Beschwingt in den Urlaub
Musik zum Nebenherhören liefern ohnehin die Formatradios. Hier seien neue Alben von Bands und Sampler empfohlen, die zum Aufhorchen und Genauhinhören verleiten. Stimmung machen die Songs dennoch.
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Die Bandbreite reicht von aufgekratztem Neo-Kunstpop bis hin zu ruhiger Singer-Songwriter-Musik.
Durch die Stadt mit Patrick Wolf
Schmalz, Kunst und Künstlichkeit, Disco zum Abtanzen, zwei Songs für’s Formatradio, der Rest in bereits guter, alter, theatralischer, britischer Popmanier: Patrick Wolf hat ein neues Album vorgelegt, das wohl der Inbegriff einer Sommerplatte ist. Die Songs auf „Lupercalia“ sind fröhlicher als zuletzt, sie funktionieren im Eissalon in Lignano so gut wie im angesagtesten Hipster-Club von London. Die Texte changieren zwischen Lyrik und Gaga. Die stets große Geste ist das Konzept - im Auftreten des Künstlers wie in seinen Songs. Ein Ohrwurmhit reüssierte bereits als Single-Auskoppelung: „The City“.
Patrick Wolf: Lupercalia. Mercury (Universal), elf Tracks, 15,97 Euro.
Ein Schauer im Hochsommer
Scott Matthew berührt mit seiner Singer-Songwriter-Musik unsere Seele. Er und seine Entourage fürchten sich schon ein bisschen vor dem Auftritt auf der großen Bühne beim Frequency Festival. In den USA ist er keine große Nummer - und auch in Europa spielt er sonst nicht vor Massenpublikum. Mit dabei im Gepäck: sein Album „Gallantry’s Favorite Son“. Viel Gefühl, viel Traurigkeit schwingt bei den Songs mit - aber jene Art von Traurigkeit, bei der man sich am Ende gereinigt fühlt wie nach einem Regen im Hochsommer. Und: erstmals eineinhalb leichtfüßige, positive Lieder, auch sehr schön.
Scott Matthew: Gallantry’s Favorite Son. Glitterhouse (Indigo), elf Tracks, 15,99 Euro.

ORF.at/Doris Rauh
In der Drogerie mit Lou
An jener Kreuzung, wo sich die frühen Velvet Underground mit den späten The Fall treffen, findet man eine österreichische Band: M185 mit ihrem Debütalbum „Let the Light in“. Reduzierte Musik, angedeuteter Gesang, treibende, einfache Rhythmen: Die Songs schrauben sich langsam, aber umso fester ins Bewusstsein. Am besten in eigenen Worten beschrieben in der Nummer „The City and the Beat“: „I see John, Sterling, Mo and Lou - Saturating the factory - Pitter and patter rhythms - Extended drones - Black shades celebrating - All night pharmacies.“ Feines kommt aus dieser Drogerie.
M185: Let the Light in. Speed of Life Rec (Alive, Siluh), neun Tracks, 11,99 Euro.
Depeche Mode mit neuen Beats
Dream on, heißt es für Depeche-Mode-Fans. Die Band war immer schon auch für die Remixe bekannt. Zuletzt war 2004 ein Sampler erschienen, nun legen sie mit „Remixes 2. 81 - 11“ nach. 37 Tracks (drei CDs) von den Anfängen bis heute, Hits und Wiederentdeckungen, sind vertreten. Manche von den Bearbeitungen haben selbst schon gute zwei Jahrzehnte auf dem Buckel, andere sind Remixe von Remixen. Ein Gutteil der Interpretationen ist jedoch neu. Beiträge lieferten unter anderen Digitalism und Röyksopp ab. Alternativ ist auch eine Ein-CD-Variante (eine Art Best-of) erhältlich. Songs wie „Personal Jesus“ und „Dream On“ erstrahlen in neuem Glanz, von Tanzflächenfegern bis zur Frickelelektronik.
Depeche Mode: Remixes 2. 81 - 11. Mute Catalogue (EMI), 37 Tracks, 9,87 Euro.
Kopf - nicken
Druckvoll und elektronisch geht es auch (wie bereits gewohnt) bei Digitalism zu. Genrebeschreibung laut Wikipedia: Electro House. „Too much, too soon, for a bit of fun“, singen die Hamburger - aber in diesem Fall kann es nie zu früh sein. Das System funktioniert: Kopf - nicken. Kopf - nicken. Kopf - nicken. Der Synthie orgelt sich durch die Gegend, schwebend, mitunter knarzend. Einmal sphärisch, einmal räudig, einmal mit Gesang, einmal ohne. Vor allem die Songs „Reeperbahn“, „Antibiotics“ und „Miami Showdown“ haben „Bumm“.
Digitalism: I Love You Dude. Cooperative Music (Universal), zehn Tracks, 11,97 Euro.
Jack White und Norah Jones im Italowestern
Wenn Danger Mouse (er produzierte schon die Gorillaz und arbeitete mit Jay-Z) gemeinsam mit Daniele Luppi ein Album macht, auf dem Norah Jones und Jack White zusammen Songs im Italowesternstyle interpretieren, dann steht der Verdacht eines seelenlosen Kommerzprojekts ganz groß im Raum. Dass das Ergebnis dennoch nicht glatt ist, liegt vielleicht an der alten Analogtechnik, die in demselben Studio, in dem Ennio Morricone Songs für Western einspielte, teilweise sogar mit dessen in die Jahre gekommenen Musikern, zum Einsatz kam. Musik zum Schwelgen.
Danger Mouse, Daniele Luppi: Rome. Parlophone (EMI), 15 Tracks, 17,99 Euro.
Der Sampler zum Rein- und Durchhören
Wer sich nur ein einziges Album zulegen möchte, ist wie immer mit der FM4 Sound Selection gut bedient. Oft sind Sampler, in denen es um einen Überblick aktueller Musik geht, genau für diesen zu gebrauchen, aber nur schwer durchzuhören. Das hat hier bei beiden CDs gut geklappt, trotz so unterschiedlicher Künstler wie Digitalism, The Strokes, Patrick Wolf, Amanda Palmer, Bright Eyes, The Kills und TV on the Radio. Noch spannender und unverbrauchter die Österreicher-CD mit unter anderen The Helmut Bergers, den Mäusen, M185, Killed by 9V Batteries, Sir Tralala und Fred Schreiber (ganz groß: „Größer als wir“). Herrlich, und sehr österreichisch die Protest-Songcontest-Gewinner Gebrüder Marx: „Hättma, kenntma (mochma oba net)“.
FM4 Sound Selection 24. Sony, 43 Tracks, 18,99 Euro.
Pianoklänge, die wie Regentropfen fallen
Der US-amerikanische Singer-Songwriter Justin Vernon begeisterte unter dem Projektnamen Bon Iver mit „For Emma, Forever Ago“ Kritiker, Künstler und Fans. Drei Jahre dauerte es, die Vernon für musikalische Kooperationen nutzte, bis nun sein neues Album mit dem schlichten Titel „Bon Iver“ erschien. New Folk, sanfte Elektronik, Pianoklänge, die wie Regentropfen fallen, gefühlvolle Lyrics - die Begeisterung bleibt auch diesmal nicht aus.
Bon Iver: Bon Iver. 4AD/Beggars Group (Indigo), zehn Tracks, 14,99 Euro.
Fred vom Todesstern
Da kann er machen, was er will: Mit Andreas Dorau wird man ewig seinen 80er-Hit „Fred vom Jupiter“ verbinden, auch wenn er in schöner Regelmäßigkeit weiter Alben herausgebracht hat. Nun war aber seit 2005 Pause. Seine dieser Tage erschienene neue Platte mit dem Titel „Todesmelodien“ wurde von Fans bereits mit Spannung erwartet. Besungen wird unter anderem „Herr Größenwahn“: „Bedenken und Zweifel waren für ihn ein Tabu“. Cembalo, Klavier, Xylophon, Synthie, Blechbläser - und eine Stimme, die so unschuldig klingt, dass sie schuldig sein muss. Ansonsten das Generalthema: der Tod.
Andreas Dorau: Todesmelodien. Staatsakt (Rough Trade), 14,99 Euro.
Perlenketten zum kleinen Preis
Dem deutschen „Rolling Stone“-Magazin gehört längst einmal gratuliert für die „Rare Trax“-CDs, die abwechselnd mit aktuellen Samplern dem Heft beiliegen. Da sind historische Sachen und aktuelle Raritäten versammelt, hervorragend zusammengestellt, immer zu einem bestimmten Thema. Beispiele: Rare Trax Nr. 72 mit Dylan-Covers, etwa von Wilco feat. Fleet Foxes, Vic Chesnutt, Bonnie „Prince“ Billy und Tom Liwa. Das Weird Old America interpretiert vom New Weird International. Ebenfalls grandios: Rare Trax 63 (deutsche Liedermacher einst und jetzt) sowie Rare Trax 69 (deutsche Elektronik zwischen Krautrock und Posttechno).
Swingen mit der jüdischen Mafia
Ein bisher wenig beleuchteter Aspekt jüdischer Geschichte sind Gangster-Syndikate, die im 20. Jahrhundert neben der italienischen Mafia in den USA entstanden sind. Nun erschien ein Sampler-Album, das sich der Musik der „Kosher Nostra“ widmet, mit legendären Songs von Connie Francis, Tom Jones, Chubby Checker und vielen anderen Künstlern aus diesem Umfeld. Im Booklet wird dazu die spannende Geschichte jüdischer Mafia-Bosse erzählt. Das lohnende Projekt entstand aus einer umstrittenen Ausstellung. Eine Zeitreise aus dem Reisebüro des DJs und Produzenten Shantel.
Oz Almog und Shantel: Kosher Nostra. Jewish Gangsters. Greatest Hits. Essay Recordings, 21 Tracks, 16,99 Euro.
Zum Nachhören
Auf einige Neuerscheinungen, bereits viel besprochene Alben des Frühlings, sei hingewiesen, wer sie noch nicht hat: Fleet Foxes („Helplessness Blues“) - fröhliche Eklektik, wundervolle Texte - jeder Liedanfang ein echter Teaser, weiter ganz genau hinzuhören - wunderschöne Vokalkunst, Doo-Wop, a cappella und herrliche Arrangements. Ganz laut zu hören bei einem Lagerfeuer. Dann: TV on the Radio („Nine Types of Light“) - weniger kopflastig als die vorigen Alben, Elektro-Blues-Funk-Rock vom Feinsten - „Will Do“ als Hitsingle („Return to Cookie Mountains“ mit „I was a Lover“ dennoch unerreicht).
Fleet Foxes: Helplessness Blues. Cooperative Music (Universal), zwölf Tracks, 13,95 Euro.
TV On The Radio: Nine Types of Light. Interscope (Universal), zehn Tracks, 17,98 Euro.
Schließlich noch jene Alben, deretwegen so mancher heimische Musikjournalist ganz hektisch die Eroberung der Welt vermittelst österreichischer Musik ausgerufen hat (das entsprechende „NME“-Cover hat genauso gefehlt wie jenes des „Spex“): Ja, Panik („DMD KIU LIDT“) - genial größenwahnsinniger Diskursrock. Attwenger („Flux“) - schön schräg, (sogar echter) Rock ’n’ Roll bei „Shakin my Brain“, Sprachkunst, groovy. Kreisky („Trouble“) - auskotzen, was einen ankotzt, auf hohem Niveau. Videoempfehlung: „Scheiße, Schauspieler“.
Ja, Panik: DMD KIU LIDT. Staatsakt (Rough Trade), 15 Tracks, 15,99 Euro.
Attwenger: Flux. Trikont (Indigo), 17 Songs, 15,99 Euro.
Kreisky: Trouble. Buback (Indigo), neun Tracks, 14,95 Euro.
Mit dem Nachwuchs mitreden können
Und worauf stehen Volksschüler dieser Tage? Immer noch Michael Jackson, obwohl der Hype nach dem Tod nun langsam abklingt. Lady Gaga ist sogar schon unter Taferlklasslern ein Streitfall. Zumindest bei vielen Burschen angesagt: Lukas Plöchl (nein, keine sexistischen Äußerungen jetzt bitte). Und den Klingeltönen bei den kleinen Menschen mit den viel zu schweren Schultaschen nach zu schließen der absolute Megahit: „Dynamite“ von Taio Cruz (das Video - zum Niederbrechen). Auch Kiddy-Contest, Justin Bieber und Shakira stehen in der großen Pause hoch im Kurs.
Simon Hadler, ORF.at
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