Berufung eingelegt
Der Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski ist in einem umstrittenen zweiten Prozess zu 13,5 Jahren Haft verurteilt worden. Die Haftstrafe von insgesamt 14 Jahren ergebe sich, weil ein Urteil über acht Jahre aus einem ersten Prozess wegen Steuerhinterziehung angerechnet werde, sagte Richter Viktor Danilkin nach Angaben der Agentur Interfax.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Damit bleibt der Gegner von Regierungschef Wladimir Putin vermutlich bis 2017 in Haft. Danilkin hatte die beiden früheren Ölmanager bereits am Montag schuldig gesprochen und dann tagelang die mehrere Hundert Seiten umfassende Urteilsbegründung verlesen.
Das Moskauer Gericht verurteilte den 47-Jährigen zusammen mit seinem mitangeklagten Geschäftspartner Platon Lebedew wegen des Diebstahls von Millionen Tonnen Öl sowie Geldwäsche. Lebedew erhielt dasselbe Strafausmaß. Die Verteidigung bezeichnete das Urteil in einer ersten Reaktion als „illegal“. Sie legte am Freitag Berufung ein. „Die Urteilsbegründung liegt uns zwar noch nicht vollständig vor, aber wir wollten wegen der anstehenden Feiertage die Frist nicht versäumen“, sagte die Anwältin Karina Moskalenko am Freitag nach Angaben der Agentur Interfax.
„Haben Hoffnung nicht verloren“
„Es lebe unser unabhängiges russisches Gericht“, rief Chodorkowski sarkastisch nach der Verkündung des Strafmaßes. Er gibt die Hoffnung jedoch nicht auf: „Wir haben unsere Hoffnung nicht verloren, und unsere Freunde sollten sie auch nicht verlieren.“ Das Beispiel von Lebedew und ihm habe gezeigt, „dass in Russland niemand darauf hoffen sollte, von einem Gericht vor Regierungsvertretern beschützt zu werden“, sagte Chodorkowski. Nicht kommentieren wollte das Urteil der Sprecher von Putin.
Chodorkowski hat die Vorwürfe stets zurückgewiesen. Eine Begnadigung durch Kreml-Chef Dimitri Medwedew lehnte er ab. Nach Ansicht von Beobachtern will die russische Führung den noch immer einflussreichen Chodorkowski über die Präsidentenwahl 2012 hinaus politisch kaltstellen.
USA: Missbrauch des Rechtssystems?
Der neuerliche Schuldspruch am Montag war international auf scharfe Kritik gestoßen. Und auch nach der Verkündigung des Strafausmaßes wurde internationale Kritik laut: Die US-Regierung zeigt sich in einer ersten Reaktion „besorgt“ über das Urteil. Dadurch entstehe der Eindruck, dass das Rechtssystem missbraucht werde.
Überraschend deutliche Worte von Ashton
EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton erklärte, die Europäische Union werde „den Fall genau verfolgen und mit Russland zur Sprache bringen“. Man „erwarte von Russland, dass es seine international eingegangenen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit einhält.“ Es gebe „Anlass zu ernster Sorge und Enttäuschung“, sagte die Außenbeauftragte in überraschend klaren Worten.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sieht politische Absichten hinter dem Urteil: „Es bleibt der Eindruck, dass politische Motive bei diesem Verfahren eine Rolle gespielt haben“, sagte Merkel am Donnerstag in Berlin. „Dies widerspricht Russlands immer wieder geäußerte Absicht, den Weg zur vollen Rechtstaatlichkeit einzuschlagen.“ Sie sei enttäuscht über das Urteil und das harte Strafmaß, sagte die CDU-Chefin.
„Freispruch ein Ding der Unmöglichkeit“
Mit einem Schuldspruch war schon im Vorfeld gerechnet worden. Erst kürzlich hatte Putin im Staatsfernsehen eine Verurteilung seines Erzfeindes gefordert. Chodorkowski wies die Vorwürfe stets als politisch motiviert zurück. „Mir ist klar, dass in einem Moskauer Gericht ein Freispruch ein Ding der Unmöglichkeit ist“, sagte Chodorkowski in seinem Schlusswort nicht ohne Spott.
„Politische Gefahr“
Chodorkowski hatte sich vor seiner Verhaftung 2003 für Zivilgesellschaft und Demokratie eingesetzt und mehrere Oppositionsparteien finanziert. Sein Sohn Pawel hatte Mitte Dezember in einem Interview gesagt, Putin stecke hinter den Verfahren gegen seinen Vater: „Es ist kein Geheimnis, dass Wladimir Putin und die Leute in seiner Umgebung meinen Vater für eine politische Gefahr halten und ihn deshalb nicht freilassen“, sagte der 25-Jährige. Dabei habe sein Vater nie politisch aktiv sein oder Präsident werden wollen.
Die Schlüsselszene
Chodorkowski war an der Spitze des inzwischen zerschlagenen Ölkonzerns Yukos einst zum reichsten Mann Russlands aufgestiegen. Die Szene, die laut Beobachtern Chodorkowskis Schicksal besiegelt haben könnte, spielt im Jahr 2003. Bei einem Treffen von Oligarchen im Kreml fordert der Yukos-Chef den damaligen Präsidenten Putin auf, der Korruption auch in den Reihen seiner Vertrauten ein Ende zu setzen.
Mit eisiger Ruhe antwortet Putin: „Herr Chodorkowski, sind Sie sicher, dass Ihre Steuerangelegenheiten in Ordnung sind?“ Wenige Monate später wird Chodorkowski verhaftet. Der Vorwurf: Betrug und Steuerhinterziehung im großen Stil.
Vorwürfe absurd?
Acht Jahre Haft bekamen er und Lebedew 2005, weil sie den Gewinn aus dem Verkauf von Millionen Tonnen Öl nicht richtig versteuert haben sollen. Die neuen Vorwürfe, Chodorkowski habe 218 Millionen Tonnen Öl abgezweigt und illegal weiterverkauft, deuteten Prozessbeobachter als Versuch, den Kreml-Kritiker bis zur Präsidentenwahl kaltzustellen.
Die Verteidigung argumentierte, dass die angeblich veruntreute Menge Öl der kompletten Fördermenge von Yukos von 1998 bis 2003 entspreche. So viel Öl unbemerkt verschwinden lassen zu können - das leuchtete auch hochkarätigen Zeugen in dem Prozess nicht ein. Ex-Wirtschaftsminister German Gref und der amtierende Handels- und Industrieminister Viktor Christenko äußerten vor Gericht Zweifel an der Anklage.
Links: