlreichen Konflikte und der Zunahme von Gewalt.“

Christlich geprägter Süden

Anders als im mehrheitlich islamischen Nordsudan gehört die Bevölkerung im Südsudan vorwiegend dem Christentum sowie lokalen Religionen an. Vor allem nachdem 1964 ausländische Missionare ausgewiesen wurden, konvertierten Südsudanesen vermehrt zum Christentum. Die Christen sind mehrheitlich Katholiken und Anglikaner.

Zwei Wochen nach der Besetzung Abyeis wurde Südkordofan zum Schauplatz gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Nord und Süd, wodurch erneut Hunderte Menschen ihr Leben verloren. Experten zufolge kamen 2011 bereits so viele Menschen im Sudan ums Leben wie seit Ende des Krieges vor sechs Jahren nicht mehr. Viele glauben, dass das Schlimmste noch bevorsteht.

Die Salesianer Don Boscos, die seit 30 Jahren im Sudan zahlreiche Schulen und Ausbildungszentren betreiben, mussten jedenfalls den Aufbau eines Betriebes zur Produktion von Baumaterialien „aufgrund der schwierigen politischen Situation und der unklaren Sicherheitslage“ verschieben. Damit soll die teure Importabhängigkeit von Kenia in diesem Bereich reduziert werden. Dem zuständigen Pater Jim Comino bleibt nur die Hoffnung auf eine Umsetzung im nächsten Jahr.

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