Die „Medienverfassung“ im Detail
Der Streit über die neue ungarische Mediengesetzgebung bezieht sich auf zwei Gesetze: das Gesetz Nr. CIV des Jahres 2010, bekannt als „Medienverfassung“, und das eigentliche Mediengesetz Nr. CLXXXV von 2010. Sie wurden im Vorjahr vom Budapester Parlament verabschiedet, in dem die Regierungspartei FIDESZ von Premier Viktor Orban gemeinsam mit ihrem Bündnispartner, den Christdemokraten (KDNP), eine Zweidrittelmehrheit innehat.
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Beide Rechtsnormen sind mit 1. Jänner 2011 in Kraft getreten, gleichzeitig mit dem Beginn der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft. Das Gesetz Nr. CIV handelt laut Titel „Von der Pressefreiheit und den grundlegenden Regeln der Medieninhalte“. Die nur 23 Paragrafen umfassende Rechtsnorm beschreibt insbesondere die Grundsätze der Pressefreiheit, die Regeln im Umgang mit Informationsquellen, die ethischen Verpflichtungen der Medien und die Bestimmungen zur Veröffentlichung von Richtigstellungen.
Aushebelung des Redaktionsgeheimnisses?
Besonders bemängelt werden von Kritikern dabei jene Vorschriften, wonach Journalisten kein Recht hätten, die Identität einer Informationsquelle geheim zu halten, „wenn diese unberechtigt geheime Daten weitergibt“. Zudem könne ein Gericht oder Behörde „in besonders begründeten Fällen“ das Medium zur Bekanntgabe der Quelle verpflichten, wenn es „um Fragen der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung oder die Aufdeckung oder Verhinderung von Straftaten“ geht. Kritiker sehen darin eine Aushebelung von Redaktionsgeheimnis und Informantenschutz.
Ein weiterer umstrittener Punkt der „Medienverfassung“ sind die Modalitäten einer Gegendarstellung. Ein Medium ist demnach nämlich verpflichtet, jeglichem, innerhalb von 30 Tagen nach Erscheinen schriftlich übermittelten Antrag auf Gegendarstellung nachzukommen, außer „die im Antrag aufgestellten Behauptungen sind sofort falsifizierbar“. Im österreichischen Mediengesetz werden hingegen mehrere Gründe angeführt, wann von einer Gegendarstellung abgesehen werden kann.
Medienbehörde darf Verordnungen erlassen
Für noch heftigere Kritik sorgte allerdings das am 20. Dezember 2010 verabschiedete Gesetz Nr. CLXXXV. Es bildet unter anderem die rechtliche Grundlage für die im August geschaffene Medien- und Telekommunikationsbehörde NMHH sowie den ihr angeschlossenen Medienrat, dem die eigentliche Aufsicht der Medienanbieter aufgetragen ist. Der Präsident der NMHH wird vom Ministerpräsidenten für neun Jahre ernannt, wobei eine Verlängerung möglich ist. Er wird im Regelfall auch zum Präsidenten des fünfköpfigen Medienrats gewählt, dessen Mitglieder vom Parlament für neun Jahre delegiert werden.
Besondere Kritik übte die ungarische Opposition nicht nur an der Macht von Behörde und Medienrat und der Amtszeitlänge von neun Jahren, sondern auch an dem Umstand, dass derzeit sowohl die Führung der NMHH als auch sämtliche Mitglieder des Medienrates der Regierungspartei FIDESZ nahestehen. Präsidentin beider Gremien ist die FIDESZ-Medienpolitikerin Annamaria Szalai, der durch eine Verfassungsänderung zudem das Recht eingeräumt wurde, ähnlich wie die Regierung, der Regierungschef oder die Minister Verordnungen zu erlassen. Die EU-Kommission untersucht derzeit bei ihrer Prüfung des Mediengesetzes, ob die Medienbehörde tatsächlich politisch unabhängig agieren kann.
Massive Geldstrafen möglich
Den eigentlichen Grund für die internationale Empörung über das Mediengesetz boten indes die Strafbestimmungen in den Paragrafen 185-189. Demnach kann die Medienbehörde bei schwerwiegender und wiederholter Zuwiderhandlung gegen die Bestimmungen des Gesetzes „Medien mit bedeutendem Einfluss“ (eine von dem Gesetz geschaffene Kategorie) zu Strafen von bis zu 200 Millionen Forint (716.230 Euro) verdonnern (laut Paragraf 187 [3 ba]).
Obwohl ungarische Regierungsvertreter immer wieder betonten, dass sich dieses Strafmaß nicht auf die Vorschriften zur ausgewogenen Berichterstattung erstrecke, beziehen sich laut Paragraf 182 u) und 184 e) die Kompetenzen von Medienrat und Behörde ausdrücklich auch auf diese Fälle, und auch Paragraf 187 über die konkreten Strafmaßnahmen beinhaltet keine inhaltlichen Einschränkungen.
Kroes sah weitere Probleme
Die für die digitale Agenda zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes hatte weiters bemängelt, dass die Vorschriften des Gesetzes auch für Medienbetriebe gelten, die in anderen EU-Staaten niedergelassen sind, was gegen das EU-Herkunftslandprinzip verstoße. Demnach sind Mediendienstleister grundsätzlich nur den Regeln ihres Heimatlandes unterworfen. Ausnahmen seien nach der Audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie (AVMD) der EU strikt eingeschränkt.
Weitere Kritikpunkte Kroes’ waren die Einbeziehung audiovisueller On-Demand-Dienste in die Gesetzgebung - unter die „sogar ein einfacher Videoblogger“ fallen könnte, wie sie sagte - sowie die Pflicht, „dass alle audiovisuellen Onlinemedien registriert werden müssen“. Die von Kroes angesprochenene Probleme konnten mittlerweile aus dem Weg geräumt werden.
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