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Neue Strategie dringend nötig

Jahrelang hat Europa mit Nordafrika und dem Nahen Osten ungestört gute Geschäfte gemacht. Das Thema Demokratie war nebensächlich, Hauptsache, die Region war stabil. Doch nun, nachdem es unter autoritären Regimen zwischen Marokko und dem Jemen gärt oder diese schon fielen, ist plötzlich alles anders - und Europa steckt in einem selbst verschuldeten strategischen Dilemma.

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Wohin sich einzelne Länder im Nahen Osten und Nordafrika (MENA-Raum) mittelfristig entwickeln, weiß kaum jemand. Mit wem man in Zukunft Geschäfte machen wird, auch nicht. Die Region wird damit zum „Testfall“, der Thema eines Symposions am Freitag in Wien war.

Das „alte Credo“, gemäß dem Stabilität vor Menschenrechten komme und es reiche, „einen stabilen Despoten zu haben“, funktioniere nicht mehr, sagte Finanzstaatssekretär Andreas Schieder (SPÖ) bei der Eröffnung der Veranstaltung in der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). Europa müsse künftig nicht nur „bei der Auswahl seiner Freunde sorgfältiger sein“.

Welche Strategie außer Intervention?

Die internationale Gemeinschaft müsse sich auch die Frage stellen, welche Strategien sie für die Zukunft entwickeln könne, damit Sanktionen und Interventionen nicht die einzige Antwort blieben. Die bisherigen Abkommen der EU, etwa die 2008 aus der Taufe gehobene „Mittelmeerunion“ (Euro-Mediterranean Partnership, EUROMED) und der schon vorher begonnene Barcelona-Prozess hätten sich jedenfalls „faktisch im Sand verlaufen“.

Kaum Ansprechpartner

Nun müsse Europa Wege finden, positive Prozesse der Demokratisierung zu unterstützen, so Schieder. Dass man jahrelang nie Kontakt zu Oppositionsgruppen aufgebaut hatte, habe nun zur Folge, dass die Ansprechpartner fehlten. Europa habe faktisch sehr wenige Instrumente, um Antworten auf die Krise geben zu können.

Al-Gaddafis „zweite Chance“

Betreffend „die falschen Freunde“ betonte der österreichische Wirtschaftsdelegierte für Libyen, David Bachmann, dass das dortige Regime eine Art „zweite Chance“ erhalten habe, nachdem sich Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi geläutert gezeigt hatte und von der internationalen Gemeinschaft wieder für salonfähig erklärt worden war. Was österreichische Firmen in dem Land betreffe, hätten diese „auf Unternehmensethik-Ebene sehr viel getan“.

Wie die Perspektive des Landes nun aussieht, sei unklar, sagte Bachmann, der das Land erst relativ spät nach Ausbruch der schweren Unruhen verlassen hatte. Komme es etwa zu einer Teilung Libyens, wäre das für das Land, einst das „Paradebeispiel für den Aufschwung in Nordafrika“, alles andere als eine positive Perspektive.

„Skeptisches Wohlwollen“ gefragt

Österreich und Nordafrika

Laut Walter Koren, Leiter der Sparte Außenwirtschaft in der Wirtschaftskammer (WKÖ), gehen 0,6 Prozent der österreichischen Gesamtexporte nach Nordafrika, 2,4 Prozent in den gesamten Nahen Osten. Bei den Importen machen diese Anteile 0,9 bzw. 1,7 Prozent aus. Dennoch ist die Region laut Koren eine, „die wirtschaftlich wichtig ist und noch wichtiger werden wird“.

Besser sehe es für Tunesien aus, so die Einschätzung der früheren Botschafterin in Tunis, Gabriele Matzner. Anders als etwa in Libyen gebe es in Tunesien eine relativ breite Mittelschicht, das Bildungsniveau sei gut, politisch tue sich immens viel. „Man holt halt nach, was man 50 Jahre nicht tun konnte", sagte die Diplomatin bei der Veranstaltung unter dem Titel „Testfall Nordafrika. Auswirkungen auf österreichische Wirtschaft und EU-Außenpolitik“. Was die Prognose für Tunesien betreffe, sei sie jedenfalls „relativ optimistisch“.

Für Nordafrika und den Nahen Osten generell wünscht sich Matzner ein „skeptisches Wohlwollen für zumindest einige Bewegungen“ und eine (Stichwort: Terrorismus) „weniger paranoide“ Gesamtsicht der Region. Von den Umwälzungen dort sei Europa „kalt erwischt“ worden, so Matzner. Zu lange sei man davon ausgegangen, dass es „mit der Stabilität unter Diktatoren so weitergeht“.

„Bussi-Bussi-Politik mit Diktatoren“

Noch deutlicher als Schieder verwies Matzner darauf, dass die „westliche Bussi-Bussi-Politik“ mit den Diktatoren ebenso gescheitert sei wie dauernde Belehrungen. Es müsse nun eine gemeinsame Linie der EU her, die allerdings auch Geld koste. Manche ihrer Wünsche seien vielleicht welche „an das Christkind“, betonte die Diplomatin, aber vielleicht dennoch umsetzbar.

„Jetzt brennt alles lichterloh“

„Wir, die EU, sind gefordert“, betonte ähnlich Walter Koren, Leiter der Sparte Außenwirtschaft in der Wirtschaftskammer (WKÖ), und strich die Relevanz einer (nicht nur) wirtschaftlichen Zusammenarbeit hervor. Koren zog einen Vergleich mit Osteuropa, wo sich demokratische politische Strukturen rasch als „Best Practice“ erwiesen hätten. Österreich habe zum Aufschwung dort „einen großartigen Beitrag geleistet“, so Koren. Nicht alles sei eitel Wonne, aber ziemlich alles „besser als im Jahr 1988“ (vor der Wende, Anm.).

In Nordafrika müsse man nun natürlich Geld in die Hand nehmen, so Koren, der sich etwa eine Ausweitung des Aktionsradius der Europäischen Entwicklungsbank (EBRD) auf die Region vorstellen kann. „Wir haben es verabsäumt, nach Süden zu sehen“, so Koren. „Jetzt brennt alles lichterloh, und wir müssen mit der Feuerwehr kommen."

Georg Krammer, ORF.at

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