Themenüberblick

Jahrelang fehlte ein Name

Die US-Spezialkräfte sind im Schutz der Dunkelheit gekommen, um das Versteck von Al-Kaida-Chef Osama bin Laden zu stürmen. Nach Angaben aus Regierungskreisen in Washington landete eine „kleine Einheit“ in der Nacht auf Montag mit zwei Hubschraubern auf einem abgeschirmten Anwesen in Abbottabad, weniger als 100 Kilometer nördlich der pakistanischen Hauptstadt Islamabad.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Etwa 40 Minuten dauerte die riskante Kommandoaktion, bei der der meistgesuchte Terrorist der Welt getötet wurde. Dem Zugriff ging jahrelange Geheimdienstarbeit voraus. Auf die Spur kamen die Nachrichtendienste dem Al-Kaida-Chef nach Angaben eines ranghohen US-Beamten vor vier Jahren über einen Boten, der als einer der wenigen galt, denen Bin Laden vertraute. Verhöre festgenommener Terrorverdächtiger hätten darauf hingedeutet, dass dieser Bote mit Bin Laden lebte und diesen beschützte. Über Jahre hinweg sei es aber nicht möglich gewesen, den echten Namen des Mannes herauszufinden.

„Wir waren entsetzt“

Vor zwei Jahren konnten die Geheimdienste „Gegenden ausmachen, von denen aus der Bote und sein Bruder operierten“, sagte der US-Vertreter. Im August 2010 kam schließlich der Durchbruch, als ihre Residenz im wohlhabenden Abbottabad entdeckt wurde. „Wir waren entsetzt von dem, was wir sahen“, sagte der Beamte.

Das Anwesen habe zwei Sicherheitstore gehabt und alle anderen Häuser in der Gegend in den Schatten gestellt. Rund um den Komplex seien mehr als fünf Meter hohe Mauern mit Stacheldraht errichtet worden, zudem habe es weitere innere Wände und nur wenige Fenster an der Außenfassade gegeben. Das etwa eine Million Dollar teure, 2005 errichtete Anwesen habe keinen Telefon- und Internetanschluss gehabt. „Geheimdienstexperten kamen zu dem Schluss, dass diese Residenz für jemanden von Bedeutung gebaut wurde.“

Der Komplex, der etwa achtmal so groß sei wie andere in der Nähe befindliche Gebäude, liege auf einem großen Grundstück, das zum Zeitpunkt des Baus im Jahr 2005 ziemlich abgelegen gewesen sei. Es habe sich damals am Ende einer Schotterstraße befunden, in der Zwischenzeit seien aber in der Umgebung mehrere Häuser gebaut worden.

Gebäude in Abbottabad, in dem sich Osama bin Laden versteckt gehalten hat.

APA/EPA/Iftikhar Tanoli

Das Versteck Bin Ladens

DNA-Test bestätigt Identität

Alles habe dafür gesprochen, dass es sich um das Versteck Bin Ladens handelte, andere Quellen hätten das bestätigt. Im Februar seien die Geheimdienste schließlich überzeugt gewesen, und das Weiße Haus habe mit den Vorbereitungen für den Zugriff begonnen. Ab März habe sich Präsident Barack Obama regelmäßig mit seinem Sicherheitsstab getroffen, um die Optionen abzuwägen, sagte ein weiterer US-Beamter. Aus Sicherheitsgründen seien die Erkenntnisse und Pläne mit niemandem geteilt worden, auch nicht mit Pakistan.

Der Leichnam Bin Ladens wurde laut CNN durch einen DNA-Test eindeutig identifiziert. Proben seien dazu erfolgreich mit dem Erbgut von Verwandten des Terrorpaten abgeglichen worden.

Einsatz der Navy SEALs?

Unbestätigten Berichten zufolge führte die US-Elitetruppe Navy SEALs den Angriff aus. Die SEALs (SEAL für Sea, Air, Land; englisch auch für Seehunde, Anm.) werden hauptsächlich für besonders schwierige Missionen eingesetzt und pflegen eine enge Zusammenarbeit mit dem US-Auslandsgeheimdienst CIA. Bis heute erlaubt die nur rund 3.500 Mann starke Truppe keine Frauen in ihren Reihen.

Am Freitag habe Obama den Zugriffsbefehl gegeben. Der „chirurgische Angriff“ sei am Sonntag erfolgt und habe weniger als 40 Minuten gedauert. Ein US-Hubschrauber setzte demnach ein „kleines Team“ in den stark gesicherten Komplex ab. Bei Schusswechseln seien neben Bin Laden der Bote, dessen Bruder und ein Sohn Bin Ladens getötet worden.

CNN: Auftrag war „Kill“-Mission

Auch eine Frau sei getötet worden, die von einem Al-Kaida-Kämpfer als Schutzschild missbraucht worden sei. Der Zugriff sei nicht nur wegen der starken Sicherheitsvorkehrungen und der Nähe zu Islamabad gefährlich gewesen, sondern auch weil sich Frauen und Kinder auf dem Anwesen befanden.

Laut CNN war es nicht geplant, Bin Laden festzunehmen. Es habe sich dabei um einen Auftrag zur gezielten Tötung des Extremistenführers, eine „Kill“-Mission, gehandelt, berichtete CNN am Montagnachmittag unter Berufung auf offizielle Quellen.

Panne mit Helikopter

Die US-Spezialkräfte blieben unverletzt. Allerdings sei einer der beiden Helikopter wegen einer „mechanischen Panne“ ausgefallen und deshalb zerstört worden, hieß es. Beim Rückzug habe die gesamte Einheit mit dem verbleibenden Hubschrauber ausgeflogen werden müssen - samt der Leiche Bin Ladens, die durch einen Gesichts- und Körperscan identifiziert wurde. Die US-Regierung gab zunächst nur wenige Details zu der Spezialtruppe und dem Einsatz selbst bekannt. Der TV-Sender ABC berichtete, es habe sich um rund 25 Soldaten der Eliteeinheit Navy SEALSs gehandelt.

Luftaufnahme und Kennzeichnung des Areals, in welchem Bin Laden getötet wurde

AP/CIA

Bin Ladens Versteck: Nicht in einer Berghöhle, sondern mitten in Pakistan

Weit weg von Tora Bora

Der Aufenthaltsort von Bin Laden - tief im Kernland Pakistans und nur rund eine Stunde Autofahrt nördlich der Hauptstadt Islamabad - ist jedenfalls eine Überraschung. Jahrelang war er in den Bergen von Tora Bora im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet vermutet worden. Später hatte es immer geheißen, Bin Laden habe sich in die entlegenen Stammesgebiete im Westen Pakistans zurückgezogen.

FBI-Fahndungsfoto von Bin Laden

Reuters/FBI

Bin Laden umgehend aus der „Most wanted“-Liste des FBI gestrichen

Das wird wohl auch erneut die Frage aufwerfen, wie sehr Pakistan im Anti-Terror-Kampf tatsächlich zur Kooperation mit den USA bereit ist. Islamabad hatte jahrelang bestritten, dass sich Bin Laden in Pakistan aufhält. Die US-Geheimdienste wiederum hatten jahrelang die Spur des Al-Kaida-Chefs verloren. Es ist unwahrscheinlich, dass der pakistanische Geheimdienst Bin Ladens Aufenthaltsort nicht kannte - umso mehr, als sich nur wenige hundert Meter von dessen Anwesen entfernt eine große Militärbasis befindet.

Pakistan bestätigt Tod

Auch der pakistanische Geheimdienst ISI bestätigte die Tötung Bin Ladens. Laut ISI-Chef Ahmed Shuja Pasha ist auch einer von Bin Ladens Söhnen unter den Toten. Die drei Ehefrauen des Topterroristen, sechs weitere Bin-Laden-Söhne sowie vier enge Mitstreiter wurden den Angaben zufolge festgenommen.

Laut pakistanischen Sicherheitskreisen lief die Operation kurz nach Mitternacht (Ortszeit) an und dauerte insgesamt vier Stunden. Wie lange der Kampf selbst dauerte, sagten die pakistanischen Quellen nicht. Der Einsatz sei von US-Kräften geführt worden. Pakistanische Einheiten hätten die Aktion unterstützt, sagte ein Geheimdienstmitarbeiter, der anonym bleiben wollte.

Videograb des Schlafzimmers, in welchem BIn Laden getötet wurde

Reuters/ABC News

Zimmer in Bin Ladens Versteck nach der Kommandoaktion

Rasche Bestattung

Eilig hatten es die USA offensichtlich mit der Bestattung. Nur wenige Stunden nach dem Tod Bin Ladens wurde dieser bereits auf hoher See bestattet. Damit soll offenbar verhindert werden, dass die Grabstätte Bin Ladens zu einer Pilgerstätte für radikale Islamisten wird. Zugleich entspricht ein Begräbnis innerhalb eines Tages auch den islamischen Vorschriften. Die Beisetzung sei nach islamischen Regeln erfolgt, betonte auch ein US-Regierungsvertreter.

Pakistanische Fernsehsender veröffentlichten am Montag angebliche erste Bilder des getöteten Al-Kaida-Chefs. Die Bilder wurden den Sendern nach eigenen Angaben aus Militärkreisen zugespielt. Wenig später kam das Dementi: Bei den Bildern handle es sich um eine Fotomontage, die bereits 2009 im Internet kursiert sei, so der TV-Sender Geo.

Die USA versetzten ihre diplomatischen Vertretungen in aller Welt in Alarmbereitschaft. US-Amerikaner in Staaten, „in denen die Tötung Bin Ladens Gewalt auslösen könnte“, wurden in einer weltweiten Reisewarnung aufgerufen, in ihren Häusern zu bleiben. Grund ist die Befürchtung, dass Terroristen Vergeltungsanschläge verüben könnten.

Links: