Strahlenwertgrenze überschritten
Das Erdbeben der Stärke 8,9 und der verheerende Tsunami haben Japan an den Rand einer atomaren Katastrophe gebracht. Am Sonntag fiel auch im AKW Tokai das Kühlsystem aus. In der schwer beschädigten Anlage Fukushima I droht nach widersprüchlichen Informationen über eine Kernschmelze in zwei Reaktoren nach Expertenmeinung auch Gefahr durch hochgiftiges Plutonium. Dem Land droht ein Super-GAU.
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Nach Angaben des Reaktor-Betreibers Tepco kam es im AKW Fukushima in insgesamt drei Reaktoren zu Problemen mit der Kühlung. Die Regierung schloss nicht aus, dass es in Reaktor 1 und 2 des schwerbeschädigten Meilers zu einer Kernschmelze gekommen ist. Zudem drohe in Reaktor 3 durch das Ablassen des Überdrucks zu einer ähnliche Explosion wie am Samstag, als das Betongehäuse von Reaktor 1 teilweise einstürzte, sagte Regierungssprecher Yukio Edano.

Graphi-Ogre (Montage)
Die drei betroffenen Atomkraftwerke an der japanischen Ostküste.
Strahlenwert mehr als doppelt so hoch
Am Montag (Ortszeit) wurden nach Angaben der Nachrichtenagentur Kyodo die erlaubten Grenzwerte für radioaktive Strahlung im AKW Fukushima erneut überschritten. Schon am Sonntag waren Spitzenwerte von mehr als 1.200 Mikrosievert statt den erlaubten 500 Mikrosievert gemessen worden. Genaue Angaben zur neuerlichen Grenzwertüberschreitung konnte eine Sprecherin des AKW-Betreibers Tepco nicht machen. Die Behörden erklärten aber, dass die erhöhte radioaktive Strahlung keine unmittelbare Bedrohung für die Gesundheit darstelle.
Seit dem Unfall am Freitag wurden nach japanischen Angaben 160 Personen wegen Strahlenbelastung in Krankenhäusern behandelt. Fast 200 hielten sich zum Zeitpunkt des Unglücks im Umkreis von zehn Kilometern des Kraftwerkes auf. Mittlerweile wurde dort eine Sperrzone im Radius von 20 Kilometern eingerichtet.
Keine Straßensperren rund um AKW
Doch die Sicherung der Sperrzone finde nur unzureichend statt, erklärte der Unternehmer und frühere Journalist Yasumitsu Yamada. Er sei bis auf wenige Kilometer an Fukushima I herangekommen. „Polizei hat mich nicht zurückgehalten. Es gab keine Straßensperren, wie es im Fernsehen verkündet wurde“, erzählte er der Deutschen Presse-Agentur am Sonntagabend (MEZ) am internationalen Flughafen Tokio-Narita. „Was in den Nachrichten gesagt wird, ist völlig falsch.“
Die Regierung verhindere, dass Aufnahmen und Bilder aus den Katastrophengebieten, die Chaos und Panik zeigten, in den Medien verbreitet würden. Auch ihn habe die Polizei davon abhalten wollen zu fotografieren, sagte Yamada.
Super-GAU
Kernschmelze oder Super-GAU (GAU = Größter anzunehmender Unfall). Davon sprechen Experten, wenn es wegen mangelnder Kühlung zum Schmelzen des Reaktorkernes kommt: der denkbar größte, nicht mehr beherrschbare Unfall. Definition eines GAU ist für jedes AKW unterschiedlich. Bekanntestes Beispiel ist Tschernobyl.
Kühlpumpen im AKW Tokai ausgefallen
Auch im AKW Tokai dürften am Sonntag die Kühlsysteme ausgefallen sein. Die Meldungen waren jedoch widersprüchlich. Zunächst hieß es, die Pumpanlage sei ganz ausgefallen, dann erklärten die AKW-Betreiber, dass die Kühlung mit einer Pumpe noch gewährleistet sei. Die Anlage steht rund 120 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Tokio, sie hatte sich bei dem Beben am Freitag automatisch abgeschaltet.
„Unsere Meereswasserpumpe, die durch einen Dieselgenerator angetrieben wird, ist wegen des Tunamis ausgefallen, worauf wir eines unserer Kühlsysteme manuell ausgeschaltet haben“, sagte Masao Nakano vom Betreiber Japan Atomic Power Company der Nachrichtenagentur AFP. „Aber die anderen Kühlsysteme und Pumpen arbeiten gut, und die Temperatur des Reaktors ist nach und nach immer weiter gesunken.“ Die Lage habe sich wieder entspannt.

APA/Walter Longauer
Sorge um hochgiftiges Plutonium
In Fukushima laufen unterdessen die Arbeiten auf Hochtouren: Die Behörden pumpten Meerwasser in drei der sechs Reaktoren des Komplexes, um diese zu kühlen. Damit soll der Druck im Innern verringert und eine Explosion verhindert werden. Diesmal habe man „frühzeitig damit begonnen“, Druck abzulassen und Wasser einzupumpen, sagte Regierungssprecher Edano. Beobachter werteten dies als Eingeständnis, dass die Regierung bisher zu zögerlich vorging. Kritiker werfen ihr schwaches Krisenmanagement vor.
Erwartete Nachbeben mit einer Stärke von bis zu 7,0 könnten die angeschlagenen Reaktoren weiter gefährden, warnten Experten. Vertreter der Umweltorganisation Greenpeace wiesen außerdem darauf hin, dass der Reaktor 3 in Fukushima mit sogenannten Mox-Brennelementen (Mischoxid-Brennelemente) betrieben werde, die Plutonium enthielten. Plutonium sei aber nicht nur hochgradig radioaktiv, sondern auch hochgiftig.

AP/Mark Baker
Menschen in der Umgebung der AKWs werden auf Strahlenbelastung untersucht.
Auch Fachleute anderer Organisationen zeigten sich nach einem Bericht von „Spiegel Online“ besorgt über das seit Herbst 2010 verwendete Plutonium, das bei der Explosion eines Reaktors in die Umwelt gelangen würde. Eine größere Freisetzung von Plutonium wäre „äußerst bedenklich“, sagte Joachim Knebel, Reaktorexperte am Karlsruher Institut für Technologie. Plutonium ist durch seine enorme Giftigkeit für den Menschen wesentlich gefährlicher als Uran. Winzigste Partikel können tödlich sein.
„Schlimmer als Tschernobyl“
Nach Ansicht des Strahlenbiologen Edmund Lengfelder vom Otto-Hug-Strahleninstitut in München könnten die atomaren Folgen noch schlimmer werden als vor 25 Jahren in Tschernobyl. Zwar sei der Ablauf der Katastrophe unterschiedlich, aber Japan sei 20- bis 30mal so dicht besiedelt wie die Umgebung des ukrainischen Unglücksreaktors: „Ich gehe davon aus, dass es schlimmer wird als in Tschernobyl.“
Normalisierung in Onagawa
Unterdessen haben die japanischen Behörden nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) für das Atomkraftwerk Onagawa wieder eine Normalisierung der Radioaktivität festgestellt. „Die japanischen Behörden gehen nun davon aus, dass der Anstieg auf radioaktives Material aus dem Atomkraftwerk Fukushima zurückzuführen sein könnte“, teilte die IAEA am Sonntag in Wien mit. „Untersuchungen an der Anlage haben gezeigt, dass aus keinem der drei Blöcke in Onagawa Emissionen von Radioaktivität ausgetreten sind“, hieß es weiter.
Im Kernkraftwerk Onagawa war nach dem verheerenden Erdbeben am Freitag ein Feuer in einem Turbinengebäude ausgebrochen. Nach Angaben der Behörden wurde der Brand nach einigen Stunden gelöscht.
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