Land ohne Chinatowns
Die Beziehungen zwischen Österreich und China werden immer intensiver. Das zeigt sich nicht nur an den Wirtschaftsbeziehungen, sondern auch an der wachsenden chinesischen Community hierzulande, die einen Wandel durchlaufen hat. Früher arbeiteten die zugewanderten Chinesen hauptsächlich in China-Restaurants, mittlerweile ist das nicht mehr so.
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Über Auslandschinesen gibt es viele Klischees: zum Beispiel, dass sie allesamt in China-Restaurants arbeiten. Tatsächlich gründeten nicht wenige Chinesen, die in den 1980er und 90er Jahren nach Österreich kamen, Restaurants. Feiru Xie, Leiterin des Vereins chinesischer Frauen, kam 1986 nach Wien. Eine Freundin hatte ihr einen Job in einem China-Restaurant vermittelt. „Wenn ich keine Ausbildung habe und nicht mehr als Geschirr waschen kann, verdiene ich damit in Europa mehr als in China“, schildert Feiru Xie, warum viele Chinesen in den Westen wollten. Hinzu kam das repressive politische Klima in China, das viele in die Ferne zog. Feiru Xi blieb in Österreich: Sie gründete ein paar Jahre nach ihrer Ankunft in Wien ein eigenes Restaurant - in Niederösterreich.
Süß-saures Österreich
In den 1940er Jahren eröffneten eingewanderte Chinesen die ersten zwei China-Restaurants in Österreich. Dennoch begann laut Lena Springer, Sinologin an der Universität Wien, erst in den 1980er Jahren eine nennenswerte Einwanderung von Chinesen nach Österreich. „Es fing an mit Einzelfiguren“, sagt Springer. Unter ihnen waren Intellektuelle, die in Wien beispielsweise als Übersetzer oder als Reiseleiter für chinesische Delegationen arbeiteten. Die Mehrheit verdingte sich aber in der Gastronomie.
„Das China-Restaurant ist kein Ghetto, in dem die zugewanderten Chinesen über Generationen hinweg arbeiten - und nicht herauskommen“, sagt Springer. Während die erste Generation Restaurants gründete, Tag und Nacht arbeitete, steigt die zweite Generation sozial auf, beobachtet Springer. „Traditionell bemühen sich die Chinesen, dass die Kinder eine bessere Ausbildung bekommen“, erklärt Feiru Xie, „die zweite Generation kann deswegen sehr gut Deutsch.“ Anders sei das hingegen bei den Frauen, die sie vom Verein der chinesischen Frauen kennt. Es sind vor allem Frauen, die vom Land kommen, dort keine Ausbildung erhielten und nicht einmal die Muttersprache richtig beherrschen. Freilich treffe das Klischee von den sich emporarbeitenden Chinesen nicht auf alle zu, sagt Springer.
Fragmentierte Community
Hierzulande bilden Chinesen zwar eine relativ kleine Migrantengruppe, ihre Zahl steigt aber allmählich. Bei der letzten Volkszählung 2001 gab es 7.000 Chinesen in Österreich, inzwischen sind es laut Statistik Austria 15.000. Tatsächlich ist die chinesische Community aber viel größer. Zählt man Chinesen der zweiten und dritten Generation dazu sowie chinesische Asylwerber und „illegale“ Einwanderer, umfasst die chinesische Community 30.000 Menschen, schätzt der österreichische Integrationsfonds.
Immer noch ist ein Großteil der Chinesen in Österreich in der Gastronomie tätig, das ist aber längst nicht mehr die einzige Option. „Früher hat es wenig Auswahl gegeben“, sagt Feiru Xie, „jetzt arbeiten die Leute auch in chinesischen Reisebüros, Geschäften oder bei den beiden chinesischen Zeitungen.“ Vielfältiger wurde die chinesische Community, die eigentlich gar keine ist, auch durch Studenten und Forscher, die ab den 1990er Jahren nach Österreich kamen.
Trotzdem sind - im Vergleich zu anderen Großstädten in Europa - die Chinesen in Wien öffentlich kaum wahrnehmbar. Es gibt keine Chinatown, außer einige chinesische Geschäfte und Restaurants, die sich nahe der Kettenbrückengasse im vierten Bezirk konzentrieren. Auch sind in Wien chinesische Feste wie das Neujahrsfest nicht Teil der Stadtkultur.
Billighändler und Arbeiter
Frühere Ziele für chinesische Migranten sind und waren frühere Länder mit kolonialer Vergangenheit wie Frankreich, Großbritannien und die Niederlande, so Springer. Dorthin kamen schon Ende des 19. Jahrhunderts die ersten chinesischen Migranten. Nach Osteuropa, wo es vor 1989 noch kaum Migranten gab, sind nach der politischen Wende Tausende Chinesen eingewandert. „Die Chinesen sind als Kapitalismus-Experten ins Land gekommen“, erklärt Springer.
Während sich der Staat in den postkommunistischen Ländern wie Tschechien und Ungarn immer weiter zurückzog, machten Chinesen gute Geschäfte mit dem Handel von Textilien, Porzellan, Lampen und anderen Billigimportwaren aus China. Weniger glücklich verlief die Reise nach Osteuropa allerdings für jene Chinesen, die als Billigarbeiter in rumänischen oder tschechischen Textilfabriken untergekommen sind und dort unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiteten und arbeiten.
Rückkehr erwünscht
Früher wurden Chinesen, die dem ehemaligen Kaiserreich den Rücken kehrten, sozial verpönt. Ein Umdenken begann allerdings, als in den 1990er Jahren gar nicht geringe Geldsummen von Auslandschinesen als Rücküberweisungen an ihre Verwandten nach China zurückflossen. „Mittlerweile ist es Teil von Chinas Nationalpolitik, sich um die Auslandschinesen zu bemühen“, sagt Springer.
Das zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt aufgestiegene China schuf auch eigene Behörden (Overseas Chinese Committee und China Overseas Friendship Association), die versuchen, chinesischen Auslandsstudenten die Rückkehr schmackhaft zu machen oder Geschäfte mit finanzstarken chinesischen Unternehmern im Ausland anzubahnen. „Jetzt gehen wieder viele zurück und versuchen, in China Geschäfte zu machen“, sagt Feiru Xi.
Sarah Seekircher, ORF.at
Link:
Dossier (Österreichischer Integrationsfonds)