Wenn das Gehirn ausgetrickst wird
Die Vorgaben für einen perfekten Tarnanzug lauten, seinen Träger für Angreifer möglichst unsichtbar zu machen. Doch gerade das funktioniert bei den US-Truppen in Afghanistan nur unzureichend. Bis 2012 soll nun ein neuer Tarnanzug entworfen werden. Als Favorit für den lukrativen Auftrag gilt der Meister der militärischen Camouflage, Guy Cramer.
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In seinem kleinen, unauffälligen Büro im kanadischen British Columbia hat Cramer bereits mehr als 8.000 verschiedene Camouflage-Muster für den militärischen Gebrauch entworfen. Der ehemalige Verkäufer von Überdruckkammern hatte sich vor zehn Jahren auf das Entwerfen von Tarnmustern verlegt und ist mittlerweile der weltweit gefragteste Designer für Uniformen für den Kampfeinsatz.
Großauftrag aus Jordanien
Den Durchbruch schaffte Cramer mit seiner Firma HyperStealth Biotechnology Corporation 2003. Damals wurde der jordanische König auf Cramers Entwürfe im Internet aufmerksam und bestellte 390.000 Uniformen für Armee und Polizei. Heute stattet HyperStealth 1,6 Millionen Soldaten auf der ganzen Welt mit seinen Designs aus. Doch Cramers Hauptaugenmerk liegt auf der Digitalisierung bestehender Camouflage-Muster. Seine Sammlung umfasst neben den Uniformen der gesamten NATO-Staaten auch asiatische, australische und afrikanische Kampfanzüge.
Tarnung mit Hilfe des Computers
Seinen Entwürfen liegen aktuelle wissenschaftliche Studien über die Zusammenhänge zwischen Auge und Gehirn zugrunde. Denn die Kunst des Tarnens ist es nicht, sich perfekt an den Hintergrund anzupassen, sondern vielmehr das Auge so zu täuschen, dass der Träger des Anzugs unbemerkt bleibt. Dafür hat sich Cramer mit dem Militärexperten Timothy O’Neill zusammengetan. O’Neill verblüffte bereits 1976 mit einer ungewöhnlichen Fahrzeuglackierung, die Militärtransporter für Beobachter nur schwer erkennbar machte.
Tarnkleidung
Die moderne Form der Tarnkleidung entstand 1915, als die französische Armee von den Deutschen in einer Schlacht des Ersten Weltkrieges geschlagen wurde. Die Franzosen verabschiedeten sich daraufhin von ihren weißen Handschuhen und roten Hosen und verlegte sich auf unauffälligeres Design. Die Amerikaner folgten 1917 diesem Beispiel.
Bei den neuen, digitalen Camouflage-Mustern liegt das Augenmerk auf der visuellen Wahrnehmung der Umgebung. Neben dem bewussten Blick auf ein bestimmtes Objekt scannt jeder Mensch gleichzeitig die Umgebung permanent auf ungewöhnliche Ereignisse ab. Die Tarnmuster sind so angelegt, dass das Auge das Muster zwar wahrnimmt, es aber als unwichtig einstuft und keinen Alarm ans Gehirn weiterleitet.
„Hintergrundgeräusch“ auf Kampfdistanz
Im militärischen Bereich werden die Farben und Formen so angeordnet, dass sie auf 50 bis 300 Meter (also der durchschnittlichen Kampfdistanz) nur als „Hintergrundgeräusch“ wahrgenommen werden. Doch obwohl die Wirksamkeit mittels Tests schon vor Jahren bestätigt wurde, lehnte die US-Armee die sehr künstlich wirkenden, pixelartigen Muster lange ab. Erst als die kanadischen Truppen 2004 ihre Uniformen änderten, schwenkte man auch in den USA um.

Reuters/Bob Strong
US-Soldaten in einem afghanischen Mohnfeld
Probleme in Afghanistan
Doch der Einsatz in Afghanistan stellte neue Anforderungen an die Tarnkleidung. Bereits 2009 regte sich Kritik an dem „universalen“, olivgrün-grau-sandfarbenen Muster. „Die Farbauswahl ist für die Bedingungen in Afghanistan nicht sehr effektiv“, sagte Bill Cole, Chef der Truppenausstattung, gegenüber CNN. Am Hindukusch wechseln einander Wüstenlandschaft, Berghaine und Wiesen ab, und die Einheitskampfanzüge zeigten sich dafür wenig geeignet.
Der US-Kongress gab daraufhin neue Muster in Auftrag, und noch innerhalb desselben Jahres wurden die Uniformen leicht adaptiert. Doch innerhalb der Armee ist man überzeugt, dass noch bessere Resultate möglich wären. Nun sucht die Armeeführung bis zum Herbst nächsten Jahres nach einer komplett neuen Musterfamilie, die weltweit eingesetzt werden kann.
Teurer Traum von der Unsichtbarkeit
Favorit für den prestigeträchtigen und äußerst lukrativen Auftrag des Pentagon ist natürlich Cramer. Vor allem für seine Versuche auf dem Gebiet der „lernenden Camouflage“ bekam Cramer zuletzt viel Applaus. „Wir arbeiten an einem Material, das seine Farbe, Form und Leuchtkraft an die jeweilige Umgebung anpassen kann“, sagte Cramer gegenüber dem Magazin „The Atlantic“. Der Stoff, der unter dem Namen SmartCamo auf den Markt kommen wird, ist jedoch voraussichtlich noch zu teuer für den allgemeinen Gebrauch.
Bis zu 1.000 Dollar würde eine einzige Uniform kosten. Hinzu kommt, dass der Soldat eine Batterie mitschleppen müsste, die notwendig ist, um die Fasern auf die neue Umgebung einzustellen. Das geeignete Einsatzgebiet sieht Cramer hier eher in der Tarnung von teuren Fahrzeugen und speziellem militärischen Gerät. „Wenn man einen Panzer tarnen will, der mehrere Millionen Dollar wert ist, fällt eine 10.000 Dollar teure Abdeckung nicht ins Gewicht“, so Cramer.
Neben seiner Forschung auf dem Gebiet neuer Materialien kann Cramer auch mit seiner Erfahrung über das Farbenspektrum in Afghanistan punkten. 2009 bekam er über die US-Regierung den Auftrag, die afghanische Armee mit neuen Uniformen auszustatten.
Entscheidung fällt im Herbst 2012
Die eingereichten Vorschläge würden gesichtet und bis September 2012 getestet, erklärte Cole gegenüber CNN. Als Vergleichsobjekte werden vor allem die Kampfanzüge der US-Marines und -Navy herangezogen. Alles in allem dürfte die Testphase rund zehn Mio. Dollar kosten. Die tatsächlichen Kosten lassen sich aber aus heutiger Sicht kaum abschätzen. Vor allem über die Lizenzgebühren für die Designer herrscht eisernes Schweigen.
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