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Reaktion Japans „nicht völlig daneben“

Späte Reaktionen, fehlendes Informationsmanagement, verfrühte, aber falsche Erfolgsmeldungen über das Eindämmen einer Katastrophe: Immer wieder geraten Regierungen und ihre Spitzenvertreter als oberste Krisenmanager bei verheerenden Katastrophen unter Druck und verlieren Glaubwürdigkeit. Nicht nur Japans Premier Naoto Kan musste Kritik an der Bewältigung der Erdbeben- und Atomkrise einstecken.

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Schon Ex-US-Präsident George W. Bush wurde wegen des Desasters nach dem Hurrikan „Katrina“ heftigst kritisiert. Auch sein Nachfolger Barack Obama bei der Ölpest im Golf von Mexiko und Russlands Regierungschef Wladimir Putin bei den Waldbränden im vergangenen Jahr wurden mit Vorwürfen wegen ihres Krisenmanagements konfrontiert.

Der Hurrikan „Katrina“ wurde 2005 eine der größten Blamagen in Bushs Amtszeit. Er zeigte das schlechte Krisenmanagement in Washington, die Unfähigkeit des US-Katastrophenschutzes und das lange Zögern des damaligen US-Präsidenten. Bush verlor sein Image als entschlossener Macher.

Überblick in der „Air Force One“

„Eine frühere Einmischung des Präsidenten hätte die Hilfe beschleunigt“, schloss eine - ausschließlich mit republikanischen Parteifeunden Bushs - besetzte Untersuchungskommission ein Jahr nach der Katastrophe und prangerte bei den Reaktionen auf die Krise „Nutzlosigkeit, Versagen und organisatorische Lähmung“ an. Evakuierungen und Hilfsmaßnahmen waren nur schleppend angelaufen und immer wieder durch Ausschreitungen unterbrochen worden.

Ex-US-Präsident George W. Bush

AP/Susan Walsh

Bush schaut auf das nach dem Hurrikan „Katrina“ verwüstete Gebiet.

Bush hatte erst zwei Tage nach den Verwüstungen durch „Katrina“ insbesondere in Louisiana seinen Urlaub in Texas abgebrochen. Vier Tage lang ließ er sich überhaupt nicht blicken. Dann verschaffte er sich zunächst nur von der Präsidentenmaschine „Air Force One“ aus ein Bild von den Schäden - mit einer treffenden Analyse: „Ich denke, kein Mensch konnte das Brechen der Deiche voraussehen.“ Als Sündenbock musste der Chef der Behörde für Katastrophenmanagement (FEMA), Michael Brown, herhalten.

Gefahr heruntergespielt?

Ob in der japanischen Atomkatastrophe letztlich dem AKW-Betreiber TEPCO diese Rolle zugespielt wird, ist noch unklar. Kan kritisierte jedenfalls am Wochenende nach dem Erdbeben scharf, dass das Fernsehen bereits von einer Explosion im AKW Fukushima berichtet hatte, dem Premiersbüro aber eine Stunde lang nichts gesagt wurde.

Was tatsächlich in dem Atomkraftwerk vor sich gegangen ist, war vor allem in den ersten Tagen nach dem verheerenden Erdbeben und dem Tsunami häufig unklar. Kan musste sich seither immer wieder Vorwürfe gefallen lassen, die Krise schlecht zu managen. Denn als noch am Tag des Erdbebens über Schäden an AKWs berichtet wurde, hieß es von Behördenseite, dass alles unter Kontrolle sei.

„Verwirrung“ über Messwerte

Von mangelnder Information, aber auch von Schlamperei war die Rede. So soll in einem der Reaktoren der Luftdruck gestiegen sein, weil das Luftstrommessgerät versehentlich ausgeschaltet worden war. Kan und seinem Regierungssprecher Yukio Edano wurde vor allem vorgeworfen, die Gefährlichkeit der Situation herunterzuspielen.

Rund zwei Wochen nach dem AKW-Unfall gab es wieder einen schweren Fehler beim Krisenmanagement. TEPCO behauptete, radioaktiv verstrahltes Wasser mit einer zehnmillionenfach erhöhten Strahlung sei ausgetreten, danach zog man die Daten wegen „Verwirrungen“ bei der Messung wieder zurück. Stunden später wurden die Werte mit 100.000-mal höher als normal angegeben.

Reaktion „angemessen“

Angesichts der Dimension der Katastrophe war für Gerhard Grossmann von der Forschungsstelle für Krisen- und Katastrophenmanagement der Uni Graz das Krisenmanagement der japanischen Regierung nicht perfekt, aber durchaus „angemessen“ und „nicht völlig daneben“. Überall, wo Krisen diesen Ausmaßes aufträten, versage das Informationsmanagement.

Spätestens mit den Explosionen in den einzelnen Reaktoren musste die Regierung den Ernst der Lage eingestehen. Die Arbeiter, die in Fukushima gegen die Kernschmelze kämpften, wurden als Helden gefeiert, hieß es doch, dass sie freiwillig mitarbeiteten. Nun wurde auch Kans Industrieminister Banri Kaieda diskreditiert. Er soll Feuerwehrleuten Strafen angedroht haben, wenn sie sich nicht an der Kühlung der defekten Reaktoren beteiligen sollten.

Overalls als „symbolisches“ Zeichen

Erst am fünften Tag nach der Katastrophe richtete Kan gemeinsam mit TEPCO einen Krisenstab ein. Dann wurde aber voll auf Aktionismus und Volksnähe gesetzt - nunmehr waren die Regierungsmitglieder in hellblauen Overalls zu sehen, um auch zu symbolisieren, dass sie mit Technikern und Arbeitern auf einer Stufe stehen. Grossmann wertet den Arbeitsoverall als „symbolisches“ Zeichen.

Ein Aktionismus, den sich Russlands Regierungschef Wladimir Putin spätestens seit dem Untergang des Atom-U-Boots „Kursk“ zu Beginn seiner Präsidentschaft im August 2000 zugelegt hatte. Damals starben nach einer Explosion alle 118 Mann an Bord. Putin machte dennoch weiter Urlaub im Badeort Sotschi. Rettungsaktionen verzögerten sich, Hilfsangebote aus dem Westen wurden abgeblockt.

Putin als Tröster und Feuerwehrmann

Kritische Berichterstattung lässt Putin nun nicht mehr gelten. Er brachte die Massenmedien, insbesondere das Fernsehen, auf Linie. Dort lässt sich Putin dann als Krisenmanager in Szene setzen. Als er vergangenen August, zehn Jahre nach der „Kursk“-Katastrophe, das Kommando bei der Bekämpfung der verheerenden Waldbrände und der Hilfe für Tausende Betroffene übernahm, besuchte er in Hemd und Jeans niedergebrannte Dörfer, tröstete verzweifelte Frauen und versprach einen raschen Wiederaufbau der Häuser. Er selbst warf vom Kopilotensitz eines Flugzeugs aus Tonnen von Wasser über den Flammen ab.

Vladimir Putin

APA/EPA/Denis Sinyakov

Putin übernahm persönlich das Krisenmanagement bei den Waldbränden.

Dennoch gab es ungewöhnlich deutliche Kritik. Von „Unfähigkeit“, „Chaos“ beim Krisenmanagement und planlosen Löscharbeiten war die Rede - insbesondere als auch Wälder mit verstrahlten Böden brannten. Zudem wurde kritisiert, dass auch in diesem Fall versucht worden sei, den Ernst der Lage zu verschleiern - wie bereits beim Untergang der „Kursk“ und nach dem Atomunfall von Tschernobyl. Dort wurde tagelang das enorme Ausmaß des Super-GAUs verschwiegen, die Bevölkerung in Sicherheit gewogen. Michail Gorbatschow, 1986 schon KP-Generalsekretär, bestand diesen ersten Test der von ihm verordneten Transparenz nicht.

Golf statt Ölpest

Auch im Fall der Ölpest nach der Explosion der Ölbohrplattform „Deepwater Horizon“ im vergangenen Jahr gab es immer wieder Erfolgsmeldungen, das ausströmende Öl gestoppt zu haben. Das stellte sich aber lange als falsch heraus. Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko entwickelte sich nicht nur für den Plattformbetreiber BP zum PR-Desaster. Auch US-Präsident Obama musste für seine zögerliche Reaktion gehörige Kritik einstecken.

Fünf Wochen reagierte Obama kaum. Einmal ließ er sich an der Küste in Louisiana blicken. Erst als das Unglück immer größere Dimensionen annahm, übernahm Obama als „Commander-in-Chief“ das Krisenmanagement. Die Konsequenzen der Katastrophe gestand Obama offenbar lange nicht ein. Berichte, dass Obama und Vizepräsident Joe Biden beim Golf entspannten, während die Ölpest immer größer wurde, sorgten für heftige Empörung.

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