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Kunst bis zur Reizüberflutung

Auf dem Wiener Messegelände hinter dem Prater findet zum siebenten Mal Österreichs größte Kunstmesse, die Viennafair, statt. 127 Galerien sind mit ihren Künstlern vertreten, der Schwerpunkt liegt bei Österreich sowie Ost- und Südosteuropa. Gleichzeitig findet, nicht weit entfernt, eine „Gegenmesse“ statt - ein Kommentar zum Kunstbetrieb.

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Bei der Präsentation der Viennafair ist man stolz auf die schiere Anzahl der vertretenen Galerien. 50 kommen aus Österreich, auch die großen Wiener Galerien sind heuer vertreten - was nicht immer der Fall war. 15 Aussteller sind aus Deutschland, weitere aus Belgien, Portugal, Finnland, Mexiko und Dubai. Ausgebaut wurde der Mittel- und Osteuropaschwerpunkt, mit elf Galerien aus Polen, sieben aus Rumänien, zwei aus Bulgarien, die drei baltischen Länder sind mit von der Partie, ebenso Georgien und Kasachstan.

Die kasachischen Künstler Yelena und Viktor Worobyew vor ihrem Kunstwerk, einem roten Teppich

ORF.at/Carina Kainz

Jelena and Viktor Worobjew

Ausstellungshinweis:

Viennafair: 12. bis 15. Mai, täglich von 11.00 bis 19.00 Uhr, Messegelände Wien.

Kasachische Celebritys

Aus Kasachstan, Almaty, hat es die Galerie Tengri-Umai zur Viennafair verschlagen. Jelena und Viktor Worobjew sind gleichzeitig die Galeristen und auch die ausgestellten Künstler: „Hier kaufen Sie nicht vom Händler, sondern gleich direkt vom Kunstschaffenden - das zahlt sich aus“, scherzte ein Herr vom Stand. Ins Auge sticht das Kunstwerk „Red Carpet“. Man sieht einen halb ausgerollten roten Teppich. Für Jelena Worobjew ist er ein Symbol für Globalisierung.

Denn der Teppich ist auf traditionell kasachische Weise hergestellt worden - er sieht filzähnlich aus. Und die moderne Celebritykultur habe sich auf der ganzen Welt ausgebreitet, sie dringe bis in die Ausläufer der Peripherie vor. Das Denken in Star- oder Nicht-Star-Kategorien setzt sich also bis in die Webetechnik des kasachischen Volkes fort. In Kasachstan, erzählte Worobjew, gebe es kaum Kunstinstitutionen. Was passiere, passiere auf Privatinitiative. Dennoch seien kasachische Künstler immer wieder auf den großen Biennalen vertreten. Die Teilnahme an einer großen Kunstmesse dürfte jedoch eine Premiere sein, mutmaßt die Künstlerin.

Estnische Emotionen

Ähnliches erzählte auch Piia Ausman, die Direktorin der Galerie Haus in der estnischen Hauptstadt Tallinn. Vom Staat gebe es kaum bis keine Kunstförderung. Man sei auf private Sponsoren und EU-Gelder angewiesen. Ausman hat in ihrer kleinen Box eine thematische Ausstellung zuwege gebracht. Zwei Künstler zeigen eindringliche Porträtserien, in denen es rein um die Conditio Humana geht, um das Menschsein im Fühlen, um die sich wandelnde Mimik, um Gesten, um Körperstellungen - nicht in der Statik, im Fließen leben wir, im Übergang zwischen Gefühlszuständen.

Mehrer Portraätbilder hintereinander zeigen das Aufkommen von Emotionen

ORF.at/Carina Kainz

Maarit Murkas Porträts

Gut für Entdeckungen

Die Wiener Galerie Bäckerstraße 4 zeigt mit Borjana Ventzislawowa eine Künstlerin aus Bulgarien, die in Wien in der Klasse von Peter Weibel studiert hat und sich mit Migrationsthemen auseinandersetzt. Sie zeigt in Fotos orthodoxe Juden und strenggläubige Muslime, die, einmal in Tracht, einmal in durchschnittlichem H&M-Look gekleidet, aufeinandertreffen. Auch die Österreicherin Judith Saupper wird gezeigt, mit einem „Puppentraumhaus“ für Flüchtlinge. Um auch einmal Preise zu nennen: Die drei Fotos von Ventzislavova kosten zusammen 6.000 Euro (es gibt insgesamt drei plus zwei von der Künstlerin angefertigte Prints), Sauppers Haus 6.600 Euro.

Generell gilt, dass die Ausstellung viele Überraschungen birgt. Von solarbetriebenen Hühnerinstallationen über die Aneinanderreihung Dutzender Computerdesktops bis hin zu einem Darkroom mit Sadomasoszenen, dazu natürlich figurative Malerei und der internationale Blick. Man muss für das karge, von der Messeleitung als innovativ gepriesene Ausstellungsdesign dankbar sein - es hilft, die Reizüberflutung hinauszuzögern.

Holzschnitzereikunst von Bernhard Tragut

ORF.at/Carina Kainz

Geschnitzte Skulpturen von Bernhard Tragut

Alles anders bei der „Gegenmesse“

Ganz anders geht es bei „One before - Messe Plus“ zu. „One before“, erklärte Kuratorin Gabriele Schöne, heißt die im Vergleich zur Viennafair kleine Ausstellung deshalb, weil man eine U-Bahn-Station vor der großen Messe aussteigen muss, um die Heinestraße 25 zu erreichen. Die Schau nennt sie „Gegenmesse“, mit Anführungszeichen und Augenzwinkern. Denn ums Verkaufen geht es auch hier - es soll nicht der Kommerz verteufelt werden, einzelne Werke kosten bis zu 12.000 Euro (beginnend bei 600). Sonst ist aber alles anders.

Schöne schlug gemeinsam mit Uwe Bressnik und Birgit Zinner je zwei Künstler vor, die dann jeweils weitere Künstler einladen durften, bis das Maß von 25 voll war, im Kettenbriefmodus. Das Modell ist Bottom-up - und damit genau das Gegenteil vom Top-down der Viennafair, wo Kuratoren, unterstützt von Sponsoren, Galerien einladen, die dann wiederum einzelne Künstler ausstellen, meist nach dem Prinzip der Verkaufbarkeit. Schöne sagt, dass viele Galeristen ihre interessanteren Künstler zu Hause lassen, wenn andere eher Profit versprechen.

Porträtarbeiten des Künstlers Gerald Holzer in der "One Before"-Ausstellung

ORF.at/Carina Kainz

Gerald Holzers Porträts

Ausstellungshinweis:

„One before - Messe plus“: noch bis 14. Mai, täglich von 17.00 bis 21.00 Uhr, Heinestraße 25, Wien.

Mit zwei Euro ist man dabei

Zudem meint Schöne, dass sich viele heimische Künstler über den Osteuropa-Schwerpunkt der Viennafair wundern würden. Man könne bei uns die Werke dieser Künstler oft schwer einordnen und mitunter nicht ganz nachvollziehen, wer hier warum vertreten sei. Und letztlich schaffe eine großzügige Altbauwohnung wie jene in der Heinestraße eine andere Atmosphäre als die weißen Boxen im Messezentrum.

Dennoch: Zwei der Künstler stellen sowohl bei „One before“ als auch bei der Viennafair aus - Markus Bacher und Patrick Baumüller. Letzterer wollte bei beiden Messen dasselbe Werk in identer Form ausstellen. Seine Galerie erlaubte das nicht, jetzt gibt es eine Kompromisslösung: Bei „One before“ hängen simple Fotokopien, die man um zwei Euro kaufen kann - das Original ist jedoch nur bei der Viennafair erhältlich. So wurde ein schöner Kommentar zu „Kunst im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit“ und auf die oft willkürlich anmutende Preisgestaltung auf dem Kunstmarkt daraus.

Geschichten zu erzählen

Schöne selbst stellt, wie meist, einen Medienmix aus. Auf Bildern sieht man Silhouetten von volkstanzenden Menschen und Waldtieren. In einem Video werden Aufnahmen von Volkstanz gezeigt. Das „echte“ Landleben ist in der postmodernen Gesellschaft hauptsächlich ein Konstrukt, so Schöne. Der Realität begegnen viele mit Angst: Was soll man eigentlich tun, wenn ein Reh vor einem steht - und was bei einem Volksfest, wenn die Blasmusik aufspielt?

Unter den zahlreichen spannenden Arbeiten bei „One before“ stechen besonders die Schnitzereien von Bernhard Tragut hervor. Eine Himmelsrakete etwa, die wie ein Altar aufgeklappt werden kann, in der ein Mann lässig im Wald herumsteht, oder eine Busenstehlampe samt Figuren. Sehenswert sind ebenfalls die gemalten, eindringlichen Porträts von Gerald Holzer, eines davon auf eine Satellitenschüssel gemalt.

Kunstinteressierte jedenfalls können beide Messen wie eine Ausstellung besuchen - und sollten dafür locker einen ganzen Tag einrechnen. Empfohlen seien in beiden Fällen Gespräche mit den Galeristen beziehungsweise Kuratoren. Die haben Geschichten zu erzählen ...

Simon Hadler, ORF.at

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