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Teppich erhitzt die Gemüter

Bleiben die Ungarn nicht auf dem Teppich? Diese Frage stellt sich beim Betreten der gigantischen Eingangshalle des EU-Ratsgebäudes in Brüssel. Wo sonst Minister und Regierungschefs über rote Teppiche zu wichtigen Besprechungen eilen, sorgt jetzt ein zur Dekoration verlegter Historienteppich für Kopfschütteln.

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Kaum zwei Wochen nach Beginn seiner sechsmonatigen Ratspräsidentschaft tritt Ungarn schon wieder in ein diplomatisches Fettnäpfchen. Denn das Kunstobjekt ziert auch eine historische Karte Ungarns von 1848. Damals war das Habsburger Reich viel größer als das heutige Ungarn - inklusive der jetzigen EU-Partner Österreich und Slowakei. „Ungarische Kulturgeschichte, auf einen Teppich geträumt“, wirbt Ungarn für das Objekt. EU-Parlamentarier sehen eher einen Alptraum ungarischer Großmannssucht. „Wir brauchen ein starkes, geeintes Europa und nicht einen Rückfall in Nationalismus“, sagte die österreichische grüne EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek der dpa.

Geduldsfaden ist gespannt

Ein rumänischer Abgeordneter wies schlicht darauf hin, dass es frühere Grenzen nicht mehr gebe. Nächsten Mittwoch wird Ungarns Premier und Machtpolitiker Viktor Orban im Europaparlament zu Gast sein. „Da wird es Ärger geben“, kündigte Lunacek an. Doch EU-Diplomaten warnen vor vorschnellen Urteilen. Bisher ist die Debatte ein Sturm im Wasserglas. „Wir wollen Ungarn jetzt erst einmal mit der Arbeit anfangen lassen“, sagte ein EU-Diplomat. Klar ist: Der Geduldsfaden der EU-Partner ist gespannt, die Urteilskraft der Budapester Diplomatie wird angezweifelt.

Es ist ja nicht das erste Mal. Erst erließ Ungarn ein Gesetz, das die Medien knebelt und unter den Einfluss der regierenden rechtskonservativen Partei Orbans stellte. Dann wurde eine Sondersteuer bekannt, die vor allem ausländische Konzerne trifft. International war die Empörung groß, EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso persönlich rief den Regierungschef zur Ordnung. Und jetzt das.

Von Königen bis Kugelschreiber

Auch wenn der Vorwurf, dass der Teppich im EU-Gebäude Großungarn zeigt, historisch nicht zu halten ist, stellt sich die Frage der Sensibilität. Erst seit 1867 sprechen Historiker von der K. u. k. Doppelmonarchie und „Großungarn“. Und der 200 Quadratmeter große Kunststoffläufer zeigt auf grell grünem Grund insgesamt gut zwei Dutzend Motive der ungarischen Geschichte: Könige, den Komponisten Franz Liszt, aber auch moderne Errungenschaften wie den populären Zauberwürfel und die Entwurfsskizze eines Kugelschreibers. In der Mitte, nur etwa 15 Quadratmeter groß, prangt die umstrittene Karte.

Immerhin 160.000 Euro ließ sich Ungarn die gesamte Inszenierung kosten. Der Sprecher der ungarischen Ratspräsidentschaft, Marton Hajdu, ist um Schadensbegrenzung bemüht: „Der Teppich ist eine Zeitreihe von kulturellen und historischen Bildern.“

Nicht der erste Streit über Kunstwerk

Ärgerlich ist, dass schon wieder ein noch junges EU-Mitglied aus Osteuropa für Schlagzeilen sorgt. Die Ungarn schließen an Tschechien an, das Anfang 2009 einen Eklat auslöste. Die Tschechen ließen den Künstler David Cerny eine Installation anfertigen, die wohl eine Satire auf Vorurteile über die EU-Staaten sein sollte: Bulgarien als Ansammlung von Hocktoiletten, Frankreich wegen Streiks geschlossen, Deutschland mit Autobahnen in einer Hakenkreuz-ähnlichen Anordnung.

Später wurde bekannt, dass Cerny sich die Namen der Kokünstler ausgedacht hatte. Die EU-Regierungen fanden das nicht lustig, Teile der Installation wurden abgedeckt. Diese Notwendigkeit sehen die Ungarn nicht: „Wir stehen zu diesem Teppich und informieren darüber“, sagte Sprecher Hajdu. Einzig der Kreativdirektor des ungarischen Auftritts in Brüssel, Robert Lengyel, bedauert: „Wir wollten die Gefühle keiner einzigen Nation verletzen.“

Marion Trimborn und Gregor Mayer, dpa

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