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„Ich war eine Mafia-Chefin“

Erst im Gefängnis hat sie gelernt, was Freiheit bedeutet. Die sizilianische Mafia bestimmte 33 Jahre lang das Leben von Giuseppina Vitale - ihren Körper, ihre Ehe, ihre Gedanken. Erst als sie im Jahr 2005 als Kronzeugin aussagte, fühlte sie sich befreit und konnte über sich und ihre Zeit verfügen. In dem Buch „Ich war eine Mafia-Chefin“ schildert sie die Unausweichlichkeit eines Mafia-Clans.

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Die ehemalige Bezirkschefin von Partinico, einer Kleinstadt bei Palermo, schreibt sehr persönlich und erklärt ihr Leben ganz von vorn: die Bauernfamilie, die gewalttätigen großen Brüder, die Verhaftungen in der Familie - der Schein der Normalität, das Schweigen, der Geruch der Angst.

„Das war das Schicksal von uns Frauen“

Brutal wurden die Brüder immer, wenn jemand ihrer Schwester wehtat. Etwa als Giuseppina als kleines Mädchen mit einem roten Plastikpferdchen auf der Straße spielte. Ein Cousin setzte mit seinem Auto zurück, übersah das Mädchen und überfuhr es. Bruder Leonardo kam herbeigerannt und prügelte auf den Cousin ein, „als wolle er ihn totschlagen“. Immer wieder erretteten die drei großen Brüder ihre Prinzessin, schreibt Vitale.

Leonardo, Michele und Vito schlugen ihre Mutter und die beiden Schwestern aber auch. Weil sie Lidschatten aufgelegt hatten, weil sie ohne Erlaubnis das Haus verließen oder am Fenster Ausschau nach anderen Männern hielten. Giuseppina Vitale riss durch eine Ohrfeige ein Trommelfell. Die Kontrolle der Männer über das Leben der Frauen rechtfertigt Vitale noch immer: „Das war das Schicksal von uns Frauen. Wir mussten es akzeptieren, und am Ende gefiel es uns sogar.“

Innenansicht eines Mafia-Clans

„Ich war eine Mafia-Chefin“ ist keine imposante Erzählung einer „Ehrenfrau“, die als erste Frau in der sizilianischen Cosa Nostra ein Amt mit Befehlsgewalt innehatte. Vitale erzählt vielmehr, wie sie durch ihre Brüder und deren Verstrickungen in diese Position hineingeschoben wurde. Dabei vermittelt die Innenansicht des Clans vor allem eine Vorstellung von den emotionalen Abhängigkeiten und Herrschaftsverhältnissen in der Familie. Der blutige Mafia-Krieg in den Achtzigern und die große Prozesswelle werden jedoch nur angerissen und bleiben durch vielerlei Namensnennungen und Mutmaßungen ziemlich unübersichtlich.

Buchhinweis

Giuseppina Vitale: Ich war eine Mafia-Chefin. Deutsche Verlags-Anstalt, 192 Seiten, 18,50 Euro.

Der chronologischen Schilderung des eigenen Lebens vorangestellt ist das Kapitel „Was man über mich sagt“. Ihr Bruder Leonardo wird zitiert: „Wir sagen uns von ihr los, ob lebendig oder tot, was sie hoffentlich bald sein wird (...) Sie ist ein giftiges Insekt!“ Nach dem Prozess wurden Giuseppina Vitale und ihre zwei Kinder in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen - offenbar bietet ihr die Autobiografie erstmals die Möglichkeit, um Freund und Feind auf Vorwürfe antworten zu können. „All die, die mich tot sehen wollen, nennen mich einen Niemand, vermischt mit dem Nichts. Aber dieses Nichts hat sie alle in die Knie gezwungen; damit ihre Kinder nicht so leben müssen wie ich.“

Doreen Fiedler, dpa