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Verteidigung bezweifelt Zuständigkeit

Rund 30 Jahre nach dem mysteriösen Tod seiner 14-jährigen Stieftochter steht seit Dienstag ein 75-jähriger deutscher Ex-Mediziner in Paris vor Gericht. Der Fall beschäftigt bereits seit Jahrzehnten die Gerichte in Deutschland und Frankreich. Dem Prozessauftakt ging ein verzweifelter Akt von Selbstjustiz des leiblichen Vaters der Toten voraus, der 2009 den Angeklagten von Süddeutschland nach Frankreich entführte und damit eine Neuauflage des Justizkrimis erzwang.

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Der Franzose Andre Bamberski kämpft seit dem Tod seiner Tochter Kalinka, dass deren Stiefvater vor Gericht gestellt wird. Er wirft dem früheren Kardiologen vor, Kalinka im Sommer 1982 am Bodensee missbraucht und durch eine Spritze getötet zu haben. Die deutsche Justiz hatte ihre Ermittlungen gegen den ehemaligen Arzt 1987 ohne Anklageerhebung abgeschlossen. Ein französisches Gericht verurteilte K. 1995 in Abwesenheit zu 15 Jahren Gefängnis. Allerdings hob ein Berufungsgericht das Urteil später wegen Verfahrensfehler wieder auf.

Der Fall Kalinka führte zu einem heftigen diplomatischen Gezerre zwischen Frankreich und Deutschland und wurde längst zum Justizlehrfall.

Philippe Ohayon, Anwalt von Dieter Krombach

AP/Remy de la Mauviniere

Ein Anwalt des Angeklagten stellt sich vor Prozessauftakt der Presse.

Damit der Prozess überhaupt stattfinden konnte, musste Bamberski auf seiner unbeirrten Suche nach Gerechtigkeit erst selbst kriminell werden. Nach jahrelangen frustrierenden Gefechten mit der Justiz und der verweigerten Auslieferung nach Frankreich erzwang der 73-Jährige den Prozess letztlich mit einer spektakulären Entführung.

„Diesmal kommt er nicht davon“

Einer der Anwälte von Bamberski zeigte sich zum Prozessauftakt nun überzeugt, dass der mutmaßliche Mörder diesmal nicht mehr unbescholten davonkomme. Die Gegenseite kündigte einen Kampf bis zum Schluss an. Zudem zweifelte die Verteidigung in einem ersten Schritt die Zuständigkeit des Pariser Schwurgerichts an. Die Anträge der Verteidigung, ein europäisches Gericht über die Zulässigkeit des Prozesses entscheiden zu lassen, wurden am Mittwoch vom Gericht abgelehnt. Das am Vortag aufgenommene und auf zwei Wochen angesetzte Verfahren wird somit fortgesetzt.

„Hoffe auf gerechten Prozess“

Bamberski betonte bereits im Vorfeld, dass er auf einen gerechten Prozess hoffe. Der 75-Jährige hatte jahrelang all seine Energie darauf verwendet, Dieter K. vor Gericht zu zerren. Er griff letztlich zur Selbstjustiz. Ohne diese Straftat, für die sich Bamberski demnächst selbst vor Gericht verantworten muss, wäre es vermutlich nicht zu dem Prozess gekommen.

Viele Details scheinen die Vorwürfe Bamberskis zu stützen: Kalinka hatte Einstiche im Arm. Dieter K. sagte aus, dass er ihr Eisen gegen Blutarmut gespritzt hatte - woran sie indes gar nicht litt. Bei einer ersten Obduktion wurden Hinweise auf eine Vergewaltigung gefunden, doch das wurde nicht weiter ausgewertet. Zudem kann offenbar nicht ausgeschlossen werden, dass Dieter K. selbst bei der Obduktion anwesend gewesen sei.

Ex-Frau als Nebenklägerin

Hinzu kommen mehrere Fälle, in denen junge Frauen den damaligen Mediziner der Vergewaltigung beschuldigten. Dabei soll er auch mehrmals Spritzen gesetzt haben, um seine Opfer willenlos zu machen. In einem Fall wurde Dieter K. zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Er hatte vor Gericht betont, dass die 16-Jährige einverstanden gewesen sei. Nach einer weiteren Zeugenaussage hatte der ehemalige Arzt sogar seiner eigenen Frau eine Spritze mit einem Schlafmittel verabreicht, um ungestört mit einer minderjährigen Geliebten Sex zu haben.

Zudem wurde K. zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, nachdem er seinen Beruf als Arzt weiter ausübte und sich des Betrugs schuldig machte, obwohl ihm das Gericht auch die Approbation entzogen hatte.

Wie der Prozess verläuft, hängt wohl auch von Kalinkas Mutter ab. Danielle Gonnin hatte sich bereits 1989 von Dieter K. getrennt, bisher aber immer zu seinen Gunsten ausgesagt und ihn als vorbildlichen Stiefvater dargestellt. Nun tritt sie allerdings als Nebenklägerin an, wobei ihre Aussagen nun mit Spannung erwartet werden.

Verstoß gegen rechtlichen Grundsatz?

Bei dem Fall geht es aber auch um die Frage, ob Frankreich mit dem erneuten Verfahren gegen einen rechtlichen Grundsatz verstößt, der als „ne bis in idem“ bekannt ist - das Verbot der doppelten Strafverfolgung besagt, dass es keinen neuen Richterspruch in einer Sache geben darf, in der bereits ein Urteil gefällt wurde.

Die Einstellung des Verfahrens in Deutschland in den 80er Jahren war allerdings eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft, zu einem Prozess kam es gar nicht. Darüber hinaus wirft das jetzige Verfahren eine wichtige rechtspolitische Frage auf, die Frage nach dem Strafmonopol des Staates: Schließlich steht K. nur deshalb vor Gericht, weil ein Einzelner zur Selbstjustiz gegriffen hat.

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