„EU-Vertrag nicht zurückdrehen“
Die EU-Kommission fordert wegen der geplanten Wiedereinführung „permanenter Grenzkontrollen“ Dänemarks an der Grenze zu Deutschland und Schweden eine rasche Erklärung aus Kopenhagen, um die Schritte der Regierung bewerten zu können.
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„Es muss klar sein, dass die Kommission jeglichen Versuch, den EU-Vertrag zurückzudrehen, weder akzeptieren kann noch akzeptieren will“, sagte eine Kommissionssprecherin am Mittwochabend. Das gelte für den freien Transport von Waren ebenso wie für die Reisefreiheit von Menschen. Sobald eine Erklärung vorliegt, wolle sich die Kommission genauer zur Frage äußern, ob sie die Pläne für legal hält.
Keine Passkontrollen geplant
Dänemark begründete unterdessen die geplante Wiedereinführung der Kontrollen mit wachsender Kriminalität von EU-Ausländern. Die Kontrollen seien eine vernünftige Lösung, da es grenzüberschreitende kriminelle Aktivitäten gebe, sagte Integrationsminister Sören Pind am Donnerstag vor der Sitzung der EU-Innenminister in Brüssel. Es werde nur Zoll-, aber keine Passkontrollen an den Grenzen geben, um Drogen- und Waffenschmuggel aufzudecken. Der Schritt stehe völlig in Einklang mit dem Schengen-Abkommen, mit dem Grenzkontrollen fast überall in Europa abgeschafft wurden. „Wir wollen damit nicht die Grenzen zurückbringen.“
„Bleiben Teil des Schengen-Raums“
Nach zehn Jahren will Dänemark wieder „permanente Grenzkontrollen“ an der Grenze zu Deutschland und Schweden einführen. Künftig sollen Zöllner sowohl Einreisende als auch Ausreisende kontrollieren. Wie Finanzminister Claus Hjort Frederiksen am Mittwoch mitteilte, hat sich die Kopenhagener Minderheitsregierung mit der rechtspopulistischen DVP und einem parteilosen Abgeordneten darauf geeinigt.

Reuters/Peter Mueller
Die Grenze zwischen Deutschland und Dänemark vor mehr als 20 Jahren
Dänemark bleibe aber Teil des Schengen-Raumes, der eigentlich den freien Grenzübertritt zwischen beteiligten EU- und einigen anderen Ländern garantieren soll. Ziel der neuen Kontrollen durch Zöllner sei „die zunehmende grenzüberschreitende Kriminalität“, sagte Frederiksen.
Schweden besorgt über Migrationsströme
Der schwedische Migrationsminister Tobias Billström betonte, die dänische Entscheidung betreffe nicht Schengen, sondern sei ausschließlich eine Frage von Zollkontrollen. Sollte es dabei Probleme geben, müsste das die EU-Kommission überprüfen. Billström zeigte sich besorgt von den Migrationsströmen aus Nordafrika. „Die Entwicklungen in unserer südlichen Nachbarschaft sind Anlass zu großer Sorge, vor allem jetzt, da wir libysche Flüchtlinge über das Mittelmeer kommen sehen. Das ist anders als die früheren Wellen von Arbeitsmigranten, die von Tunesien nach Lampedusa gekommen sind.“ Notwendig sei eine gemeinsame europäische Antwort.
Deutschland: Nur in Ausnahmefällen
Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will Grenzkontrollen im Schengen-Raum weiter nur in Ausnahmefällen zulassen. „Dass es Ausnahmefälle bleiben, dazu müssen wir genaue Kriterien definieren, und das ist das Ziel heute“, sagte Friedrich vor einem Treffen der EU-Innenminister in Brüssel am Donnerstag im ARD-„Morgenmagazin“. Solche Ausnahmefälle könnten beispielsweise Fußball-Weltmeisterschaften sein. „Aber wir wollen das sehr, sehr eng begrenzen.“
Die von Dänemark geplante Wiedereinführung „permanenter Kontrollen“ zeige, dass Regelungsbedarf bestehe. „Es wird nichts zurückgedreht, sondern es wird ein bisschen konkretisiert.“ Grundsätzlich müsse die Reisefreiheit verteidigt werden. „Ich glaube, die Botschaft an alle Staaten des Schengen-Raums muss sein: ‚Lasst uns gemeinsam diese großartige Errungenschaft der Reisefreiheit sichern, denn es ist letzten Endes ja im Interesse aller europäischen Staaten!‘“
In Deutschland wurde die geplante Wiedereinführung der Grenzkontrollen unter anderem auch von der Partei der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein (SSW) und von Europaabgeordneten kritisiert. Vertreter der Wirtschaft im nördlichen Schleswig-Holstein bezeichneten die dänischen Pläne als „Rückschritt“, erwarteten aber keine spürbaren Beeinträchtigungen im Handel.
„Reiner Populismus“
Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, Martin Schulz, sprach von „reinem Populismus“ und „Scheinpolitik“. Schulz sagte dem in Berlin erscheinenden „Tagesspiegel“ (Donnerstag-Ausgabe): „Ein mögliches Flüchtlingsproblem in Nordafrika lässt sich mit Sicherheit nicht an der deutsch-dänischen Grenze lösen.“
Der Innenexperte der FPD im Europaparlament, Alexander Alvaro, sagte der Zeitung, dass sich mit der Wiedereinführung der Kontrollen auch die Frage stelle, ob Dänemark überhaupt noch Mitglied im Schengen-Raum bleiben könne. „Wenn sich Dänemarks Regierung von den Rechtspopulisten so unter Druck setzen lässt, dass sie die Axt an eine der europäischen Grundfreiheiten legt, dann stellt sich auch die Gretchenfrage der Mitgliedschaft Kopenhagens im Schengen-Raum“, sagte Alvaro.
Mikl-Leitner: Reisefreiheit erhalten
In der Diskussion um die Schengen-Reform sprach sich am Donnerstag Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) dafür aus über „anlassbezogene Grenzkontrollen“ nachzudenken. Zur Entscheidung der dänischen Regierung für neue Grenzkontrollen sagte sie am Donnerstag vor einem Sondertreffen der EU-Innenminister in Brüssel: „Permanente Grenzkontrolle ist eine ganz gefährliche Sache, weil es letztendlich massiv die Reisefreiheit beeinträchtigt. Ganz wichtig ist, dass hier die Reisefreiheit erhalten bleibt.“
Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) ist gegen eine generelle Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Schengen-Raum. Er kann sich lediglich temporäre Kontrollen vorstellen. Das sagte Darabos am Rande einer Pressekonferenz am Donnerstag in Wien. Von den wieder eingeführten Kontrollen Dänemarks zeigte er sich „überrascht“. Sollten temporäre Kontrollen nötig sein, würden diese nicht mit Soldaten, sondern von der Polizei durchgeführt.
Opposition gespalten
Die von Dänemark angekündigte Einführung von Grenzkontrollen stößt in der FPÖ auf Zustimmung. Die Entscheidung sei richtig, sagte etwa der FPÖ-Delegationsleiter im Europäischen Parlament, Andreas Mölzer. „Das Schengener Abkommen ist kein Selbstzweck, und die Sicherheit muss Vorrang vor der Reisefreiheit haben“, betonte Mölzer am Donnerstag in einer Aussendung. Er plädierte dafür, dass auch Österreich wieder temporäre Grenzkontrollen einführt.
Kritik an „blindem Schengen-Aktionismus“ kam dagegen von den Grünen. Die EU-„Innenminister erliegen einer Illusion, wenn sie denken, sie können langfristige Phänomene wie Migrationsströme aus Krisengebieten in Nordafrika mit halbfertigen Lösungen wie Schengen-Kontrollen beikommen“, meinte Alev Korun, Menschenrechtssprecherin der Grünen. Korun fordert stattdessen „echte“ Lösungen in der Zuwanderungs- und Asylpolitik. Doch diese würden seit Jahren blockiert.
Mehrheit in EU für Änderungen
Eine Mehrheit der 27 EU-Staaten ist für eine Änderung der Regeln, mit denen zeitweilige Grenzkontrollen eingeführt werden können. Nach Angaben von EU-Diplomaten plädierten mindestens 15 Innenminister bei dem Treffen am Donnerstag grundsätzlich für Änderungen. Einigkeit habe darüber geherrscht, dass große Sorgfalt bei der Wiedereinführung von Kontrollen nötig sei. Die Rückkehr zu Kontrollen sei nur im Notfall denkbar.
Vor allem Deutschland und Österreich betonten, die Entscheidungen darüber müssten von den einzelnen Regierungen getroffen werden, nicht von der EU-Kommission. Andere Staaten hätten sich zu dieser Kompetenzfrage noch nicht geäußert. Zypern lehnte als einziges EU-Land eine Änderung des jetzigen Schengen-Kodex strikt und eindeutig ab. Belgien, Malta und Spanien seien sehr zurückhaltend gegenüber Änderungen.
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