Jedem sein Traum von Freiheit
Wenn einem der Staat nicht passt, in dem man lebt, kann man auswandern. Was aber, wenn es keinen Staat auf dieser Welt gibt, mit dem man zufrieden sein könnte? Dann gründet man einen eigenen. Über Menschen, die genau das getan haben, drehte der Wiener Regisseur Paul Poet die Doku „Empire me“, die nun bei der Diagonale präsentiert wird.
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Es gibt gar nicht so wenige dieser Mikronationen. Einige von ihnen besuchte Poet mit einem Kamerateam. Manche der Zwergstaaten mit ihren selbst ernannten Königen und Hierarchien sind international sogar so weit anerkannt, dass ihre Autonomie gewahrt bleibt. In der Principality of Sealand etwa, einer aufgelassenen Flugabwehrplattform aus dem Zweiten Weltkrieg einige Meilen vor der britischen Küste, bekommt man einen gültigen Stempel in den Pass.
Gegründet wurde der Staat 1967 vom ehemaligen Major Paddy Roy Bates. Früher sendete von dort aus ein Piratenradio. Nun arbeiten seine Nachkommen daran, die Insel zu einer Art digitalem Fort Knox zu machen, wo man seine Daten speichern lassen kann, ohne dass andere staatliche oder internationale Institutionen Zugriff darauf haben. Irgendwo ganz unten in einem Tank, wo man das Wasser plätschern hört, steht ein Haufen Server herum. Das Geschäftsmodell hat noch nicht durchgeschlagen. Die Familie lebt vom Fischen.
Touristen sind begeistert
In Australien gibt es ebenfalls Mikronationen, etwa die Principality of Hutt River. Dort wird so etwas wie ein Piratenstaat inszeniert, das Ganze ist einem Kostümfest nicht unähnlich. Touristen können sich fotografieren lassen und bekommen ebenfalls Stempel in den Pass. Alte Zeremonien stehen hoch im Kurs, vom Ritterschlag bis zur kreischenden Verlautbarung der Stadtschreierin.
„Disneyland der Esoterik“
Vollkommen unwirklich und ganz anders geht es in Damanhur in Italien zu, wo eine Art „Disneyland der Esoterik“ entstanden ist, wie es eine Bewohnerin selbstironisch nennt. Es gibt strenge Hierarchien, sogar in A- und B-Bürger wird eingeteilt. Alles, was jemals in asiatischen oder afrikanischen oder lateinamerikanischen Kulturen von Bedeutung war, wird hier zu einer gemeinsamen Religion vermischt. Neulinge werden eingeführt in die Geschichte von Atlantis.
Eine Gruppe lebt ohne ersichtlichen Grund in Baumhäusern, die mit Brücken verbunden sind. Die Bäume machen Musik. Der heilige Tanz ist Teil des Konzerts. Pflanzen werden an eine Musikanlage angeschlossen, Strom fließt durch, das Geräusch wird verstärkt: „Das ist jetzt die Geranie.“ Dazu wird gesungen und getanzt. Seinen alten Namen legt man ab - und nimmt stattdessen Tier- oder Pflanzenbezeichnungen an.
Freie Liebe ist nicht umzubringen
80 Kilometer von Berlin entfernt wird das ZeGG betrieben - das Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung. Dort steht die freie Liebe im Mittelpunkt des Interesses, wobei Zweierbeziehungen nicht abgelehnt werden. Auch hier hat das Geschehen eine fast religiöse Note, man bekommt das Gefühl vermittelt, ein zu Fleisch gewordenes Tantra-Seminar aus den 80er Jahren vor Augen zu haben. Gruppensex, mit viel Öl eingeschmiert - das heißt hier „Schwimmen in der Ursuppe“. Da kann durchaus der sexuelle Druck zu groß werden, wie eine Bewohnerin erzählt. Dann muss eine gruppentherapeutische Sitzung her.
Recherchegewaltakt gelungen
Poet beschreibt diese und noch einige andere Mikrostaaten, ohne sich über deren Bewohner vordergründig lustig zu machen. Er missbraucht das Vertrauen der „Staatsangehörigen“ nicht. Gerade deshalb darf er so gut wie überall filmen - und niemand nimmt sich ein Blatt vor den Mund. Das ist die Qualität der Doku: dass diese Menschen erzählen, worum es ihnen wirklich geht, weil sie sich ernst genommen fühlen. Einzig störend sind ab und zu Poets Kommentare, die mitunter etwas zu philosophisch und lyrisch daherkommen.
Aber das umfassende Recherchevorhaben mit Drehs rund um den Globus ist geglückt, man stellt sich als Zuseher am Ende die Frage, die auch im Film immer aufgeworfen wird: Gibt es Freiheit überhaupt? Und wenn ja: Kann man sie in irgendeiner Gesellschaftsform herstellen, oder ist das eine Illusion? Vielleicht sollte jeder für sich seinen Einzelstaat gründen. Aber dann gewinnt am Ende wieder der Stärkste.
Simon Hadler, ORF.at
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