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Chruschtschow „war enttäuscht“

50 Jahre nach dem Wiener Gipfeltreffen von US-Präsident John F. Kennedy mit dem sowjetischen Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow 1961 haben Zeitzeugen Mitte Mai an das Weltereignis erinnert. Im Rahmen einer Tagung über den damaligen Gipfel in Wien sprachen ehemalige Diplomaten und Kinder der Beteiligten über die gespannte Atmosphäre und amüsante Zwischenfälle auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges.

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„Es gab eine gute Stimmung in Wien, man war optimistisch über den Ausgang“, erzählte Alexander Botschewer, damals Attache des sowjetischen Außenministeriums. Gleich bei ihrer ersten Begegnung habe sich Chruschtschow bei Kennedy eingehakt und sei mit ihm in eine Ecke des Gartens in der Hietzinger US-Residenz gegangen.

Kulturelle Differenzen

Dort habe der sowjetische Parteiführer und Ministerpräsident versucht, den Amerikaner in eine Grundsatzdebatte über die Vorzüge des Sozialismus zu verwickeln, so Botschewer. Doch Kennedy habe sich nicht darauf einlassen wollen.

Der bodenständige, polternde Chruschtschow habe mit dem jungen, charismatischen Kennedy seine Schwierigkeiten gehabt, berichtet Oleg Grinewski, ebenfalls Teil des Sowjetstabes in Wien. Der um 23 Jahre jüngere US-Präsident sei nach Einschätzung des Sowjetführers ein „schwacher Mann, beschränkt und unehrlich“. Nach dem Treffen habe Chruschtschow gesagt: „Im Vergleich zu ihm war Eisenhower eine Lichtgestalt“, so Grinewski. Kennedys Vorgänger Dwight D. Eisenhower war etwa gleich alt wie Chruschtschow und stammte ebenso wie er aus einfachen Verhältnissen.

„Vater kam enttäuscht zurück“

Zwischen den Anführern von USA und Sowjetunion fehlte es offenbar an Vertrautheit. „Er kam sehr enttäuscht zurück nach Hause - er hatte in Wien den Atomwaffensperrvertrag durchsetzen wollen“, erzählte Sergej Chruschtschow, Sohn des sowjetischen Führers. „Er sagte, wir können jetzt bereits die Welt zerstören - wir müssen damit aufhören.“ Sein Vater sei von Kennedy enttäuscht gewesen, dieser sei unerfahren und ahnungslos.

Dennoch hätte Nikita Chruschtschow auch Hoffnungen in die Lernfähigkeit des US-Präsidenten gehegt und auf eine gemeinsame, friedliche Lösung der Konfrontation im Kalten Krieg. „Wenn Kennedy nicht ermordet worden wäre, hätten er und mein Vater den Kalten Krieg vielleicht beendet und Neil Armstrong wäre gemeinsam mit einem Russen zum Mond geflogen.“

Raab punktete mit Dialekt

Im Gastgeberland Österreich hatte man sich in den Beziehungen zu den Supermächten hingegen flexibler gezeigt. Er sei 1955 bei einem Besuch in Moskau erstmals auf Chruschtschow getroffen, berichtet Herbert Grubmayr, Sekretär des ehemaligen Bundeskanzlers Julius Raab (ÖVP) und später österreichischer Diplomat. „Im Kreml ging eine Tür auf, und auf einmal stand das ganze Politbüro vor uns“, so Grubmayr über die Reise. In der ersten Überraschung habe er den gefürchteten Sowjetführer sogar um ein Autogramm gebeten.

Bald darauf kam es bei einem Staatsbesuch in Österreich zu einer denkwürdigen Unterredung Chruschtschows mit Bundeskanzler Raab. Bei dieser wollte Raab erwirken, weniger Öl aus österreichischer Förderung zur Kriegsschuldentilgung an die Sowjetunion schicken zu müssen, da weite Teile der niederösterreichischen ÖVP über die Öllieferungen klagten.

Die Gespräche gingen jedoch zäh voran, am späten Abend zeigte Chruschtschow klare Zeichen von Müdigkeit. Daraufhin habe sich Raab an Chruschtschow gewandt und ihm in breitestem St. Pöltener Dialekt gesagt: „Wannst ma bei dem Öl nix nachlasst, hab I in der Partei an Bahö“, berichtet Grubmayr, der damals übersetzte. Der Sowjetführer soll daraufhin eine Schuld in der Höhe von 500.000 Fässern Öl nachgelassen haben.

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