Lob und kleiner Tadel für Pröll
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„Kronen Zeitung“, Wien, 14. April 2011
Staatsmännisch und verantwortungsvoll
Von Claus Pandi
„Er wird den meisten als anständiger und heiterer Optimist in Erinnerung bleiben.“ Die Entscheidung, der Politik den Rücken zu kehren, „mag gesundheitlich begründet sein“. Tatsächlich aber sei die Erkrankung nur der letzte Anstoß gewesen. „Pröll hat in den vergangenen Wochen erkennen müssen, dass er an seiner Partei zerschellt ist. Und das ist am allerwenigsten Prölls Schuld, sondern die der ÖVP.“ Außenminister Michael Spindelegger, der Pröll nachfolgen soll, müsse jetzt vor allem „die Intrigennester“ in seiner Partei ausräumen.
„Die Presse“, Wien, 14. April 2011
Gescheitert ist er an seinen Freunden
Von Rainer Nowak
Josef Pröll tritt aus gesundheitlichen Gründen zurück. Er könnte auch wegen der ÖVP gehen. Oder der Koalition. Er hinterlässt die Konkursmasse, die er übernommen hat.
Keiner personifiziert das Dilemma der Volkspartei so perfekt wie Josef Pröll heute. Obwohl der abtretende Parteichef, Vizekanzler und Finanzminister in seinen größten Vorhaben, nämlich der strukturellen Reform der Partei einerseits und der strukturellen Reform des Landes andererseits, vollständig und nachhaltig gescheitert ist, war und ist er der beste ÖVP-Obmann, den sich die Partei wünschen kann.
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Als Pröll die Partei übernehmen durfte, war schon eine weitere Wahl verloren. Noch hatte er Elan, noch traute er sich etwas und folgte Veränderungen der Gesellschaft auch mit seiner Partei: Dass die Dreiviertelzustimmung der Partei zu einem realpolitisch völlig irrelevanten Thema wie der eingetragenen Homosexuellen-Partnerschaft als Meilenstein der Ära Pröll in die Chroniken der Partei eingehen wird, spricht Bände.
Denn ansonsten steht die Partei noch genauso da, wie sie Erhard Busek nach seinem Scheitern verlassen hat: Funktionärsseilschaften, genannt Bünde, regieren ihren sorgsam umzäunten Einflussbereich. Und noch schlimmer: Die Landesparteichefs, im schlimmsten Fall im Rang eines Landeshauptmanns, blockieren jedwede Reformbestrebung in der Politik. Damit der gerade am Frühstücksbuffet in der Parteizentrale amtierende Obmann weiß, wo die Macht zu Hause ist, können ihm die Länderchefs bei Bedarf sofort die Unterstützung streichen. Was St. Pöltens Erwin Pröll seinem Neffen einmal auch durchaus vorgeführt hat.
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„Der Standard“, Wien, 14. April 2011
Starker Abgang, klarer Befund
Von Alexandra Föderl-Schmid
Es war ein starker Abgang mit einer Botschaft: Josef Pröll hat nicht einfach seine Ämter zur Verfügung gestellt, sondern seinen Rückzug mit einem klaren Befund und Aufforderungen an seine Parteifreunde und die Regierungsmitglieder verknüpft. Es war ein politisches Vermächtnis und eine Handlungsanleitung, die er ihnen mit auf den Weg gab.
Jeder der von Pröll genannten Punkte ist zutreffend: dass es einen „Mangel an Anstand einzelner Politiker“ gebe, dass das Vertrauen in die Politik „massiv beschädigt“ sei und es einen „beharrlichen Stillstand in wesentlichen Zukunftsfragen“ des Landes gebe. Dennoch verharrten „wesentliche Teile in Opportunismus und Populismus“. Bei seinem Abgang hob Pröll außerdem die europäische Perspektive hervor, setzte die „europäische Idee“ ausdrücklich vor seine „österreichische Heimat“.
Gleichzeitig war es eine Kapitulationserklärung. Pröll wusste, was zu tun gewesen wäre. Schon in seiner „Projekt Österreich“-Rede im Oktober 2009, deren Inszenierung den Inhalt in den Hintergrund hat treten lassen, riss er die richtigen Themen an.
In der Umsetzung blieb Pröll aber vage und zögerte zu oft. Es lag auch an ihm, dass Reformen nicht umgesetzt wurden: So war er als Chef der ÖVP-Perspektivengruppe für die Homo-Ehe, in Regierungsverantwortung schreckte er vor der Umsetzung zurück. Wer als Parteichef Fritz Neugebauer zu Verhandlungen über Bildungsreformen schickt, weiß, dass wenig bis nichts herauskommt. Die Wissenschaftsministerin hat er im Regen stehen lassen. Als ehemaliger Bauernfunktionär hat er dafür gesorgt, dass bei der Budgetkonsolidierung die Landwirte geschont wurden. Er hat sich von seinem Onkel Erwin öffentlich bei Pressekonferenzen vorführen lassen und sich dessen Schulideen zu eigen gemacht, die auf eine weitere Zersplitterung des Systems hinausgelaufen wären.
Dass Österreich gut durch die Krise gekommen ist, das ist auch auf die Beamten des Finanzministeriums zurückzuführen, auf die Pröll gehört hat. Aber er hat, anders als die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, im Gegenzug für Finanzhilfe nicht auf strenge Auflagen für die Banken gedrängt - wovor etwa Raiffeisen gewarnt hat. All jene, die sich von ihm eine liberalere Ausrichtung der Partei erhofft haben, fühlten sich dadurch enttäuscht, dass er Maria Fekter als Innenministerin installierte und deren Ausgrenzungspolitik akzeptierte. Und dass er die Wahl von Martin Graf (FPÖ) zum Dritten Nationalratspräsidenten empfahl. Der Reformer Bernd Schilcher sagte in einem Standard-Interview: „Diese strukturelle Feigheit teilt Pröll mit Faymann.“
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Die Rücktrittserklärung Prölls könnte ein Weckruf für die Partei, die Koalition und das Land sein.
„Kurier“, Wien, 14. April 2011
Deutliche Worte zum Abschied
Von Helmut Brandstätter
Wer einmal gesehen hat, mit welcher Lust Josef Pröll auf ein Podium springt, wie sehr er das Licht von Fernsehkameras genießt und wie wohl er sich mitten in einer Menschenmenge fühlt, der weiß, wie schwer ihm der Abschied aus der Politik gefallen ist. Der öffentliche Auftritt und der verbale Schlagabtausch, das waren seine Stärken. Er konnte unter Druck arbeiten, wenn die Themen von außen vorgegeben waren. Die Finanzkrise wurde gut gemanagt.
Seine Schwächen waren aber genauso augenfällig. Im Oktober 2009 stellte der Vizekanzler das „Projekt Österreich“ vor. Er brachte neue Ideen, versprach gar ein Konklave zur Verwaltungsreform. Josef Pröll war stark im Andenken, aber nicht immer im Durchdenken, er setzte zu Reformen an, aber er setzte sie nicht durch.
Natürlich, da ist ein Koalitionspartner, der gerne auf seine strukturkonservative Wählerschaft Rücksicht nimmt. Aber er rannte mit seinen Reformideen auch in der eigenen Partei, vor allem bei den starken Landeschefs, gegen Gummiwände. Josef Pröll ist der erste ÖVP-Chef, der nicht an den Bünden, sondern auch an den nur noch in ihren Grenzen denkenden Landesfürsten scheiterte.
In diesem Sinn hat uns der scheidende Vizekanzler mit seiner Abschiedsrede leicht zu merkende Botschaften hinterlassen: Anstand und Stillstand. Anstand lässt sich nicht verordnen, da brauchen wir mehr Kontrolle und mehr Vorbilder: Bei der Personalauswahl ist dem künftigen ÖVP-Chef mehr Fortune zu wünschen.
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„Vorarlberger Nachrichten“, Schwarzach, 14. April 2011
Späte Erkenntnis
Von Kurt Horwitz
Der Rücktritt des Josef Pröll ist nicht nur die logische Konsequenz aus seiner schweren Erkrankung und der folgenden langen Absenz von der politischen Bühne. Sie ist auch die Folge frustrierender Erlebnisse in der Politik und in der eigenen Partei.
Wenn Pröll gestern bei seinem Abschied Stillstand in der politischen Entwicklung sowie das Fehlen von Anstand beklagt, hat er zweifellos Recht. Aber er hätte es mit in der Hand gehabt, durch Personalauswahl und klare Worte gegenzusteuern.
Insofern ist die Erkenntnis Prölls zwar richtig, aber sie kommt zu spät: Als ÖVP-Obmann und als Vizekanzler hätte Pröll schon vor seiner eindrucksvollen Abschiedsrede Zeichen setzen können. Das ist ihm zumindest gegen Ende seiner politischen Karriere nicht mehr gelungen, und das mag auch mit ein Grund gewesen sein, jetzt einen Schlussstrich zu ziehen.
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„Wiener Zeitung“, Wien, 14. April 2011
Anstand und Stillstand
Von Reinhard Göweil
Mit einer klugen Analyse des Landes hat sich Josef Pröll aus der Politik verabschiedet. Es fehle manchen Politikern an Anstand, und es gibt in wichtigen Zukunftsfragen Stillstand. Diese Gemengelage beschädigt das Vertrauen in die Politik und - für den tief involvierten Pröll noch schmerzhafter - die Erfolge in der Bewältigung der Krise. Ein H.C. Strache steigt in den Umfragewerten, obwohl er definitiv nichts zur wirtschaftlichen Krisenbewältigung beigetragen hat. Im Gegenteil, er hätte so manche europäische Anstrengung abgelehnt - für heimische Banken (und in der Folge deren Kunden) wäre so ein Verhalten desaströs gewesen.
Ob Prölls starke Worte dazu beitragen, die politische Kultur in Österreich zu heben, wird sich weisen. Die Volkspartei beispielsweise müsste sich wohl von Struktur auf neu erfinden. Ob die Bünde und die mächtigen Landesorganisationen nun dazu bereit sind, ist nicht zu erkennen.
Was die Volkspartei Tradition nennt, ist über weite Strecken bloße Klientelpolitik. Um in den urbanen Bereichen wieder stärker zu werden, müsste die Volkspartei ihre bildungspolitischen Starrheiten vollkommen überwinden. Um als moderne Partei wahrgenommen zu werden, müsste sie auch aufhören, der Landwirtschaft bei praktisch allen Veränderungen Ausnahmen zuzugestehen. Politische Pluralität und Offenheit - dafür steht die Volkspartei derzeit gar nicht.
Wenn sie antritt, um 2013 wieder Nummer 1 zu werden, wäre es notwendig, dass sie in den Städten Wähler zurückgewinnt. Dazu gehört - neben den Inhalten - auch glaubwürdiges politisches Personal. Daran fehlt es ihr. Dieses Schicksal teilt die Volkspartei mit der SPÖ, der FPÖ sowie dem BZÖ. Geteiltes Leid ist in diesem Fall kein halbes Leid - es ist die Volkspartei, die in einer Krise steckt.
Ein unmittelbares Arbeitsumfeld, in dem sich manche Glücksritter tummeln, ist für Anständige nicht attraktiv. Ein inhaltliches Umfeld, das durch Stillstand gekennzeichnet ist, wird Kreative fernhalten. Die Politik hat sich selbst in ein Korsett gezwängt, dessen Enge vielen erst wieder bewusst wird, wenn so starke Impulse wie der Rücktritt des Vizekanzlers kommen. Josef Pröll hat mit seiner letzten Rede den Punkt getroffen. Zu hoffen wäre, dass sie nicht morgen schon vergessen ist.
„WirtschaftsBlatt“, Wien, 14. April 2011
Neue Perspektiven braucht das Land
Von Esther Mitterstieler
Es waren einige sehr weise Worte, die Josef Pröll zu seinem Abschied als ÖVP-Parteiobmann, Vizekanzler und Finanzminister von sich gab. Besonders das traurige Eingeständnis vom fehlenden Anstand und Stillstand in der österreichischen Politik. Er, der im Jänner 2007 noch unter der Parteileitung Wilhelm Molterers bei der Auftaktversammlung der ÖVP-Perspektivengruppe sagte, die ÖVP müsse entstaubt werden.
Für frischen Wind hat Pröll in diesen Jahren gesorgt. Allein: die Wirkung war nicht immer die erhoffte: Die jüngsten Skandale um EU-Mandatare waren nicht die einzigen unglücklichen Personalentscheidungen, die er letztlich auf seine Kappe nehmen muss. Viel ist ihm auch gelungen, so etwa, dem Koalitionspartner im Dezember 2008 noch einmal den strategisch wichtigen Finanzminister-Posten abzutrotzen und damit seiner Partei eine beruhigende Machtposition zu verschaffen.
Bei der Umsetzung der Ziele allerdings ist Pröll nicht immer am erwünschten Ziel angekommen. Wobei man nicht vergessen darf, dass er in einer Koalition mit dem größeren Partner SPÖ naturgemäß nicht allein seine Wunschvorstellungen durchsetzen konnte. Gleichwohl: Nicht nur die Wirtschaft ist zurzeit unzufrieden und wünscht sich eine Politik nach dem Motto „Anstand statt Stillstand“. Wenn Kanzler Werner Faymann öffentlich darauf hofft, mit seinem Koalitionspartner genauso gut weiterzuarbeiten wie bisher, ist das schon fast eine Drohung. Zu sehr hat sich in den vergangenen Monaten der Stillstand breit gemacht.
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„Neues Volksblatt“, Linz, 14. April 2011
Ironie
Von Werner Rohrhofer
Es ist eine Ironie des Schicksals: Just zu einem Zeitpunkt, da durch diverse Vorkommnisse ein öffentliches Bild von abzockenden, nur auf den eigenen Vorteil bedachten Politikern entstanden ist, just zu dem Zeitpunkt also sind wir mit einer „anderen“ Art von Politiker konfrontiert: Mit Josef Pröll, der fernab von irgendwelchen Affären oder dubiosen Machenschaften abtritt. Aus gesundheitlichen Gründen - und diese Begründung ist nicht, wie in vielen anderen Fällen, ein Vorwand sondern ein Faktum, das beweist, wie hart, kräfteraubend und oft „unmenschlich“ im Sinn der Arbeitsbelastung und der Verantwortung Spitzenpolitik ist.
Genau das ist auch der entscheidende Unterschied: Als Politiker bei jedem Event dabei zu sein und jeden Abend am Biertisch oder selbst von der Oppositionsbank im Parlament aus große Sprüche abzusondern, das kann auch anstrengend sein. Doch was wirklich an den Kräften und an der Substanz zehrt, das ist das hohe Maß an Verantwortung, das ein Politiker zu tragen hat. Noch dazu, wenn er diese Verantwortung und damit den Wählerauftrag ernst nimmt. Wie es Josef Pröll über Jahre hinweg in den verschiedensten Funktionen getan hat. Dafür gebührt ihm Dank, verbunden mit dem Wunsch der baldigen und vollständigen Genesung.
„Salzburger Nachrichten“, Salzburg, 13. April
Ein Scherbenhaufen namens Politik
Von Andreas Koller
Es war nicht nur ein bemerkenswerter Auftritt, es war auch eine bemerkenswerte Analyse, die Josef Pröll zum Abgang seinen Zuhörern bot. Der scheidende Vizekanzler, ÖVP-Chef und Finanzminister, der sich erstmals seit seiner schweren Erkrankung am 18. März der Öffentlichkeit stellte, beklagte das Fehlen von „Aufbruchsstimmung und Optimismus"; er rügte den „zutiefst beschämenden" Mangel an Anstand in der Politik. Und er ortete einen „Stillstand in wesentlichen Zukunftsfragen".
Kritische Töne dieser Art sind nicht neu. Doch man liest sie eher in Zeitungskommentaren, als dass man sie aus dem Munde eines Regierungspolitikers hört.
Man kann also Josef Pröll als Zeugen dafür aufrufen, dass Josef Pröll nicht nur einem Scherbenhaufen namens ÖVP den Rücken kehrt, sondern auch einem Scherbenhaufen namens Politik. Und man hatte den Eindruck: Hier geht einer nicht nur, weil er den mörderischen Anforderungen des Politikerberufs körperlich nicht mehr gewachsen ist. Sondern auch, weil er von den Begleitumständen dieses Jobs die Nase voll hat. Josef Pröll liebte es, Politiker zu sein. Doch er hasste es, für korrupte Parteifreunde und minderfähige Ministerkollegen den Kopf hinhalten zu müssen. Er war es leid, ständig an Figuren wie Strasser & Grasser gemessen zu werden. Wer gestern Prölls Abschiedsrede lauschte, der hatte das Gefühl, dass ihm der Abschied nicht allzu schwer fiel. Kein Wunder.
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