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Urbane Lagerstätten erschließen

Während der Abfallberg wächst, werden Rohstoffe teurer. Recyclingverfahren kommt damit eine zunehmende Bedeutung zu. Doch nicht immer liegt der Müll buchstäblich auf der Straße. Manche Wertstoffe sind besser „versteckt“ als die Glasflasche, die Blechdose und die alte Zeitung.

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Diese Lager zu erschließen, hat sich das „Urban Mining“ zur Aufgabe gemacht: möglichst lückenlos zu nutzen, was moderne Siedlungsräume an Abfall hinterlassen. Helmut Rechberger, Professor am Institut für Wassergüte, Ressourcenmanagement und Abfallwirtschaft an der TU Wien, der sich intensiv mit dem Thema befasst, erklärt die Idee dahinter so: Rohstoffe werden aus dem Boden geholt und verbaut. „Das heißt, wir sitzen inmitten dieser Materialien und nutzen sie.“

Allerdings haben Gebäude, Infrastruktur, Fahrzeuge eine begrenzte Lebensdauer, jede Stadt, jede Siedlung erneuert sich. „‚Urban Mining‘ meint im Prinzip, dass wir uns aus diesen Abfällen, die da entstehen, diesen Sekundärrohstoffen bedienen und dass wir sie zurück in den Kreislauf führen und wieder nutzen“, so der Verfahrenstechniker im Interview mit ORF.at.

„Erkunden“ wie im Bergbau

Dafür muss man allerdings erst einmal wissen, wo wie viel von welchem Material steckt und ob sich folglich der „Abbau“ lohnt. Rechberger zieht einen Vergleich mit der klassischen Rohstoffgewinnung: „Urban Mining“ bedeute in einem ersten Schritt Erkundung. „Genau so wie Sie eine primäre Lagerstätte (natürliches Vorkommen, Anm.) erkunden müssen“, genau so „müssen wir unsere urbanen Lagerstätten erkunden“. Informationen, wo wie viel von welchem recyclingfähigen Material zu finden ist, seien in der Regel nämlich Mangelware.

Landkarte des Stadtrecyclings

Ideal wäre laut Rechberger, wenn man am Ende die Ergebnisse dieser Erkundung mit räumlichen Daten verknüpfen könnte, um so eine Art Landkarte der urbanen Rohstofflager zu erhalten. „Das Ziel wäre, dass man einen Rohstoffkataster hat, dass ich weiß: Wo ist das Kupfer, wo ist der Stahl, wo ist das Aluminium in der Stadt? Und solche Kataster sollten dann verknüpft werden mit Rückbauplänen.“

Daraus ließe sich abschätzen, wann in Zukunft wie viel von einem bestimmten Recyclingmaterial verfügbar ist. Solche Daten wären, so Rechberger, von der Perspektive der Versorgungssicherheit aus gesehen durchaus auch für die Industrie interessant.

400 Tonnen pro Kopf

Die Potenziale, mit denen die „Urban Miner“ rechnen, sind beachtlich: Im statistischen Schnitt, so Rechberger gegenüber ORF.at, entfallen, wenn man die verbaute Masse in Gebäuden, Verkehrsinfrastruktur, Fahrzeugen etc. zur Bevölkerungszahl in Relation setzt, auf jeden Wiener bzw. jede Wienerin rund 400 Tonnen Material.

Der Großteil dieser Masse besteht aus Beton, Ziegeln und Ähnlichem, aber auch aus fünf bis zehn Tonnen wiederverwertbarem Stahl, rund einer viertel Tonne Kupfer und vielleicht einer Tonne Kunststoffen pro Kopf. Darin zeigt sich schon die Relation zum gängigen Verständnis von Recycling via Altstoffsammlung: „Das heißt, Sie müssen schon über Ihr ganzes Leben sehr lang Kunststoff sammeln, damit Sie auf diese Tonne kommen, die da drin ist. Das soll nur zeigen, das sind große Potenziale.“

Metall aus dem Ruß

Bausubstanz mit ihrem Anteil an Stahl-, Aluminium- und Kupferschrott ist eine eher naheliegende Quelle für das Rohstoffrecycling. Aber die Forscher verfolgen noch andere Ziele, um den Rohstoffkreislauf so weit wie möglich zu schließen. Eine Überlegung ist, Metalle und Schwermetalle aus Rauchreinigungsanlagen zurückzugewinnen. Diese entstehen etwa bei der Verbrennung von gewöhnlichem Hausmüll und reichern sich in den Filtern der Anlagen an.

Auch wenn Verfahren, mit denen diese Rückstände wirtschaftlich effizient genutzt werden können, noch Zukunftsmusik sind, ist es „vielleicht in 100 Jahren ökonomisch, dass man sich diese Aschen (aus Zwischenlagern, Anm.) wieder rausholt“, um sie dann zu verwerten. Bis es so weit ist, kann es allerdings noch dauern: „Bis man da wirklich ein Verfahren hat, das ausgetestet ist, vergehen locker zehn Jahre.“

Mehr Forschung notwendig

Forschungsprogramme, so der TU-Experte, seien natürlich auch eine finanzielle Frage. Geld für Grundlagenforschung ist, wie man weiß, chronisch knapp. Immerhin: Die EU hatte im letzten Herbst in der Neuausrichtung ihrer Rohstoffstrategie Recycling als einen von drei Grundpfeilern der Versorgungssicherheit genannt und das Thema damit zumindest einmal aufgewertet. Dazu kommt, dass die zunehmende Verknappung natürlicher Vorkommen künftig vielleicht Verfahren rentabel macht, die es heute noch nicht sind.

Eine Frage der Komplexität

An Herausforderungen für die Forschung mangelt es im Gegensatz zu Geld nicht. Diese begännen schon damit, erklärt Rechberger, dass viele Produkte von sich aus nicht auf Wiederverwertbarkeit angelegt sind. Insbesondere gelte das auch für Gebäude. „Den Bauingenieur, den Planer, interessiert es überhaupt nicht, ob das Gebäude recycelbar ist, denn das passiert in 60 oder 70 Jahren, das heißt, da gibt es keine Produzentenverantwortung.“

Je komplexer Produkte sind, desto schwieriger seien sie natürlich zu recyceln. Ein Produkt, das in hundert oder mehr Schritten hergestellt wurde, könne man „nicht in drei oder vier Prozessschritten“ der Wiederverwertung zuführen. Für die Zukunft bedeute das, so Rechberger, „dass wir auch eine technologisch hoch entwickelte Abfallwirtschaft benötigen, das heißt, Recyclingtechnologien, die aus komplexen Produkten möglichst reine Stoffe machen, die man dann wieder nutzen kann“.

Nebeneffekt Umweltnutzen

Generell steht beim „Urban Mining“ die ökonomische Dimension im Vordergrund, allerdings mit einem positiven Nebeneffekt. „Wenn optimal recycelt wird, hat man schon einen Umweltnutzen“, so der TU-Experte. Außerdem dürfe „Urban Mining“, wenn es sinnvoll sein soll, nicht auf Kosten der Umwelt gehen. „Das ist immer eine Prämisse, wenn wir von ökologischer Nachhaltigkeit sprechen.“

Georg Krammer, ORF.at

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