Viele Probleme noch ungelöst
Drei Monate dauert der Katastrophenzustand in Japan. Die AKW-Ruine Fukushima I strahlt. Noch immer leben Zehntausende Menschen in Notlagern. Regierungschef Naoto Kan muss sich gegen Intrigen wehren. Seine Tage sind gezählt.
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Die Bilder schockierten die Menschen in aller Welt: Rauchschwaden steigen über dem Atomkraftwerk Fukushima I auf, die Dächer der Reaktoren sind durch Explosionen nach der Naturkatastrophe zerstört. Ganze Dörfer und Städte liegen nach dem schweren Erdbeben und dem Tsunami vom 11. März in Trümmern. Zigtausende Alte und Kinder, Männer und Frauen, die bis dahin in Wohlstand gelebt haben, stehen plötzlich zusammengedrängt in kargen Notlagern an Essensausgaben Schlange.
Mit einer Mischung aus Staunen, Mitleid und Bewunderung schaut die Welt seither am Fernseher zu, wie die Japaner die Dreifachkatastrophe zu bewältigen versuchen - und Durchhaltewillen beweisen.
Noch immer Zehntausende in Notlagern
Drei Monate sind seit Beginn der Krise vergangen. Wenn es inzwischen in Berichten um Fukushima I geht, ist oft nur noch von der Atomkrise die Rede. Das andauernde Leid der Überlebenden der Naturkatastrophe, von denen noch immer Zehntausende in Notlagern hausen, gerät so leicht in Vergessenheit. Dabei türmen sich in den Krisengebieten weiter Trümmerberge, und noch immer sind nicht alle Toten geborgen.
An den schwer betroffenen Küstenregionen in den Provinzen Iwate und Miyagi gibt es weiter Wohngebiete, in denen die Wasserleitungen nicht funktionieren. Freiwillige Helfer sorgen sich um die Hygiene in den Notlagern. „Angesichts der bevorstehenden Regenzeit müssen sich die betroffenen Ortschaften gegen Gefahren wie Lebensmittelvergiftung und Infektionen wappnen“, schrieb die japanische Tageszeitung „Mainichi Shimbun“ dieser Tage. An Nottoiletten seien Krankheitserreger gefunden worden. Ärzte befürchten, dass die Widerstandskraft der Flüchtlinge nachlässt - nicht zuletzt wegen der einseitigen Ernährung in den Lagern.
Fortschritte in Miyagi
Aber es gibt auch erkennbare Fortschritte: In der Stadt Iwanuma in der Provinz Miyagi zum Beispiel sind alle 6.700 Flüchtlinge entweder in privaten Wohnungen oder in von der Regierung errichteten Behelfshäusern untergekommen. So konnten, wie die Zeitung „Asahi Shimbun“ berichtete, alle Notunterkünfte aufgelöst werden.
Anders als andere Städte hat Iwanuma die Behelfshäuser nicht per Los unter den Menschen verteilt, sondern so, dass die früheren Nachbarschaftsstrukturen beibehalten wurden. „Es gibt ein sicheres Gefühl, dass wir wieder in der Nähe unserer Nachbarn einziehen können“, sagte ein junger Familienvater. „Ich suche zwar noch eine Arbeit, aber es ist jetzt ein neuer Start.“
Über 50.000 Unterkünfte noch gesucht
Andernorts sieht es schlimmer aus: In den Provinzen Iwate, Miyagi und Fukushima werden laut der Lokalzeitung „Kahoku Shinbo“ 52.200 Behelfsunterkünfte benötigt. Doch bisher sei nur knapp die Hälfte fertig. Noch immer leben in rund 2.400 Notlagern über 98.000 Menschen. Manche von ihnen zögern, in Behelfshäuser umzuziehen. Denn dann bekommen sie Lebensmittel nicht mehr kostenlos, und sie müssten Strom, Gas und Wasser selbst bezahlen.
Da die Riesenwelle im März außer ihren Häusern auch ihre Arbeitsplätze fortgespült hat, sind viele Menschen in Geldnot. Und zu der Unsicherheit und der Furcht vor den andauernden Nachbeben kommt die Sorge vor radioaktiver Verstrahlung durch Fukushima I. Denn auch nach drei Monaten sind die Meiler dort längst nicht sicher. Immer wieder melden Techniker steigende Hitze an den Brennstäben, dann neue Strahlungsrekorde. Erst vor kurzem räumte der Betreiberkonzern TEPCO ein, dass es gleich nach dem Tsunami zu Kernschmelzen gekommen war.
Fünfter Premier in fünf Jahren
Umso problematischer empfindet es mancher in Japan, was die Politiker in der 250 Kilometer entfernten Hauptstadt Tokio veranstalten: Eine Koalition aus oppositionellen Liberaldemokraten (LDP) und einigen Abweichlern in der Demokratischen Partei (DPJ) von Kan nutzt die Gunst der Stunde für politische Ränkespiele. Es geht ihnen darum, Kan aus dem Amt zu jagen.
Dabei hatte die LDP das asiatische Land jahrzehntelang regiert und ist mitverantwortlich dafür, dass Atommeiler wie Fukushima I ohne ausreichenden Schutz gegen Tsunamis errichtet wurden. Nur dadurch, dass er seinen Rücktritt in Aussicht stellte, konnte Kan kürzlich ein Misstrauensvotum der LDP im Parlament überstehen. Ihm wird in der Krise Missmanagement vorgeworfen. Gerade ein Jahr ist Kan im Amt, jetzt sind seine Tage gezählt.
Andererseits ist das nichts Neues in Japan. Kan ist bereits der fünfte Premier in fünf Jahren. „Wenn die Politiker für so etwas Zeit haben, sollten sie lieber einmal nach Fukushima kommen und bei der Bewältigung des Atomunfalls helfen“, schimpfte ein Bürger in Fukushima über das Verhalten vieler Politiker.
Lars Nicolaysen, dpa
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