Menschenströme auf den Straßen
Am achten Tag der Proteste gegen den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak haben sich unbestätigten Berichten des TV-Senders al-Jazeera zufolge bis Dienstagnachmittag auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo und den angrenzenden Straßen bis zu zwei Million Demonstranten versammelt.
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Die BBC geht laut eigenen Schätzungen von Mittag von mehr als einer Million Menschen aus. Die Opposition hatte für den Tag zu einem „Marsch der Million“ aufgerufen. In Sprechchören und auf Transparenten verlangte die Menge erneut den Rücktritt Mubaraks. An den Zugängen zu dem Platz kontrollierten Zivilisten die Ausweispapiere und durchsuchten die Teilnehmer. Soldaten beobachteten das Geschehen, griffen aber nicht ein. Laut BBC bittet das Militär die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz, sich zu benehmen, da die Welt über die TV-Geräte zusehe und es um einen Eindruck von Ägypten gehe.
Außerhalb der Innenstadt seien die Straßen leer und verlassen, so ein BBC-Korrespondent. Das öffentliche Leben stehe still. Die Ruhe sei fast gespenstisch. Fast alle Geschäfte seien geschlossen, hieß es weiter.
Freitag „Tag des Abgangs“
Oppositionsführer Mohamed ElBaradei forderte Mubarak auf, bis spätestens Freitag zurückzutreten. Die Demonstranten wollten, dass „dies ein Ende hat, wenn nicht heute, dann spätestens am Freitag“, sagte ElBaradei am Dienstag dem arabischen Fernsehsender al-Arabija. Die Ägypter hätten Freitag den „Tag des Abgangs“ getauft. Mubarak wurde aufgefordert, das Land zu verlassen. Nur dann könne ein Dialog mit der Regierung begonnen werden, sagte der Friedensnobelpreisträger weiter. Mubaraks Residenz in Kairo wurde unterdessen von der Militärpolizei mit Stacheldraht abgeriegelt.
In Alexandria waren laut al-Jazeera rund 100.000 Menschen versammelt. Laut BBC übernahmen es auch in Alexandria Zivilisten mit Armbinden, unter den Demonstranten Ordnung herzustellen - eine Arbeit, die normalerweise von der Polizei übernommen wird. In der Hafenstaat Sues sollen rund 200.000 Menschen demonstrieren.
Hauptverkehrsadern abgeriegelt
Die ägyptische Armee sperrte am Dienstag die Zufahrtswege nach Kairo und in weitere Städte, in denen sich Demonstranten zum „Marsch der Million“ zusammenfinden wollten. Die Autobahn zwischen Kairo und der Hafenmetropole Alexandria war kurz vor der Hauptstadt durch Blockaden des Militärs gesperrt, wie ein AFP-Reporter beobachtete. Einem anderen AFP-Korrespondenten zufolge kamen die Menschen auch aus den Städten Mansura im Norden und Sues im Osten des Landes sowie aus Fajjum südlich von Kairo nicht in Richtung Hauptstadt voran. Seit Montag sind außerdem der Zugsverkehr und Metroverbindungen in die Innenstadt Kairos unterbrochen.
Muslimbruderschaft sehr präsent
Auffällig war, dass unter den Demonstranten in Kairo deutlich mehr Vertreter der Muslimbruderschaft als zuletzt zu sehen waren. Ein Vertreter der islamistischen Organisation sagte einer Reporterin: „Wir sind eine gut organisierte Bewegung. Es wird Zeit, dass auch wir auf diesem Platz reden dürfen.“ Die Muslimbrüder sind in Ägypten offiziell verboten, haben aber viele Anhänger. Sie könnten an einer neuen, von der Opposition gebildeten Regierung beteiligt sein, was in Israel Ängste ausgelöst hat.
Am Vorabend hatte das Militär erklärt, dass es nicht auf friedliche Demonstranten schießen werde. „Wir erkennen die Legitimität der Forderungen der Bürger an“, hieß es in der Erklärung der Militärführung, die am Montagabend veröffentlicht wurde. „Wir werden keine Gewalt gegen die Bürger einsetzen.“

Reuters/Goran Tomasevic
Das Militär erklärte am Montag die Forderungen der Demonstranten für legitim.
Internet weiter tot
Zur Unterbindung der Kommunikation wollte die Regierung das Mobiltelefonnetz kappen. Das berichteten Medien und Regierungsvertreter in der Nacht auf Dienstag. Ein weiterer ägyptischer Internetprovider, die Noor Group, sei am Montagabend vom Netz genommen worden. Das teilte Renesys mit, ein amerikanisches IT-Unternehmen aus New Hampshire, das für Internetanbieter die Sicherheit und die Infrastruktur des Netzes überprüft. Das sei der letzte Internetprovider gewesen, der funktioniert habe, hieß es in einem Medienbericht.
Weiter Warten auf Flughafen
Die großen deutschen Reiseveranstalter bringen bis Mitte Februar keine Urlauber mehr nach Ägypten. Die Reiseverträge würden von den meisten Anbietern aktiv gekündigt, sagte Torsten Schäfer, Sprecher des Deutschen Reiseverbandes (DRV), am Dienstag in Berlin.
Unzählige Menschen warteten auch am Dienstag auf dem Flughafen von Kairo wieder auf einen Flug ins Ausland. Vor dem Terminal 1 fanden Hunderte Reisende, die noch keinen Zutritt zur Eingangshalle erhielten, Unterschlupf in einem großen weißen Zelt, wie AFP-Reporter berichteten. An den Sicherheitsschleusen gab es bis zu 40 Meter lange Warteschlangen.
Die US-Regierung zieht einen Großteil ihrer Mitarbeiter ab. Lediglich eine diplomatische Notbesetzung solle in dem Land verbleiben, alle anderen US-Vertreter und ihre Angehörigen sollten heimkehren, teilte das Außenministerium am Dienstag in Washington mit.
UNO: Bereits 300 Tote
Die UNO-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay hat Hinweise darauf, dass es bei den seit einer Woche andauernden Protesten mehr als die bisher angegebenen 150 Toten gegeben haben könnte. „Einige unbestätigte Berichte legen nahe, dass 300 Menschen getötet, mehr als 3.000 verletzt und Hunderte festgenommen worden sein könnten“, sagte Pillay am Dienstag in Genf. Sie sei angesichts der steigenden Opferzahl in Ägypten „zutiefst alarmiert“. Pillay forderte die ägyptischen Behörden auf sicherzustellen, dass Polizei und andere Sicherheitskräfte „den Einsatz von Gewalt vermeiden“.
TV-Hinweis
ORF2 bringt im „Weltjournal“ am Mittwoch um 22.30 Uhr einen Bericht über die aktuelle Lage in Ägypten - mehr dazu in tv.ORF.at.
Vizepräsident kontaktierte Opposition
Mubarak beauftragte seinen Vizepräsidenten Omar Suleiman, mit der Opposition zu sprechen. Das Büro Suleimans sagte dem US-Nachrichtensender CNN, dass erste Kontakte zur Opposition geknüpft worden seien. Es gab laut CNN-Angaben aber keine Hinweise, welche Vorschläge gemacht worden seien. Zudem fehlten Angaben über die Gesprächspartner.
Mubarak gab seinem neuen Ministerpräsidenten Ahmed Schafik am Montag die Order, angekündigte demokratische Reformen umzusetzen. In dessen Kabinett finden sich allerdings nur etwa ein Drittel neue Minister, wie bei der Vereidigung deutlich wurde. Treue Gefolgsleute des Regimes blieben im Amt.
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