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„Sind für gemäßigten Islam“

Beobachter sind sich einig: Das Schreckgespenst des Islamismus hat Tunesiens gestürzten Machthaber Zine el Abidine Ben Ali jahrelang an der Macht gehalten. Doch auch wenn beim Volksaufstand der letzten Wochen radikalislamische Parolen weitgehend fehlten, sehen auch Tunesiens Islamisten im Umbruch des Landes nun ihre Chance auf ein Comeback.

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Im Mittelpunkt steht die 1991 von Ben Ali verbotene Ennahdha (Wiedererweckung), die größte islamistische Organisation des Landes. Geleitet wird die Partei von dem in Tunesien in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilten Rached el Ghannouchi geleitet, der bereits die Rückkehr aus seinem Londoner Exil ankündigte.

Von Muslimbrüdern ispiriert

Inspiriert von der ägyptischen Muslimbruderschaft im Jahr 1981 von einigen Intellektuellen gegründet, wurde Ennahdha in Tunesien zunächst toleriert. Mit der Wahl 1989, bei der die Islamisten mit einer „unabhängigen Liste“ 17 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnten, begann die Verfolgung der Parteimitglieder. 1991 wurde die Partei verboten.

„Werden Teil der Politik sein“

Vertreter der Islamistenpartei betonten, dass man die Übergangsregierung und deren Versprechen einer demokratischen Öffnung beim Wort nehmen und einen Legalisierungsantrag stellen wolle. „Wir haben das bis jetzt noch nicht gemacht, weil wir verfolgt wurden und uns nicht wiedervereinigen konnten, aber wir planen einen solchen Antrag“, so Ali Laraidh, der wegen seiner Ennahdha-Zugehörigkeit unter Ben Ali 14 Jahre im Gefängnis verbrachte.

„Wenn die Demokratie erst errichtet ist, werden wir Teil der Politik sein wie alle anderen auch, und wir werden unsere Rechte und Pflichten geltend machen“, sagt Laraidh und fordert wie Ennahdha-Generalsekretär Hamdadi Jabali auch einen generellen Straferlass für alle Mitglieder. Letzteres sei nach Angaben der tunesischen Übergangsregierung bereits Realität. Wie der Minister für regionale Entwicklung, Najib Chebbi, zuletzt mitteilte, seien alle politischen Häftlinge bereits entlassen worden. Auch von den Ennahdha-Mitgliedern sei demnach niemand mehr in Haft. Die von der Regierung beschlossene Generalamnestie soll es auch ermöglichen, dass sich Ennahdha wieder offiziell politisch betätigen kann.

„Affinitäten mit AKP“

Während der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Volksaufstand bereits den ersten Schritt zur Einführung des islamischen Rechts sieht, kamen von Tunesiens Islamisten unterdessen weitgehend gemäßigte Töne. Seine Partei sei „keine militante Bedrohung“, sagte etwa El Ghannouchi. Vielmehr sei Ennahdha von ihrer Ausrichtung eher mit der türkischen Regierungspartei AKP zu vergleichen.

„Von Affinitäten mit der AKP und Respekt vor dem Kampf der Hamas gegen die israelische Besetzung“ sprach auch Jabali im Interview mit der „Presse“ (Donnerstag-Ausgabe). Welches Gesetz in Tunesien angewandt wird, hat laut Jabali zudem nicht Ennahdha, sondern das Volk zu entscheiden, und dieses gehe derzeit „von sich aus auf die Straße“.

„Wir möchten nicht den Eindruck erwecken, diese Bewegung für unsere Zwecke vereinnahmen zu wollen“, versichert einer der Ennahdha-Sprecher in Paris, Houcine Jaziri. „Wir sind bereit, mit jedem zu sprechen, mit allen politischen Kräften und Vertretern der Zivilgesellschaft.“ Bei der anstehenden Parlamentswahl will die Partei antreten, einen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl will sie hingegen nicht aufstellen. Die Partei steht laut Jaziri für einen gemäßigten Islam.

Kritik an „Europas Islam-Psychose“

Auf die Frage, ob in Tunesien dennoch Elemente der Scharia in eine neue Verfassung aufgenommen werden sollen, reagierte Jabali unterdessen mit Kritik an der „Islam-Psychose“ in Europa. Dort werde bei Scharia gleich an abgehackte Hände von Eierdieben gedacht, doch „wenn man Hände abhacken müsste, dann Ganoven wie Ben Ali, die das Land ausgeplündert und eine Diktatur errichtet haben“. Zudem habe Ben Ali „die Vorurteile der Europäer genutzt, um seine Herrschaft zu stabilisieren“.

Fehlende Akzeptanz?

Mouhieddine Cherbib vom Komitee für den Respekt der Freiheiten und Menschenrechte in Tunesien bezweifelt unterdessen, dass die Islamisten schon bald zu einer gewichtigen Macht im Land werden könnten. „Sie haben hier keinen Nährboden und sind der jungen Bevölkerung kaum bekannt“, so Cherbib gegenüber AFP. Die Islamisten seien keine geeinte Bewegung, und die Bevölkerung sei ihnen gegenüber gespalten. „Einige betrachten sie als gemäßigt, andere sehen in ihnen den islamistischen Wolf, der umherstreunt“, so Cherbib. In den Protesten hätten die Menschen zudem nicht nach mehr Islamismus verlangt, „sondern nach Demokratie und Freiheit“.

Der Politologe Larbi Chaouikha teilt diese Einschätzung. „Sobald wir die Demokratie ausgerufen haben, spricht nichts gegen Ennahdha als anerkannte politische Partei. Aber als weltliche Aktivisten? Da habe ich so meine Zweifel“, sagte Chaouikha im Gespräch mit AFP. „Ist Ennahdha bereit, die Rechte der Frauen zu respektieren, die Trennung zwischen Religion und Politik, kurz: die allgemeingültigen Menschenrechte?“

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