Haft, Exil, Bundeskanzler
Das Ende der Habsburger-Monarchie, zwei Weltkriege, Austrofaschismus, Kalter Krieg: Das Leben Bruno Kreiskys war von Kindheit an von heftigen Umbrüchen und Konflikten geprägt. Der Blick in seine Kinder-, Jugend- und Studentenzeit und seine Jahre im erzwungenen schwedischen Exil hilft politische Entscheidungen in seiner Zeit als vielgepriesener Kanzler zu verstehen.
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Kreisky habe mehr als andere aus diesen Erfahrungen „politisch praktische Schlüsse für seine Karriere gezogen. Er verlor nie die historischen Zusammenhänge aus den Augen, aber er ist nicht nostalgisch daran hängen geblieben“, fasst Wolfgang Petritsch die Besonderheiten Kreiskys im ORF.at-Interview zusammen.
Als früherer langjähriger Sekretär Kreiskys suchte Petritsch, heutiger Österreich-Botschafter in der OECD, mit seiner neuen Biografie über den Ausnahmepolitiker die Frage zu beantworten, was und wer ihn zum späteren international angesehenen Staatsmann machte. Am 22. Jänner wäre er 100 Jahre alt geworden.
Durch Onkel zur Sozialdemokratie
Eigentlich stammte Kreisky aus einer wohlhabenden, bürgerlichen Familie mit jüdischem Hintergrund. Einige Familienmitglieder unterstützten eindeutig das deutsch-freiheitliche Gedankengut. Sein Vater, Generaldirektor einer Textilfirma, war den Gedanken der Freimaurer zugetan. Er galt als weltoffener Liberaler.
Vor allem Kreiskys Onkel Rudolf brachte ihn nach eigenen Worten zur Sozialdemokratie. Durch ihn lernte er das Elend der Fabriksarbeiter und Handwerker kennen. Schon mit sieben Jahren, am Ende des Ersten Weltkriegs, zog Kreisky mit Freunden durch die Elendsviertel in den Vorstädten. Petritsch: „Rudolf ist die wichtigste Bezugsperson bei der Sozialisierung des jungen Kreisky.“
Idol Otto Bauer
Mit 13 Jahren nahm er erstmals an einer Schülerdemonstration teil. Kurz darauf wurde er Mitglied bei der Vereinigung sozialistischer Mittelschüler. Stark politisiert durch die Ereignisse rund um den Brand des Justizpalastes im Juli 1927, trat er der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) bei.

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Kreiskys Förderer Otto Bauer
Anfangs habe er aufgrund antisemitischer Stimmung, seiner bürgerlichen Herkunft und seines stets makellosen Auftretens mit Akzeptanzschwierigkeiten gekämpft, heißt es in der von Petritsch verfassten Biografie. Diese gemeinsame Zeit mit Gleichaltrigen vermittelte Kreisky dennoch ein Gefühl von Gemeinschaft, beschreibt sein früherer Sekretär: „Mehr als Personen prägten Kreisky emotionale Erlebnisse.“ Schon im Maturajahr sprachen seine Mitschüler bei Kreisky von einem „künftigen Gemeinderat“.
Da war der 18-Jährige bereits Redakteur für die „Arbeiter-Zeitung“, wo er auch Kontakt zum damaligen stellvertretenden Parteivorsitzenden der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), Otto Bauer, hatte. Das politische Idol Kreiskys hielt ihn auch von einem Medizinstudium ab: „Die Partei braucht gute Juristen und hat davon zu wenige. Wenn Sie der Partei wirklich einen Dienst erweisen wollen, müssen Sie Jurist werden.“
„Sprechen Sie langsam“
Kurz darauf begann Kreisky mit dem Jus-Studium. Dieses war von einem politischen Klima geprägt, das sich gegen jüdische und linke Studenten wendete. Sein politisches Engagement in der SAJ setzte er dennoch fort. Ein früher Rat Bauers kam dafür sicher nicht ungelegen: „Sprechen Sie immer schön langsam und auch sonst so, dass die Leute Sie verstehen.“
„Bauer hinterließ bei Kreisky eine starke politische Prägung, die sich aber im Laufe der Jahre relativierte. Er kritisierte vor allem die Flucht Bauers in die damalige Tschechoslowakei. Kreisky schätzte Bauer als großen Theoretiker, der aber in der Praxis mitunter versagte“, analysiert Petritsch.
„Held der Sozialdemokratie“
Sein politisches Engagement brachte ihn mehrfach ins Gefängnis. Mit seiner Verteidigungsrede beim Sozialistenprozess 1936, bei dem er des Hochverrats bezichtigt wurde, und seinem deutlichen politischen Bekenntnis überwand Kreisky endgültig das Misstrauen gegen ihn und legte die Basis für seine Stellung innerhalb der Sozialdemokratie. Petritsch: „Dieser Prozess wurde international beobachtet. Britische und schwedische Sozialdemokraten setzten sich für Kreisky ein. Auch in Österreich wurde er zum Held der Sozialdemokratie.“
Freundschaft zu Nazis
Obwohl er weder mit Kommunismus noch Nationalsozialismus etwas anfangen konnte, schloss er während seiner Haftzeit mit einigen ebenfalls inhaftierten Kommunisten und Nazis Freundschaft. Dass Kreisky deshalb später eher ehemalige Nationalsozialisten in seinem Kabinett duldete, schließt Petritsch gegenüber ORF.at aus: „Kreisky sah stets die größere Gefahr für Österreich durch den Austrofaschismus. Den Nationalsozialismus erlebte er kürzer. Hitler nahm er als deutsches Phänomen wahr.“
Kreisky hätte daher mehr Verständnis gehabt, sich aus der ausweglosen Situation unter dem Ständestaatregime von Engelbert Dollfuß, der Massenarbeitslosigkeit und Demoralisierung in den 30er Jahren in die Arme Hitlers zu werfen.
Zur Regierung Kreisky gehörten auch Minister mit prominenter nationalsozialistischer Vergangenheit. SPÖ-Landwirtschaftsminister Hans Öllinger etwa war Angehöriger der SS. Verkehrsminister Erwin Frühbauer war ab 1940 Mitglied der NSDAP. Kreisky hatte gegenüber den ehemaligen Nationalsozialisten mehr Toleranz: „Auch ein NSDAP-Mitglied oder ein SS-Mann muss in Österreich jedes Amt bekleiden dürfen, solange ihm keine Verbrechen nachgewiesen sind.“
Lernen in Schweden
Im Alltag wurde das Leben nach der Entlassung aus der Haft nicht einfacher. Von der Universität war er ausgeschlossen. Er hatte Arbeitsverbot, seine illegale politische Tätigkeit stand ständig unter Beobachtung. Mit Unterstützung vieler Seiten gelang ihm die Flucht nach Schweden. Rund zwölf Jahre im Musterland der Sozialdemokratie legten auch den Grundstein für seine spätere politische Laufbahn.
Schon das Elend in Österreich nach der Weltwirtschaftskrise und die Massenarbeitslosigkeit in den 30er Jahren beeinflussten das Denken Kreiskys und seine spätere Politik der Vollbeschäftigung. In der schwedischen Wirtschaftspolitik erkannte er zudem die Möglichkeit, Krisen mit staatlicher Intervention aktiv beizulegen, analysiert Petritsch in Kreiskys Biografie. In Schweden habe Kreisky eine Form der Sozialpartnerschaft erlebt, so Petritsch, wie ein historischer Kompromiss zwischen allen Klassen zum Vorteil aller funktionieren könne.
Auch die Bedeutung der Medien für die Politik und die Gesellschaft, die ihm der hohe Qualitätsstandard der schwedischen Presse vor Augen führte, sind eine wichtige Erfahrung für den später als Medienkanzler titulierten Kreisky, der Fernsehdiskussionen später gekonnt für sich zu nutzen wusste und Journalisten als erster Bundeskanzler das Recht einräumte, mit ihm auf Augenhöhe zu kommunizieren.
Tiefe Freundschaft mit Willy Brandt
Vor allem aber nutzte Kreisky die Zeit in Schweden, um ein dichtes Kontaktnetzwerk international und in Schweden zu knüpfen - mit Politikern, Künstlern und Wissenschaftlern. Mit Willy Brandt, ebenfalls im schwedischen Exil, entstand eine emotionale Freundschaft, auch wenn sie politisch nicht immer übereinstimmten. Gemeinsam mit dem später zweifachen schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme bildeten die beiden eine entscheidende Achse für die sozialdemokratische Politik.

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Mit Willy Brandt verband Kreisky eine starke Freundschaft.
Als Brandt Ende der 60er Jahre deutscher Bundeskanzler wurde, hielt es auch Kreisky für realistischer, dass ein Jude in Österreich Bundeskanzler werden könnte, so Petritsch. Das sollte noch etwas dauern.
Zum Kanzler wird er es „niemals schaffen“
Seine Rückkehr nach Österreich gestaltete sich schwieriger als gedacht. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Wien wurde er als offizieller Vertreter Österreichs wieder nach Schweden geschickt. Erst Anfang der 50er Jahre kam er endgültig zurück. Seine internationalen Kontakte nützten ihm bei seinen Karrierestationen als außenpolitischer Berater des neuen Präsidenten Theodor Körner und als Staatssekretär im Außenamt. Im Sommer 1959 wurde er Außenminister.
Buchhinweis
Wolfgang Petritsch: Bruno Kreisky - Die Biografie. Residenz Verlag, 423 Seiten, 26,90 Euro.
Ein Bericht der US-Botschaft in Wien wenige Wochen später zeigte Weitblick: „Man kann davon ausgehen, dass Kreisky in den kommenden Jahren beträchtlichen Einfluss auf Österreichs Innen- und Außenpolitik ausüben wird.“ Allerdings ging der Bericht davon aus, dass Kreisky es „wohl niemals schaffen dürfte, Kanzler in Österreich zu werden“. Hier sollte die US-Botschaft nicht recht behalten. Am 21. April 1970 wurde Kreisky zum ersten Mal als Bundeskanzler angelobt.
Simone Leonhartsberger, ORF.at
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