Themenüberblick

Die Gründe für das „Ausflaggen“

Ginge es nach der Flagge, müssten die größten Flotten von Frachtschiffen nicht Reedern aus Deutschland, sondern aus Afrika, Lateinamerika und der Karibik gehören - tun sie aber nicht. Die Erklärung für den Haken in der Statistik lautet „Ausflaggen“ und bedeutet nichts anderes, als dass Eigentümer ihre Schiffe aus unterschiedlichsten Gründen im Ausland registrieren lassen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Die reichen vom bloßen Steuervorteil bis hin zu Machenschaften zumindest am Rand der Legalität. Möglich machen das Länder, die gegen Devisen Registrierungen von ausländischen Schiffen ermöglichen: rasch, unbürokratisch und manchmal auch ohne viele Fragen. Laut aktuellen Schätzungen fahren derzeit über 6.000 Container- und Tankschiffe mit einer Lizenz aus Panama, über 1.500 mit einer von den Bahamas.

Heimathafen Monrovia, Liberia

Weiters unter den Anbietern von „Billigflaggen“ (engl. „Flags of Convenience“) zu finden sind das westafrikanische Liberia, Karibikstaaten wie Aruba, Antigua und Barbuda, sogar der Binnenstaat Mongolei. Laut einer Reportage des deutschen ZDF stammte 2007 ein Drittel der liberianischen Haushaltseinnahmen aus dem Geschäft mit Schiffsregistrierungen. Danach, mit der Wirtschaftskrise und einer entsprechenden Flaute für die Reeder, stiegen diese Zahlen noch weiter an. Und auch wenn deutsche Schiffe norwegische Namen wie „Stavanger“ und „Trondheim“ tragen, kann der Heimathafen Monrovia (Liberia) heißen.

„Wer Schwarz-Rot-Gold hisst, muss zahlen“

Deutschland kämpft nun darum, so ein Bericht der „Financial Times Deutschland“ von Ende April, zumindest einen Teil seiner Reeder zum „Umflaggen“ zu überreden. Derzeit sind nicht einmal 20 Prozent ihrer rund 3.600 Schiffe in der Bundesrepublik zugelassen. „Wer Schwarz-Rot-Gold hisst, der muss zahlen“, hieß es in dem Artikel. Noch vor dem Hissen ist ein Behördenmarathon über 16 verschiedene Stellen zu absolvieren.

Wer trotz Bürokratie „umflaggt“, verliert zusätzlich noch Geld, wie der Reeder ER Schifffahrt, der kürzlich den Heimathafen seiner „Cosmo Germany“ von Monrovia nach Hamburg verlegte. Dem verursacht das Kosten von rund 500.000 Euro pro Jahr. Außerdem muss das Schiff ab jetzt einen deutschen Kapitän haben, an Bord gelten deutsche Gesetze.

Subventionen für „Umflaggen“

Während der Krise, so die deutsche Zeitung, habe es den Cargo-Gesellschaften „niemand verübelt, dass sie nicht mehr Schiffe umgeflaggt“ hätten. Doch nun machen Regierung und Gewerkschaften wieder etwas mehr Druck. Mittelfristig sollen zumindest wieder 600 deutsche Schiffe unter der Heimatflagge fahren. Die Regierung in Berlin habe dafür im Gegenzug Subventionen „von der Ausbildungsförderung über Zuschüsse bei den Lohnkosten bis zur fast vollständigen Steuerbefreiung der Gewinne durch die sogenannte Tonnagesteuer“ versprochen, hieß es. Ende Mai soll verhandelt werden.

Unhaltbare Zustände an Bord

Dem Fiskus entgehen durch die „Flaggenflucht“ Millionen an Steuereinnahmen pro Reeder und Jahr, die Gewerkschaften sorgen sich u. a. um die Arbeitsbedingungen an Bord. Dass Sorgen nicht unbegründet sind, haben bereits mehrere Fälle gezeigt, wo sich Reeder, anders als die Hamburger, nicht so recht mit ihren strengen nationalen Standards anfreunden können: Mehrfach tauchten in den letzten Jahren Berichte über Piratenfischer auf, die sich – unter Billigflaggen – über sämtliche Fangbegrenzungen und -verbote hinwegsetzen und die Ozeane leerräumen.

Im letzten Herbst setzte die britische Küstenwache den Frachter „Most Sky“ fest, dessen Crew, bestehend aus türkischen, georgischen und aserbaidschanischen Matrosen, ihre Arbeit an Bord unter menschenunwürdigen Bedingungen verrichten musste. An Bord des in Panama registrierten Schiffes gab es keine Heizung, in den Kabinen teils nicht einmal Licht.

„Gesetzlosigkeit nicht nur Metier von Piraten“

„Gesetzlosigkeit auf den Ozeanen ist nicht nur das Metier von Piraten“, ist das Resümee der britischen Autorin und Journalistin Rose George, und Billigflaggen würden es schwierig machen, Reeder für Verstöße gegen das Arbeitsrecht, für Umweltschäden etc. zur Verantwortung zu ziehen.

Früher, hieß es in einem Kommentar Georges unter dem Titel „Flying Flags, Fleeing the State“ („Flaggen hissen, dem Staat entkommen“) Ende April in der „New York Times“, sei die Sache klar gewesen: Schiffe unter der Nationalflagge ihres Landes seien unter dessen Schutz gestanden, aber auch seinen Gesetzen verpflichtet gewesen. Das habe sich geändert, als erst Anfang des 20. Jahrhunderts Panama und später Länder wie Liberia Reedern die Registrierung ihrer Schiffe anboten. Laut George nutzen heute 60 Prozent aller Reeder fremde Flaggen. Manche Länder verlangten nicht einmal einen Identitätsnachweis der Besitzer. „Derart einfache Anonymität ist gefährlich.“

George nennt ein Beispiel: den Öltanker „Erika“, der 1999 vor der bretonischen Küste sank und dabei mehr als die Hälfte seiner 30.000 Tonnen Fracht verlor. Das Schiff war erstmals in Japan von Stapel gelaufen, fuhr später im Auftrag des französischen TotalFinaElf-Konzerns für eine italienische Reederei – unter maltesischer Flagge. Beim Prozess nach dem Tankerunglück kostete es die Behörden einige Zeit, dieses Geflecht der Verantwortlichkeiten aus Vercharterern, „Ausflaggen“ etc. zu entwirren.

Rechte ohne Pflichten?

Die Folge der globalisierten Wirtschaft, die sich in der Frachtschifffahrt besonders deutlich zeige, dürfe nicht sein, dass Staaten keine Verantwortung mehr für die Schiffe übernehmen. In Deutschland hatte das Stichwort Verantwortung zu der Debatte beigetragen, nämlich als es um Forderungen ging, de facto deutsche Schiffe (unter welcher Flagge auch immer fahrend) sollten Geleitschutz der Bundeswehr bekommen, um sie vor Piraten zu schützen.

In einem Weblog der deutschen Marine gingen daraufhin die Wogen hoch: „Tarifflucht begehen, indem man seine Schiffe in Billiglohnländer ausflaggt, dadurch Arbeitsplätze in Deutschland vernichtet und dann laut fordern, dass die Marine eben diese Schiffe auch noch besonders schützen soll, zeigt eine gewisse Dreistigkeit“, hieß es in einem Kommentar im „Seefahrerblog“. „Mir erschließt sich nicht, wieso ein deutsches Verteidigungsministerium sich auch nur eine Sekunde mit Unternehmen auseinandersetzt, die ihre Schiffe deutschen Sicherheitsstandards und Lohntarifen entziehen.“

Links: