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Grenzwert niedrig angesetzt

Die Luftströmung mit radioaktiven Partikeln aus Japan hat dem deutschen Umweltbundesamt zufolge auch Europa erreicht. Eine extrem verdünnte Radioaktivität wurde laut Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) bereits vor Stunden auf Island registriert.

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Eine sehr schwache, kaum messbare Konzentration könnte auch Österreich treffen. Die Werte in Reykjavik seien nahe an der Nachweisgrenze gewesen, so die ZAMG. Für die Gesundheit der Menschen in Europa bestehe keine Gefahr.

Es geht um Energie

Die Strahlung werde sich viele Größenordnungen unter dem Grenzwert von einem Millisievert bewegen, sagt auch Michael Hajek, Universitätsassistent am Atominstitut der Technischen Universität Wien und als solcher Experte für Strahlenschutz, im Interview mit ORF.at. Die beiden Maßeinheiten, die in den kommenden Tagen in der Berichterstattung immer wieder eine Rolle spielen werden, sind Becquerel und Sievert.

Selbst für eine vereinfachte Erklärung müsse man etwas weiter ausholen, erklärt Hajek. Radioaktive Stoffe kommen auch natürlich vor, etwa im Erdboden. Beim radioaktiven Zerfall wandeln sie sich in eine andere Substanz um und senden dabei Energie in Form von ionisierender Strahlung aus. Weil radioaktive Stoffe in unterschiedlichen Konzentrationen in der Natur vorkommen, gibt es einen natürlichen Strahlungshintergrund, der mit der Bodenbeschaffenheit variiert.

Natürliche Strahlung je nach Gebiet

In Österreich ist dieser etwa im Mühl- und Waldviertel und in Teilen der Alpen höher als anderswo - aber weit davon entfernt, gesundheitsgefährdend zu sein. In geringen Mengen ist ionisierende Strahlung also unbedenklich. Sehr große Dosen jedoch, wie sie bisher nur nach den Atombombenabwürfen über Japan, einzelnen Atomwaffentests und in der unmittelbaren Umgebung des AKW Tschernobyl aufgetreten sind, lassen schwerwiegende gesundheitliche Schäden erwarten. Körperzellen werden durch die intensive Strahlung zerstört.

Die von Experten zur Bewertung der Radioaktivität verwendete Einheit ist das Becquerel: Ein Becquerel entspricht dabei einem Zerfall pro Sekunde. Eine Aktivität von einem Becquerel ist sehr niedrig und praktisch schwer nachweisbar. Je nachdem, welcher radioaktive Stoff zerfällt, entsteht eine unterschiedliche Art von Strahlung, die sich auch unterschiedlich auf den Körper des Menschen auswirken kann. Deshalb sagt die Aktivität alleine an sich noch nichts über die Schädlichkeit eines radioaktiven Stoffes für den Menschen aus.

Der wichtigste Wert: Sievert

Die Energiemenge, die der Körper aufnimmt, wird in Gray gemessen: Ein Gray entspricht einer Energieaufnahme von einem Joule pro Kilogramm Körpermasse. Je nach Art der Strahlung erfolgt die Energieabgabe in den Körperzellen allerdings mehr oder weniger konzentriert. Weil also verschiedene Arten von Strahlung unterschiedlich auf den Körper einwirken, verwendet man neben der Energiemenge (absorbierte Dosis) einen weiteren Multiplikationsfaktor, um einen Vergleichswert für die gesundheitsschädliche Wirkung quer durch die Strahlungsarten angeben zu können.

Die resultierende Größe wird in Sievert angegeben. Hier ist schon eingerechnet, dass Alphastrahlung zum Beispiel ungefähr 20-mal schädlicher wirkt als Beta- oder Gammastrahlung. Ein Gray Alphastrahlung hat also andere biologische Auswirkungen als ein Gray Beta- oder Gammastrahlung. Vereinfacht könnte man sagen: Die Energiemenge ist gleich, die Form der Energieabgabe aber unterschiedlich.

Niedrig angesetzter Grenzwert

Das Sievert ist also die zentrale Dosiseinheit im Strahlenschutz. Egal welche Art von Strahlung es betrifft, ein Sievert ist immer gleich schädlich. Für den Menschen stellt eine Dosis von einem Sievert bereits eine hohe Strahlenbelastung dar, die akut wirken kann: Veränderungen im Blutbild sind zu beobachten, Übelkeit, Erbrechen, Fieber etc. können auftreten. Sieben Sievert sind absolut tödlich, sofern keine medizinischen Gegenmaßnahmen getroffen werden.

Der Grenzwert in Österreich ist ein Schutzwert, er beträg ein Millisievert (also ein Tausendstel Sievert) pro Jahr. Diese Menge ist im Regelfall noch längst nicht schädlich - der Wert wird aber niedrig gehalten, um sicherzugehen. Die durchschnittliche nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahr 1986 in Österreich gemessene Dosis lag nach Angaben des Forschungszentrums Seibersdorf bei 540 Mikrosievert, also etwa der Hälfte des Grenzwerts von einem Millisievert.

Weit von Tschernobyl-Wert entfernt

Im Strahlenschutz nimmt man aus Sicherheitsüberlegungen an, dass selbst solche geringen Strahlendosen potenziell eine schädliche Langzeitwirkung entfalten und Krebs und genetische Defekte auslösen können. In Österreich wurde daher von 400 Menschen gesprochen, die an den Folgen des Reaktorunglücks von Tschernobyl gestorben seien. Der Experte hält das für übertrieben und innerhalb der natürlichen Schwankungsbreite der Krebsstatistik, da die Krebssterblichkeit ständigen Fluktuationen unterliegt. Man müsse sich das so vorstellen: Auch eine einzelne Zigarette könne potenziell Lungenkrebs auslösen, selbst wenn das höchst unwahrscheinlich sei und vor allem wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden könne.

Von dem Tschernobyl-Wert ist man momentan in Europa jedenfalls weit entfernt. Die jetzige Strahlenbelastung infolge des Unfalls von Fukushima ist, wie gesagt, hierzulande praktisch nicht messbar. Wenn überhaupt, können nur von einzelnen hochempfindlichen Messgeräten Strahlungspartikel in der Luft oder auf dem Boden gemessen werden. Der Wert beträgt nicht einmal ein Tausendstel des Grenzwerts von einem Millisievert - er liegt also im Nanobereich.

Röntgenstrahlen gefährlicher

Zum Vergleich: Wer beruflich mit Strahlung zu tun hat, etwa Röntgenpersonal, darf 20 Millisievert pro Jahr ausgesetzt sein (also dem 20-Fachen des Grenzwerts, der für die restliche Bevölkerung gilt), in begründeten Ausnahmefällen sogar 50 Millisievert. Auch diese Werte seien gesundheitlich unbedenklich, sagt Hajek. Für Panik bestehe also kein Grund.

Das bestätigt auch das Österreichische Umweltbundesamt: „Aufgrund der Entfernung und der Verdünnungseffekte wird die Radioaktivität in Österreich - wenn überhaupt - nur in geringfügigem Ausmaß messbar sein. Und das würde innerhalb des natürlichen Schwankungsbereichs liegen“, heißt es in einer Aussendung. Eine Gefahr für die Bevölkerung in Österreich bestehe derzeit nicht.

Simon Hadler, ORF.at

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