„Du bist uns egal, Gaddafi“
In Libyen ist es am Donnerstag in mehreren Städten zu Protestkundgebungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Regierungsgegnern, Anhängern von Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi und Sicherheitskräften gekommen. Nach unterschiedlichen Meldungen starben dabei am Donnerstag erneut mehrere Menschen.
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Die Opposition hatte den Donnerstag zum „Tag des Zorns“ gegen das Regime erklärt. In den Großstädten mobilisierte die Regierung ihre Anhänger zu Gegenkundgebungen.
Insgesamt kamen bei Protesten in dem Maghreb-Staat seit Dienstag laut Medien und internationalen Menschenrechtsorganisationen zumindest 14 Menschen ums Leben, fünf davon in Libyens zweitgrößter Stadt, Bengasi, sechs in al-Baida im Osten des Landes, und weitere vier in der Stadt Adschdabija. Dutzende weitere seien verletzt worden, hieß es. Die libysche Oppositionszeitung „Libya al-Youm“ berichtete am Abend von bis zu 35 Toten.
Al-Gaddafi mobilisiert Anhänger
Verlässliche Informationen dringen aufgrund von Repression gegen die Medien aus dem nordafrikanischen Land allerdings nur sehr schwer nach außen. Am Donnerstag kam es sowohl in Bengasi als auch al-Baida, al-Kubba und auch al-Sintan, südwestlich der Hauptstadt Tripolis, zu Kundgebungen. Dort schritt die Armee ein, hieß es. In Amateurvideos, die im Internet veröffentlicht wurden, waren Männer zu sehen, die riefen: „Du bist uns egal, oh Gaddafi, Al-Zintan hat keine Angst.“
In der Hauptstadt sei es, abgesehen von einigen Kundgebungen von Anhängern Al-Gaddafis, ruhig geblieben. Die hätten dort Slogans wie „Wir verteidigen Al-Gaddafi“ skandiert und dabei Porträts des 68-jährigen Oberst geschwenkt. An den übrigen Schauplätzen sollen Sicherheitskräfte Demonstranten mit Waffengewalt vertrieben haben. In Ar Rajban nahe der algerischen Grenze soll ein Gebäude der Regionalregierung in Brand gesteckt worden sein, meldete Reuters.
Gebäude angezündet
In al-Baida sollen zumindest 15 Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen Anhängern Al-Gaddafis und Angehörigen eines getöteten Regierungsgegners verletzt worden sein, gaben Augenzeugen gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters an. Ein Gebäude ging in Flammen auf. Libysche Medien hatten zuvor berichtet, der regionale Polizeichef sei wegen der Unruhen abgesetzt worden.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch mit Sitz in New York berichtete, mehrere an der Vorbereitung der Proteste beteiligte Regierungsgegner seien inhaftiert worden, die Telefonverbindungen in einigen Landesteilen sollen unterbrochen sein.
Schwere Vorwürfe gegen Armee
Die in Genf ansässige libysche Organisation Human Rights Solidarity erklärte unter Berufung auf Zeugenangaben, Scharfschützen hätten in al-Baida sogar mindestens 13 Menschen getötet. Eine Bestätigung dafür gab es nicht. Möglicherweise um Ruhe in die Situation zu bringen, berichtete die libysche Tageszeitung „Kurina“ (Website: Quryna.com), die Al-Gaddafis Sohn Saif al-Islam nahestehen soll, die Regierung plane für kommende Woche „größere Veränderung“ inklusive Personalrochaden in der Führung.
Kommt Regime ins Wanken?
Welche Ausmaße die Proteste in Libyen am Ende annehmen, scheint vorerst unklar. Im Gegensatz zu Ägypten, wo Präsident Hosni Mubarak letzte Woche gestürzt worden war, verfüge der Maghreb-Staat über ausreichend finanzielle Mittel, um soziale Unzufriedenheit zu glätten, lautete ein von Reuters zitierter Expertenkommentar am Donnerstag.
„Wir haben Probleme“, so der Politikwissenschaftler Mustafa Feturi aus Tripolis gegenüber der Nachrichtenagentur, Libyen sei in vielen Berichten rückständig. Dennoch glaube er nicht, dass sich die Unruhen weiter ausdehnen würden. „Al-Gaddafi ist immer noch sehr respektiert.“ Dennoch haben die Proteste in Tunesien, wo Staatspräsident Zine el Abidine Ben Ali ebenfalls entmachtet wurde, die in Algerien und Ägypten anscheinend doch den Funken nach Libyen überspringen lassen.
Letzte große Proteste vor vier Jahren
Al-Gaddafi regiert das Land seit mehr als 40 Jahren, er ist der am längsten dienende Staatschef des gesamten afrikanischen Kontinents. Politische Parteien sind in Libyen verboten, öffentlicher Widerspruch wird kaum geduldet. Nach Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen ließ der Revolutionsführer, seit er sich 1969 mit Hilfe einer Militärjunta an die Macht putschte, Tausende seiner Gegner inhaftieren.
Zu den letzten nennenswerten Protesten war es in Libyen vor genau vier Jahren gekommen, als am 17. Februar 2006 Sicherheitskräfte in Bengasi mehrere Regierungsgegner erschossen, nachdem die das italienische Konsulat angegriffen hatten.
Die „vier roten Linien“
Zu den neuen Protesten war nun u. a. via SMS-Nachrichten aufgerufen worden. Deren Wortlaut: „Von der Jugend Libyens an alle, die versuchen wollen, die vier roten Linien zu überschreiten: Kommt und trefft uns auf jedem Platz und auf jeder Straße Libyens.“ Die „vier roten Linien“ steckte Saif al-Islam al-Gaddafi in einer Rede 2007 ab: Islam, Sicherheit, territoriale Integrität und Muammar al-Gaddafi. Westliche Journalisten berichteten, die Regierung habe dagegen die Bevölkerung per Massen-SMS davor gewarnt, an den Protesten teilzunehmen. Ähnliche Warnungen hatte auch das Regime in Ägypten - ohne Erfolg – verschickt.
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