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Regierung setzt auf Nationalismus

Mit dem EU-Vorsitz ab 1. Jänner möchte der ungarische Premier Viktor Orban den „guten Ruf“ seines Landes erhöhen. Punkten möchte er mit den Themen Energieversorgung, der Erweiterung, der Donau-Strategie und einer „wahrhaftig europäischen Strategie“ zugunsten der Roma. Der „gute Ruf“ des Landes lässt aber zu wünschen übrig.

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Wirtschaftlich und politisch ist das Land spätestens mit der Regierungsübernahme der rechtskonservativen FIDESZ-MPSZ im April in Misskredit geraten. Erst vor kurzem musste die Regierung ein höheres Defizit als angenommen eingestehen. Statt bei 3,9 Prozent lag das Haushaltsdefizit laut Daten der EU-Kommission im vergangenen Jahr bei 4,4 Prozent.

Anfang Dezember stufte die Ratingagentur Moody’s die Bonität Ungarns auf „Baa3“ herunter - eine Stufe über „Ramschstatus“. Begründet wurde das mit langfristigen haushaltspolitischen Sorgen und der Anfälligkeit für externe Risiken. Insbesondere die Konsolidierungsstrategie der Regierung wurde kritisiert. Diese sehe vor allem temporäre Maßnahmen vor, es fehlten aber Vorschläge für eine nachhaltige Sanierung.

Auch acht ungarische Banken wurden von Moody’s bezüglich ihrer Verbindlichkeiten und Einlagen auf Baa3 herabgestuft, ihr Finanzstärkerating (BFSR) wurde aber beibehalten. Unter den herabgestuften Banken befindet sich auch die ungarische Erste-Group-Tochter, deren Bonität bei Forint- und Fremdwährungseinlagen herabgesetzt wurde.

Ohne „wirtschaftliche Vernunft“

Während in den meisten EU-Ländern ein Rückgang der Defizite erwartet wird, wird es laut Prognose der EU-Kommission in Ungarn weiter steigen. Die Regierung werfe die „elementare wirtschaftliche Vernunft“ weg, bemängelten führende Ökonomen Ungarns in einem offenen Brief. Kritisiert wurden die „Zerschlagung des Pensionssystems“ und die „Umwälzung des Steuersystems“.

Nicht Kürzungen bei den Ausgaben, sondern höhere Einnahmen mit Steuern für Banken, die Telekom-, Einzelhandels- und Energiebranche über 2012 hinaus sollen die Löcher im Budget stopfen. Diese „Krisensteuer“ soll dem staatlichen Budget jährlich bis zu 1,3 Milliarden Euro zusätzlich bringen.

Pensionsgeld für Staatskasse

Auf heftige Proteste stoßen aber die Pensionspläne der Regierung. In den nächsten 14 Monaten sollen die Einzahlungen in die privaten Pensionsversicherungen für die Staatskasse eingezogen werden. Die Regierung möchte damit offenbar mit Vermögenswerten aus der erst 1998 eingeführten privaten Altersvorsorge die staatliche Schuldenlast drücken. Seit 1998 müssen acht Prozent der Pensionsbeiträge in private Pensionskassen überwiesen werden. Das verursachte ein Budgetdefizit im ungarischen Staatshaushalt.

Den Steuerzahlern wurde nun eine Frist bis Ende Jänner gesetzt. Wer bis dahin nicht in das staatliche Pensionssystem zurückkehrt, muss mit Einbußen bei den Altersbezügen rechnen. Wer im bisherigen System bleibe, solle in Zukunft kein Recht auf die volle staatliche Pension haben.

Ungarn mit „autoritärem Problem“

Obwohl sich Orbans Partei bei der Kommunalwahl im Oktober wieder durchsetzen konnte, mehren sich in der Bevölkerung erstmals die Proteste gegen die Regierung - wegen der geplanten Pensionsreform, aber auch von Anhängern des ehemaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany wegen autoritärer Tendenzen Orbans. Gyurcsany forderte einen „Freiheitskampf“ gegen die Regierung.

Es sei ein „autoritäres Problem“ zu erkennen, befand auch der SPÖ-Europaabgeordnete Hannes Swoboda und kritisierte Demokratiedefizite. Die Regierungspartei betreibe Propaganda für das Regierungsprogramm und übe einen „massiven Medieneinfluss“ aus. Zudem ist die rechtsextreme Jobbik im Parlament vertreten.

Orban baut auf Zweidrittelmehrheit

Im Parlament verfügt Orbans FIDESZ-MPSZ gemeinsam mit den mit ihr untrennbar verbündeten Christdemokraten (KDNP) über eine Zweidrittelmehrheit. Diese nutzten sie bereits mehrmals, um Wahl- und Mediengesetze und die Verfassung zu ändern und damit nach Ansicht von Kritikern ihre Macht zu zementieren. Erst vor wenigen Wochen wurden die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs vom Parlament eingeschränkt.

Anfang Dezember erschienen einige Medien mit einem leeren Titelblatt, um gegen das für Jänner 2011 geplante Mediengesetz zu protestieren. Demnach sollen künftig auch Printmedien und Websites der Kontrolle der Medienaufsichtsbehörde NMHH unterworfen werden, die personell von FIDESZ-MPSZ kontrolliert wird. Von der NMHH verhängte Geldstrafen von bis zu 90.000 Euro könnten unabhängige und regierungskritische Medien zum Schweigen bringen, fürchten Kritiker.

Kritik lässt der Staatssekretär Gergely Pröhle nicht gelten. Es gebe in europäischen Medien in Hinblick auf das Gesetz „zahlreiche Missverständnisse“. Das Gesetz sei noch nicht beschlossen und es gebe in anderen Staaten vergleichbare Regelungen.

„Wunde von Trianon“

Populistischer Nationalismus dominiert das politische Geschehen. Im Ausland lebende Ungarn haben nun das Recht, die ungarische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Das sorgte vor allem in den Nachbarländern Rumänien und Slowakei für Ärger. Ihnen wurden bei den Grenzziehungen nach dem Ersten Weltkrieg auch ungarische Siedlungsgebiete zugesprochen - entsprechend groß ist auch die ungarische Minderheit in diesen Ländern.

Mit dem Vertrag von Trianon von 1920 verlor Ungarn zwei Drittel seines Gebiets. „Diese Wunde wird bewusst offen gehalten“, analysierte der Politologe Anton Pelinka. Den nostalgischen Mythos gibt es bis heute. Erst vor kurzem führte Orban einen Trianon-Gedenktag ein. Trianon sei „der Unrechtsvertrag schlechthin“.

„Heilige Krone“ in Verfassung

Ein wichtiges Symbol für ungarische Ansprüche und Territorien in der weiteren Region halten Nationalisten und Revisionisten mit der „Heiligen Krone“ hoch, dem Kronjuwel, mit dem der ungarische König Stephan I. im Jahr 1000 gekrönt wurde. Diese Krone will die rechtskonservative Mehrheit in der neuen Verfassung verankert wissen - die notwendige Mehrheit dafür hat sie.

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