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„Arg populistisch“

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) muss sich für ihre Forderungen, die Menschen in den hoch verschuldeten Ländern der Euro-Zone sollten doch mehr und länger arbeiten, scharfe Kritik gefallen lassen. Sowohl die deutsche Opposition als auch die internationale Presse schossen sich auf Merkel ein.

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Der französische „Express“ warf ihr in einem Artikel unter dem Titel „Angela Merkel und ihre Klischees über die Länder des Club Med“ sinngemäß Stammtischparolen vor. Außerdem sei die Rechnung, den Griechen, Spaniern und Portugiesen gehe es etwa in puncto Jahresurlaub so viel besser als den Deutschen, nicht korrekt. Merkel hatte bei einer Parteiveranstaltung am Dienstagabend einen früheren Pensionseintritt und ein höheres Urlaubspensum in südeuropäischen Länder kritisiert. Wer deutsche Hilfe in Anspruch nehmen wolle, müsse sich im Gegenzug „anstrengen“.

Athen: „Nicht konstruktive Kommentare“

Die griechische Presse reagierte verärgert. „Sie betreiben Populismus, Frau Merkel“, hieß es am Donnerstag in einem Kommentar der linksliberalen Athener Zeitung „Eleftherotypia“. Die griechische Regierung reagierte zurückhaltender. „Das, was das griechische Volk nicht verdient hat, sind Ratschläge und Kommentare, die nicht konstruktiv sind“, sagte Außenminister Dmitris Droutas in Athen.

Anders interpretiert: „Die sind faul“

„Mit bösem Willen“, kommentierte der deutsche „Spiegel“, "könnte jemand der Kanzlerin auch unterstellen wollen: Die sind faul.“ Die „Süddeutsche Zeitung“ befürchtet angesichts von Merkels „Ausflug ins Populistische“, ihre Aussagen könnten in Deutschland ganz gut ankommen.

Schließlich empfänden es viele „als Hohn, dass es hierzulande permanente Spar- und Streichdebatten gibt und zugleich mit deutschem Steuergeld gigantische Sparprogramme für Griechenland, Portugal oder Irland gezimmert werden. Und selbstverständlich ist es ja auch unzweifelhaft, dass diese Staaten - beispielsweise durch eine effizientere Verwaltung, die Verschlankung des Staatsapparates oder den Verkauf von Immobilien - sparen müssen.“ Allerdings hätten Merkels Sager „ein Problem: Sie sind arg populistisch.“

Privilegierter „Club Med“?

Die Standards bei Pensions- und Urlaubsansprüchen seien in Wahrheit in der Euro-Zone gar nicht so weit auseinander. Unter anderem hatte Merkel gesagt: „Wir können nicht eine Währung haben, und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig. Das geht auf Dauer auch nicht zusammen.“

Heftige Kritik setzte es auch von den Oppositionsparteien SPD, Grüne und Linkspartei. „Frau Merkel setzt wieder einmal auf Populismus und Stimmungen statt auf sachliche Argumente“, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel am Mittwoch gegenüber dem „Spiegel“ (Onlineausgabe). Es sei beschämend, dass Merkel die europäische Idee leichtfertig verspiele, „nur um billigen Beifall vom Boulevard zu bekommen“. Damit schüre sie „antieuropäische Ressentiments, statt endlich Verantwortung für Europa als Ganzes zu übernehmen“.

„Politik unterhalb des Stammtischniveaus“

Merkels Vorstoß „provoziert antideutsche Stimmungsmache in Europa und antieuropäische Ressentiments in Deutschland“, sagte Linke-Chef Klaus Ernst. „Wenn die Menschen Europa mit Schrumpflöhnen, Schrumpfrenten und längeren Arbeitszeiten identifizieren, dann hat die europäische Idee keine Zukunft.“ Das sei „Politik unterhalb des Stammtischniveaus“.

Der Grünen-Fraktionschef im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, nannte Merkels Vorstoß „absurd“. Gegenüber dem „Spiegel" sagte er: „Natürlich arbeiten die Menschen in Südeuropa viel.“ Anstatt auf „billigen Beifall“ zu setzen, solle die Kanzlerin lieber konkrete Vorschläge machen. „Wenn man über soziale und ökonomische Konvergenz redet, dann sollte man alle plakativen Sprüche und Vorurteile an der Garderobe abgeben.“

Merkels Büro verweist auf Europlus-Pakt

Merkels Büro wies die Kritik unter Verweis auf einen EU-Ratsbeschluss zurück. Der Europlus-Pakt sehe eine stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik vor, sagte Vizeregierungssprecher Christoph Steegmans vor Journalisten in Berlin. Dazu zähle als ein möglicher Reformschritt die Angleichung der Pensionssysteme an die nationale demografische Situation. „Es geht darum, dass das tatsächliche Renteneintrittsalter an das gesetzliche angeglichen wird.“ Die Grundlage der Debatte sei ein „Beschluss aller EU-Regierungschefs“ und nicht „irgendein Einfall“ der Kanzlerin.

Steegmans verwies darauf, dass der Ratsbeschluss nicht zuletzt zum Ziel habe, dass auch schwächere Länder gestärkt aus der jetzigen Situation hervorgehen können. Wo nationale Ungleichheiten bestünden, sei es nötig für alle Beteiligten, „in die gleiche Richtung zu arbeiten". Das beziehe sich auf Themenkomplexe wie das Pensionssystem, Lohnkosten und den Abbau von Schulden. „Das ist alles andere als Populismus“, so Steegmans.

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