Nur eine PR-Lüge?
Der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi hat in der Nacht auf Sonntag einen NATO-Luftangriff auf seine Residenz überlebt, bei dem sein jüngster Sohn Saif al-Arab und drei Enkelkinder ums Leben kamen. Der libysche Regierungssprecher Mussa Ibrahim verurteilte den „gezielten Angriff“ auf Gaddafi als Verletzung des Völkerrechts.
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Die NATO betonte, dass der Luftschlag einem „Kommandozentrum“ im Tripoliser Stadtteil Bab al-Asisija gegolten habe. „Die Luftschläge richten sich auf militärische Ziele, nicht auf Individuen“, hieß es. Der britische Premier David Cameron betonte Sonntagmittag, es könne weder bestätigen noch dementieren, dass Saif al-Arab getötet wurde, betonte aber, die NATO-Truppen würden sich an das UNO-Mandat halten.
Scharfe Kritik von Moskau
Genau dazu droht aber der NATO nun eine Debatte. Russland kritisierte die Angriffe bereits scharf und meldete offiziell Zweifel an der Erklärung der Allianz an, wonach die Tötung Gaddafis kein Ziel des Militärbündnisses sei. Der Tod von Familienangehörigen Gaddafis stehe im klaren Widerspruch zur Resolution des Weltsicherheitsrats, in der Angriffe nur zum Schutz von Zivilisten erlaubt seien. Der Chef des Auswärtigen Duma-Ausschusses, Konstantin Kossatschow, sprach von einer „groben Einmischung“ der NATO.
Allerdings wurde der Tod des Gaddafi-Sohnes bisher nur vom libyschen Regime selbst bestätigt. Die Rebellen zweifeln an dieser Darstellung und sehen darin eine PR-Lüge, um Gaddafi senior als tapferen Führer darzustellen, der seinen Kampfgeist selbst nach dem Verlust des eigenen Kindes nicht verliert.

Reuters/Louafi Larbi
Zerstörtes Wohnzimmer in Bab al-Asisija
Das libysche Fernsehen zeigte Bilder von dem Haus des Gaddafi-Sohnes, das bei dem Angriff völlig zerstört wurde. Muammar al-Gaddafi und seine Frau hätten sich im Gebäude aufgehalten, seien aber unverletzt geblieben, berichtete Ibrahim. Er verurteilte den Luftangriff scharf.
Drei schwere Explosionen
„Jetzt gilt offenbar das Faustrecht. Es ist nun allen klar, dass das, was in Libyen derzeit passiert, nichts mit dem Schutz von Zivilisten zu tun hat.“ Augenzeugen hatten am späten Samstagabend von drei schweren Explosionen im Stadtteil Bab al-Asisija berichtet, in dem sich Gaddafis Residenz befindet. Über der Stadt wurden NATO-Flugzeuge gesehen. Nach den Explosionen war Flugabwehrfeuer zu hören.
Die NATO bombardiert seit Wochen militärische Ziele in Libyen. Grundlage dafür ist eine UNO-Resolution, die den Einsatz von militärischer Gewalt zum Schutz von Zivilisten in dem Bürgerkriegsland erlaubt. Die NATO-Angriffe werden als Unterstützung für die gegen Gaddafi kämpfenden Rebellen gesehen, die den Osten des Landes kontrollieren. In der Rebellenhochburg Bengasi löste die Todesnachricht des Gaddafi-Sohnes in der Nacht auf Sonntag spontane Freudenfeiern auf den Straßen aus. Der Tod von Saif al-Arab bedeute, dass sein Vater nun schwächer sei als zuvor, hieß es. Das Staatsfernsehen zeigte dagegen Gaddafi-Anhänger in Tripolis, die gegen den Angriff protestierten.
US-Botschaft angezündet
Die Oppositionszeitung „Brnieq“ meldete, kurz nach dem Luftangriff hätten Gaddafi-Anhänger die US-Botschaft in Tripolis angezündet. Die US-Diplomaten hatten die Vertretung bereits im Februar, kurz nach Beginn des Aufstandes gegen Gaddafi, verlassen.
„Nicht auf Individuen“
Ein NATO-Sprecher bestätigte den Luftangriff, doch habe dieser nicht Gaddafi gegolten. „Die Luftschläge richten sich auf militärische Ziele, nicht auf Individuen“, sagte ein Sprecher der Militärallianz am Sonntag in der Früh. Die libyschen Angaben über die Tötung von Mitgliedern der Gaddafi-Familie bezeichnete das Verteidigungsbündnis als „unbestätigte Medienberichte“. Man bedauere aber jedes Opfer.
Saif al-Arab ist nicht zu verwechseln mit Gaddafis zweitältestem Sohn und möglichem Nachfolger, dem Wahl-Wiener Saif al-Islam. Über den 29-Jährigen Saif al-Arab ist wenig bekannt. Der sechste Sohn Gaddafis hielt sich zwischen 2006 und Februar 2011 in München auf, wo er einen Sprachkurs und ein Studium absolvierte. Er soll sich auch als Baumaschinenhändler verdingt haben. Der Polizei fiel der Gaddafi-Sohn wegen seines besonders lauten Ferraris und Schlägereien in Nobeldiskotheken auf. Die deutsche Justiz ermittelte gegen ihn auch wegen des Verdachts, im Jahr 2008 in einem Diplomatenauto Waffen transportiert zu haben.
Saif al-Arab ist wahrscheinlich bereits der zweite Sohn des libyschen Machthabers, der seit Ausbruch des Aufstandes gegen das Regime getötet wurde. Nach Angaben von Aufständischen war sein Bruder Khamies bereits Mitte März ums Leben gekommen, als ein Pilot der libyschen Luftwaffe seinem Kampfjet absichtlich über Bab al-Asisija zum Absturz brachte. Von der Regierung in Tripolis wurden die Berichte jedoch bestritten.
Tag nach TV-Rede Gaddafis
Der Angriff ereignete sich einen Tag nachdem Gaddafi in einer Fernsehansprache einen Machtverzicht kategorisch ausgeschlossen hatte. Er werde sein Land nicht verlassen und „bis zum Tod kämpfen“, sagte der seit 1969 autokratisch herrschende Oberst. Er sei aber zu Verhandlungen mit Frankreich und den USA bereit. „Wenn sie das Öl wollen, werden wir Verträge mit ihren Firmen abschließen, es ist nicht nötig, Krieg zu führen.“ Während Gaddafis Ansprache schlug eine NATO-Bombe nahe dem Fernsehgebäude in Tripolis ein.
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