„Basis für zivile Bewegung gelegt“
Eine Protestaktion gegen das umstrittene neue ungarische Mediengesetz hat Freitagabend auf dem Budapester Kossuth-Platz stattgefunden. Laut Veranstaltern nahmen rund 15.000 Menschen an der Demonstration teil. Aufgerufen zu der Aktion hatte eine Facebook-Seite, die mit dem Ziel des Protestes gegen das Mediengesetz und zum Schutz der Pressefreiheit ins Leben gerufen wurde.
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Die Schauspielerin Dorka Gryllus verlas eine Deklaration, in der eine grundlegende Änderung des Mediengesetzes verlangt wurde. Der Facebook-Aktivist Robert Fölkel erklärte: „Heute ist die Basis für eine zivile Bewegung gelegt worden, wie es sie hier noch nie gab. Eine Bewegung, an der die Macht nicht mehr vorbeikommt, die von der Macht nicht mehr ignoriert werden kann.“

APA/EPA/Zsolt Szigetvary
Tausende finden sich auf dem Kossuth-Platz ein.
Es handelte sich um die bisher größte Kundgebung seit den Parlamentswahlen im vergangenen April. Bei diesen hatte der rechts-konservative Bund Junger Demokraten (Fidesz) unter Viktor Orban eine Zweidrittelmehrheit errungen.
EU-Kommission prüft
Das Mediengesetz, das auch zur Unterdrückung der Pressefreiheit führen könnte, wurde von der ungarischen Regierung Ende Dezember beschlossen. Es trat am 1. Jänner in Kraft, als Ungarn die turnusmäßige EU-Ratspräsidentschaft übernahm. Die EU-Kommission prüft es derzeit auf seine Vereinbarkeit mit europäischem Recht.
70.000 Unterstützer im Netz
In Ungarn wurde das neue Gesetz nicht nur von der Opposition kritisiert, sondern auch von zahlreichen Bürgern. Fast 70.000 Menschen unterstützen die Facebook-Seite „Eine Million für die ungarische Pressefreiheit“, die zur Kundgebung am Freitag aufgerufen hatte. Die Teilnehmer der Demonstration bedankten sich mit Applaus für die Solidarität in Österreich, wo zur gleichen Zeit in Wien vor der ungarischen Botschaft Menschen ihre Solidarität mit den ungarischen Journalisten zum Ausdruck brachten.
Petition an ungarischen Botschafter übergeben
Etwa 250 Personen waren am Freitagabend dem Aufruf acht österreichischer Organisationen gefolgt und demonstrierten gegen das ungarische Mediengesetz vor der ungarischen Botschaft in Wien. Die Organisatoren forderten erneut die Rücknahme des umstrittenen Gesetzestextes und unterstrichen das mit der Übergabe einer Petition an den ungarischen Botschafter Vince Szalay-Bobrovniczky.
„Ich finde es erschütternd, dass das neue Mediengesetz am selben Tag in Kraft getreten ist, als Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat (am 1. Jänner 2011, Anm.)“, ortete Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen (RoG/RSF) mögliche Hintergründe zur Einführung des Gesetzes. Die Zensurmaßnahmen seien ein „Rückfall in Methoden nichtdemokratischer Regierungen“, denn „Zensur ist Mord an der Pressefreiheit und am Recht aller Bürger auf Information“, so Möhring.
Drakonische Strafen
Das Mediengesetz stellt alle Fernseh- und Rundfunksender, Printerzeugnisse und Internetportale unter Kontrolle der von der rechts-konservativen Regierungspartei FIDESZ-MPSZ kontrollierten Medienbehörde NMHH. Medien drohen Strafen von bis zu umgerechnet 730.000 Euro, wenn sie gegen die nicht eindeutig formulierten Vorschriften des Gesetzes verstoßen.
Botschafter: Ausgewogen und EU-konform
Szalay-Bobrovniczky wehrte sich gegenüber der APA gegen jegliche Vorwürfe der Abschaffung der Pressefreiheit in Ungarn. Das sei eine „dreiste Lüge“, das Gesetz bezeichnete er als „ausgewogen“ und „EU-konform“. Niemand zensuriere die ungarische Presse, auch die im August geschaffene Medienbehörde (NMHH) sei keine „politische Einrichtung“ und von der Regierung „völlig unabhängig“, betonte der ungarische Botschafter in Wien.
Auch VÖZ besorgt
Der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) zeigte sich angesichts des neuen ungarischen Medienrechts „tief besorgt“ und sah die Pressefreiheit eingeschränkt. VÖZ-Präsident Hans Gasser erwartet, „dass die Europäische Kommission angesichts der Brisanz des Themas ihre rechtliche Analyse rasch vornimmt, um sicherzustellen, dass EU-Standards auch in Ungarn garantiert sind“, wie er in einer Aussendung erklärte.
Kroes sieht breitere politische Fragen
Trotz Versicherungen der ungarischen Regierung hält die für die digitale Agenda zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes ihre Kritik am Gesetz aufrecht. Kroes sagte am Dienstag bei einer Diskussionsveranstaltung der Liberalen im EU-Parlament in Brüssel, „neben speziellen Fragen zur Audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie (AVMD) wirft das neue Mediengesetz breitere politische Fragen in Hinblick auf die freie Meinungsäußerung auf“.
Kroes, die selbst der liberalen Parteienfamilie angehört, betonte, unter der AVMD-Richtlinie stelle das ungarische Mediengesetz ein „Problem“ dar, weil seine Vorschriften auch für Medienbetriebe gelten, die in anderen EU-Staaten niedergelassen sind, und das gegen das EU-Herkunftslandprinzip verstoßen würde. Die EU-Richtlinie schaffe einen Binnenmarkt, der auf diesem Prinzip aufbaue. Demnach seien die Provider von Mediendiensten grundsätzlich nur den Regelungen ihres Heimatlandes unterworfen. Ausnahmen seien nach der Richtlinie strikt eingeschränkt.
Auch einfache Videoblogger betroffen
„Darüber hinaus scheint die Vorschrift nach ausgewogener Information auf den ersten Blick ziemlich weit gefasst zu sein, da sie sich vom Bereich des Rundfunks, wo solche Regeln ziemlich üblich sind, auf audiovisuelle Mediendienste on demand erstreckt, wie sogar auf einen einfachen Videoblogger“, kritisierte die niederländische EU-Kommissarin weiter. Die EU-Kommission untersuche auch „die schwierige Frage der Kriterien für die Unabhängigkeit der Medienbehörde“.
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