Schlüsselfertiger Verkauf
Für seine Charmeoffensive in Sachen Atomenergie hat der russische Regierungschef Wladimir Putin ausgerechnet das benachbarte Weißrussland ausgesucht. Die Ex-Sowjetrepublik, die nach dem Super-GAU von Tschernobyl vor 25 Jahren radioaktiv stark verseucht wurde, soll nun ihr erstes Kernkraftwerk erhalten.
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Putin besiegelte in Minsk demonstrativ die Baupläne - Moskaus Signal für die Zukunft der weltweit umstrittenen Energieform. Zwar zeigte sich auch Putin betroffen wegen der Reaktorexplosionen in Japan. Doch er machte vor allem deutlich, dass an der Atomkraft kein Weg vorbeiführe. Der frühere Präsident forderte in Minsk angesichts der Ängste vieler Menschen vor Atomkatastrophen zusätzliche Sicherheitschecks für die russische Nukleartechnologie. In der Sache ließ er aber keinen Zweifel, dass er in der staatlich unterstüzten Kernenergie die Zukunft sieht.
Nach einer langen Schwächephase wegen des Traumas von Tschernobyl investiert das Land wieder Milliarden in die Entwicklung dieser Hochtechnologie. Die Atommacht strebt als Lieferant schlüsselfertiger Kernkraftwerke seit Jahren nach einer Führungsposition auf dem Weltmarkt. „Die Kernenergie selbst wird sich natürlich weiter entwickeln“, betonte Putin.
Bangen um weitere Verkäufe
Schon zuvor hatte er die Atomkraft als „einzig starke Alternative“ zu Öl und Gas bezeichnet. Alles andere seien „Spielereien“. Die Kernkraft sei Teil der weltweiten Energiebalance. Russland baut unter anderem in Indien, China und im Iran Reaktoren und beteiligt sich weltweit an Ausschreibungen. Dabei wächst angesichts der tragischen Ereignisse in Japan die Nervosität in Moskau, dass die Stimmung kippen könnte.
Das größte Land der Erde fürchtet nach dem Wegfall der Waffenverkäufe etwa an das mit Sanktionen belegte Libyen nun neue Kündigungen milliardenschwerer Aufträge. So zog Venezuela, ein enger Verbündeter Russlands, Atompläne prompt zurück. Russlands Energieminister Sergej Schmatko warb in Bulgarien eindringlich für das dort geplante Atomkraftwerk Belene. Das halte nicht nur Temperaturschwankungen zwischen 57 Grad minus und 61 Grad Celsius plus stand. Auch ein Flugzeugabsturz mit der Wucht von 400 Tonnen verkrafte die Schutzhülle, sagte er.
Erdogan hält an AKW fest
Erleichtert empfing Präsident Dimitri Medwedew am Mittwoch den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, der an dem von Russland geplanten ersten Atomkraftwerk in seinem Land festhält. Die Linie für die atomare Werbeoffensive gab jedoch Putin vor. Russland baue heute Reaktoren mit modernen Sicherheitssystemen, bei denen im Störfall keine Menschen mehr eingesetzt werden müssen, um die Folgen zu beseitigen, sagte Putin. Es gebe heute auf der Welt schon ausgereiftere Kraftwerke als diejenigen in Japan, die aus den 1970er Jahren stammten.
Ausbau auch in Russland selbst
Bis zum Jahr 2030 sollen allein in Russland 26 neue Atomreaktoren gebaut werden - zusätzlich zu den bereits bestehenden 32 Blöcken. Der staatliche Atomenergiekonzern Rosatom will zudem in den nächsten Jahren bis zu acht „schwimmende“ Kernkraftwerke in Betrieb nehmen. Auch die russischen Staatsmedien befeuerten die Vorteile der atomaren Energie. So baue Russland grundsätzlich keine Atomkraftwerke in Gebieten mit Erdbebengefahr, versuchte das Boulevardblatt „Komsomolskaja Prawda“ seine Leser zu beruhigen.
Auch zahlreiche Überlebende der Tschernobyl-Katastrophe kamen zu Wort etwa mit Meinungen, das ein solches Strahlenunglück wie damals wohl heute nicht mehr passieren könne. Ernsthafte Warnungen vor den Gefahren der Atomenergie stoßen dagegen traditionell kaum auf Resonanz. Dennoch sieht wohl auch Putin die weltweite Diskussion um die Kernkraft mit Sorge. Die von der autoritären weißrussischen Führung immer wieder unklar formulierten Atompläne versüßte er nun mit der Ankündigung eines Baukredits von umgerechnet 4,3 Milliarden Euro.
Ulf Mauder, dpa
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