Italien: Schätzungen „glaubwürdig“
In Libyen könnten laut italienischen Angaben bei dem gewaltsamen Vorgehen der Führung gegen Demonstranten schon bis zu 1.000 Menschen ums Leben gekommen sein. „Wir haben keine vollständigen Informationen über die Zahl der Todesopfer“, sagte Italiens Außenminister Franco Frattini am Mittwoch in Rom. „Wir gehen davon aus, dass Schätzungen von etwa 1.000 Toten glaubwürdig sind“, sagte der Minister.
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Er habe die italienische Botschaft in der libyschen Hauptstadt Tripolis so verstanden, dass sich die östliche Region des Landes, Cyrenaica, nicht mehr unter der Kontrolle der Führung von Muammar al-Gaddafi befinde. Die Gegner des Staatschefs kontrollieren nach eigenen Angaben mittlerweile 90 Prozent des Landes. Viele Armee-Einheiten und Sicherheitskräfte seien übergelaufen, sagten ranghohe libysche Funktionäre, die auf Distanz zu Al-Gaddafi gegangen sind, der Nachrichtenagentur dpa.
Libanon: Al-Gaddafi-Verwandte durften nicht landen
Ein Privatjet mit der libanesischen Ehefrau eines der Söhne von Al-Gaddafi an Bord durfte nicht auf dem Flughafen Beirut landen. Das berichtete ein libanesischer Radiosender am Mittwoch. Im Flugzeug der Frau von Hannibal al-Gaddafi waren auch andere Familienmitglieder. Die libanesischen Flugbehörden weigerten sich am Dienstag, eine Landegenehmigung für den internationalen Flughafen in Beirut zu erteilen, nachdem Libyen die Identität der Insassen nicht preisgeben wollte. Die Behörden in Beirut sollen daraufhin den Piloten aufgefordert haben, seine Maschine in ein angrenzendes Land zu fliegen, entweder nach Syrien oder Zypern.
Sarkozy drängt auf Sanktionen
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will unterdessen die EU zu schnellen und konkreten Sanktionen gegen die Verantwortlichen der Gewalt in Libyen auffordern. Er strebe ein Aussetzen der Wirtschafts-, Handels- und Finanzbeziehungen zu dem nordafrikanischen Land an, sagte er. „Die anhaltende brutale und blutige Unterdrückung der libyschen Bevölkerung ist schockierend. Ein solcher Gewalteinsatz gegen die eigene Bevölkerung ist unwürdig“, hieß es vonseiten des Präsidenten.
Sarkozys außenpolitischer Berater Jean-David Levitte forderte darüber hinaus, die internationale Justiz einzuschalten. „Diejenigen, die für die anhaltenden Massaker und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich sind, sollen von der internationalen Gemeinschaft zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte Levitte. Eine militärische Intervention lehne Frankreich allerdings ab.
UNO fordert Ende der Gewalt
Angesichts der blutigen Unruhen forderten die Vereinten Nationen Al-Gaddafi auf, die Gewalt sofort zu stoppen. Gegen Menschen, die berechtigte Forderungen vorbrächten, dürfe nicht mit Waffen vorgegangen werden, heißt es in einer Erklärung, die nach einer Sondersitzung des höchsten UNO-Gremiums am Dienstagabend in New York veröffentlicht wurde.
Wenige Stunden zuvor hatte Al-Gaddafi in einer Fernsehansprache jedes Einlenken gegenüber seinen Gegnern abgelehnt und angekündigt, kämpfen zu wollen und bereit zu sein, als „Märtyrer“ zu sterben. Für die seit einer Woche anhaltenden Proteste gegen sein Regime machte er drogenkranke Jugendliche und ausländische Medien verantwortlich.
Al-Gaddafi forderte seine Anhänger auf, die Straßen zurückzuerobern. Landesweit sollten sie am Mittwoch für ihn demonstrieren. „Geht alle auf die Straße“, rief er. Das libysche Staatsfernsehen zeigte bereits in der Nacht auf Mittwoch Bilder von demonstrierenden Al-Gaddafi-Anhängern in Tripolis.
„Ich bin kein Präsident, der zurücktreten kann“
„Ich bin kein Präsident, der zurücktreten kann“, sagte der vor Wut schäumende Al-Gaddafi in der Fernsehansprache. Er beschimpfte seine Gegner als „Verräter“ und versuchte, die Bürger seines Landes doch noch auf seine Seite zu ziehen. „Das ist mein Land, das Land meiner Großväter und eurer Großväter. (...) Verräter beschmutzen das Bild Eures Landes vor der ganzen Welt.“ Die Bürger Libyens forderte er auf, am Mittwoch für ihn zu demonstrieren. „Geht alle auf die Straße“, forderte Gaddafi.
„Wir sind sehr besorgt, verurteilen die Gewalt und bedauern den Tod Hunderter Menschen“, heißt es in der Erklärung des Weltsicherheitsrats, auf den sich alle 15 Mitgliedsstaaten am Dienstagabend in New York verständigten. Al-Gaddafi solle das Papier als „deutliches Signal“ verstehen, dass er für den Schutz seines Volkes verantwortlich sei.
„Beginnender Völkermord“
Libyens UNO-Vizebotschafter Ibrahim Dabbaschi, der sich am Tag zuvor von Al-Gaddafi losgesagt hatte, sprach im Sicherheitsrat von einem „beginnenden Völkermord“. Der Machthaber setze auch Söldner „aus vielen afrikanischen Ländern“ ein. UNO-Untergeneralsekretär Lynn Pascoe bestätigte, dass es in Libyen Gerüchte über den Einsatz ausländischer Soldaten gegen Demonstranten gebe. „Die Menschen auf der Straße glauben, dass solche Söldner eingesetzt werden. Unsere Mitarbeiter sind sehr besorgt.“ Die UNO sei aber nicht in der Lage, diese Berichte zu bestätigen.
US-Außenministerin Hillary Clinton verurteilte das Blutvergießen in Libyen als „völlig inakzeptabel“. Sie sprach sich für „angemessene Schritte“ der Weltgemeinschaft aus, sagte aber nicht, ob das auch Sanktionen gegen Tripolis beinhalte. Die Regierung sei für die Respektierung universeller Rechte verantwortlich, sagte Clinton.
Berlusconi telefonierte mit Al-Gaddafi
Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi - ein Freund Al-Gaddafis - telefonierte am Dienstag mit dem libyschen Staatschef. Dabei habe Berlusconi die blutige Gewalt angesprochen und betont, wie wichtig eine friedliche Lösung und Mäßigung seien, um die Gefahr eines Bürgerkrieges in Libyen zu vermeiden, hieß es in Rom. Die Arabische Liga beschloss unterdessen, Libyen vorläufig von ihren Sitzungen auszuschließen. Das teilte die Organisation nach einer Dringlichkeitssitzung am Dienstag in Kairo mit.
Amnesty International fordert Verfahren
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte ein Verfahren gegen Al-Gaddafi vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Es bestehe der begründete Verdacht, dass Al-Gaddafi mit der rücksichtslosen Jagd auf Demonstranten in seinem Land Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat, sagte Amnesty-Deutschland-Chefin Monika Lüke. Deshalb müsse der UNO-Sicherheitsrat unverzüglich den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag einschalten.
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