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Sendelizenzen entzogen

Die ägyptische Regierung hat den arabischen Fernsehsender al-Jazeera abgestellt. Die Regierung ordnete am Sonntag ein Empfangsverbot für den Satellitensender an, berichtete die amtliche ägyptische Nachrichtenagentur Mena. Der Sender hatte teils rund um die Uhr über die Lage in Ägypten berichtet.

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Das ägyptische Informationsministerium entzog dem Sender am Sonntag die Akkreditierung für alle Redakteure und widerrief die Sendelizenz für das Kairoer Büro. Informationsminister Anas al-Fekki habe das Verbot „sämtlicher Aktivitäten von al-Jazeera in Ägypten“ angeordnet sowie die Lizenzen des Senders für ungültig erklärt. Die Akkreditierungen der Journalisten des Senders seien ab Sonntag ungültig.

Satellitenverbindung gekappt

Al-Jazeera musste seine von den Behörden kritisierte Liveberichterstattung von Brennpunkten der Proteste gegen das Regime von Präsident Hosni Mubarak einstellen. Die Verbindung zu dem ägyptischen Übertragungssatelliten Nilesat wurde gekappt, wie al-Jazeera bestätigte. Das Signal in mehreren Gebieten der arabischen Welt wurde damit unterbrochen. Reporter des Senders lieferten zunächst noch Telefonberichte.

220 Mio. Empfänger weltweit

Der 1996 gegründete TV-Sender beschäftigt nach eigenen Angaben mehr als 400 Journalisten in mehr als 60 Ländern weltweit. Sein Programm kann demnach in 220 Millionen Haushalten in über 100 Ländern empfangen werden.

Der Sender selbst verurteilte diesen Schritt vehement und kündigte an, ohne Rücksicht auf die Sperre die Berichterstattung weiterzuführen. „Al-Jazeera verspricht seinem Publikum in Ägypten und auf der ganzen Welt, dass es seine tiefgehende und umfangreiche Berichterstattung über die Geschehnisse, die sich in Ägypten entfalten, fortführt“, sagte ein Sprecher.

„Al-Jazeera hat politische Agenda“

Die Behörden - aber auch ägyptische Zuschauer - werfen dem Sender vor, zu positiv über die Lage berichtet zu haben. So sei die Bedrohung durch Kriminelle zu Beginn weitgehend ausgeklammert worden. „Es ist doch klar zu erkennen, dass al-Jazeera eine politische Agenda hat“, sagte eine ägyptische Journalistin am Sonntag.

Der Sender aus Katar hatte bisher umfassend über die Proteste gegen die ägyptische Regierung berichtet. Für diese Berichterstattung habe man „globale Anerkennung“ erhalten, so al-Jazeera in dem Statement. Dass der Sender nun verboten wurde, sei ein Akt, der die Freiheit der Berichterstattung des Netzwerks und seiner Journalisten „unterdrücke und ersticke“.

„Bevölkerung zum Schweigen bringen“

„In dieser Zeit tiefer Turbulenzen und Unruhen in der ägyptischen Gesellschaft ist es unerlässlich, dass Stimmen von allen Seiten gehört werden. Die Schließung unseres Büros durch die ägyptische Regierung hat das Ziel, die Stimmen der Bevölkerung Ägyptens zu zensurieren und zum Schweigen zu bringen“, hieß es vonseiten des Senders.

Anerkennung für Tunesien-Berichterstattung

Al-Jazeera wurde bereits dafür bejubelt, mit seiner frühzeitigen Berichterstattung über die Ereignisse in Tunesien - lange bevor westliche Korrespondenten in das Land kamen - die Revolte erst ermöglicht zu haben. Diese Tage seien „in vielerlei Hinsicht die Stunde von al-Jazeera“, ist die „New York Times“ („NYT“) überzeugt.

Der Sender habe - nicht erst jetzt - entscheidend dabei mitgeholfen, der von den oppressiven Regimen unterdrückten Wut in der Bevölkerung eine Stimme zu verleihen. Al-Jazeeras Fokus richtet sich dabei vor allem gegen arabische Regierungen, die mit den USA oder gar Israel kooperieren. Das sei seit Jahren eine der Grundausrichtungen der Berichterstattung bei al-Jazeera, indem die politische Krise und das Leiden der Araber betont würden, so die „NYT“.

„Ohne al-Jazeera unmöglich“

Marc Lynch, Nahost-Experte an der Washington University, ist überzeugt, dass al-Jazeera mithalf, das Gefühl zu schaffen, es gehe um einen gemeinsamen Kampf in der gesamten arabischen Welt. „Sie haben diese Entwicklungen nicht ausgelöst, aber es ist fast unmöglich, sich vorzustellen, dass all das ohne al-Jazeera passiert wäre.“

Das Satellitennetzwerk mit seinen arabisch- und englischsprachigen Programmen „benutzt seine Berichterstattung, um Botschaften zu vermitteln“, so Randa Habib, eine in London lebende politische Analystin und Autorin, gegenüber der „Los Angeles Times“. Der Sender wolle die Zuseher dazu bringen, die Ereignisse in den arabischen Ländern zu vergleichen, damit sie „die Lektion von Tunis erkennen“.

Sender mit Schlagseite

Al-Jazeera wird häufig verdächtigt, mit seiner Berichterstattung die radikal-islamischen Gruppen Hisbollah im Libanon und Hamas im Gazastreifen zu unterstützen. Klar ist, dass die Sympathien des Senders meist klar verteilt und erkennbar sind - gegen westlichen, vor allem US-amerikanischen Einfluss und gegen die Unterdrückung. Und dass die Redaktion den Begriff Terrorismus auch dann konsequent vermeidet, wenn es sich um Anschläge auf Zivilisten handelt, wird auch von einigen arabischen Kollegen kritisiert.

Druck nachgegeben?

Al-Jazeera wurde auch vorgeworfen, die Revolte in Ägypten - auf Druck des Emirs von Katar - zunächst heruntergespielt zu haben. Mit einem Tag Verzögerung stieg der Sender jedoch mit der gewohnten Verve in die Berichterstattung ein. Die TV-Station hatte allerdings schon in der Vergangenheit politischem Druck nachgegeben. 2007 wurde die kritische Berichterstattung über Saudi-Arabien plötzlich deutlich abgemildert. Doch laut „NYT“ ist al-Jazeera unter den arabischen TV-Stationen noch immer jene, die am wenigsten Rücksicht auf politische Interessen nimmt.

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