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Paarlauf ohne gemeinsames Ziel

Martin und Karen sind nach Afrika gegangen, um als Ärzte zu helfen. Ihre ehemaligen Arbeitskollegen Liz und Frank sind in der Zwischenzeit zu einer klassischen Vorstadtfamilie mit Haus, Kind, Auto und Garage geworden. Sechs Jahre sind seit dem letzten Treffen vergangen, als die Entwicklungshelfer zurückkehren und die Paare einander wiedersehen.

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In Roland Schimmelpfennigs Stück „Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes“, das am Sonntag am Wiener Akademietheater seine Premiere feierte, gestaltet sich das Wiedersehen als - milde gesagt - schwierig. Peinliches Schweigen und gekünstelte Komplimente gleich bei der Ankunft der weit gereisten Gäste gehen mit zunehmender Alkoholisierung in Vorwürfe, Verzweiflung und Entsetzen über.

Liz (Christiane von Poelnitz) und Frank (Tilo Nest) sind am Alltag zerbrochen, er wollte eigentlich nie ein Kind, sie unbedingt. Karen (Caroline Peters) und Martin (Peter Knaack) haben einander in Afrika betrogen und möglicherweise mit einer Krankheit infiziert, so genau wissen sie das nicht, sie haben keinen Test gemacht. Ihr krankes, afrikanisches Pflegekind haben die beiden alleine zurückgelassen und dadurch vermutlich dem Tod geweiht. Das wissen sie aber auch nicht so genau, sie hatten seither keinen Kontakt zu dem Mädchen.

Caroline Peters (Karen), Peter Knaack (Martin)

Reinhard Werner, Burgtheater

Karen (Caroline Peters) und Martin (Peter Knaack) werfen einander ihre Affären vor.

Der Autor als Regisseur

Schimmelpfennig zählt zu den meistgespielten zeitgenössischen Autoren im deutschen Sprachraum. Auch „Peggy Pickit“, sein jüngstes Stück, wurde ihm nach der Uraufführung in Toronto im Sommer 2010 geradezu aus den Händen gerissen. Nach Inszenierungen von Martin Kusej in Berlin und Wilfried Minks in Hamburg nahm der Autor selbst auf dem Regiesessel Platz und präsentierte „Peggy Pickit“ in eigener Inszenierung in Wien.

Schimmelpfennig wirft in seinem Drama gleich zwei große Themen auf: die Ehedramen und Identitätskrisen der zwei Paare in den Vierzigern auf der einen Seite und die globale Frage nach der Ethik der Entwicklungshilfe auf der anderen Seite. Letzteres steht zwar ursprünglich im Zentrum des Stücks, doch dem Autor gelingt der Zugriff nicht wirklich, er konzentriert sich auf die leichtere Kost in Form des Beziehungsdramas.

In Scheiben sezierter Text

Schimmelpfennig seziert seinen Text, indem er die Figuren in knappen Abständen aus der Szene heraustreten lässt und sie ihre Gedanken aussprechen dürfen. Dabei greifen sie oft vor, denken Dialoge zu Ende und sprechen den Subtext, der im Stück nur an den immer verzweifelter werdenden Minen aller Beteiligten zu lesen ist. Danach spult er das Geschehen zurück und wiederholt die vorangegangene Szene in exakt gleicher Spielweise. In der Auswahl seiner Schauspieler hat Schimmelpfennig ein richtiges Händchen. Die zwei Paare schenken einander nichts, von aufgesetzter Freundschaft und pseudoheiler Ehe zu Beginn bis zu Vorwurf und Feindschaft am Ende.

Caroline Peters (Karen) und Christine von Poelnitz (Liz)

APA/Robert Jäger

Veranstaltungshinweis:

„Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes“ ist am Wiener Akademietheater zu sehen. Weitere Vorstellungen: 22., 23., 27. Dezember, 3., 11., 18., 20. Jänner.

Ohrfeigen ohne Theaterzauber

So ohrfeigen einander Poelnitz und Peters über den Abend verteilt immer wieder. Bei Schauspielerinnen ihres Kalibers selbstverständlich richtig, ohne Theaterzauber, dafür mit roten Handabdrücken im Gesicht. Hilflose Ohnmacht und aufgesetztes Lächeln wechseln sich in den Gesichtern der beiden immer schneller ab. Auch Nest und Knaack schenken einander nichts. Ihre Ausbrüche sind seltener als die der Frauen, ihre stumme Verzweiflung, der innere Wunsch, aus ihrem Leben aussteigen zu können, umso deutlicher.

An die Rampe mit den Gefühlen

Auch im Bühnenbild wird die Enge spürbar in die Schimmelpfennig seine Figuren drängt. Vier Sessel und ein Hocker auf der Vorbühne und eine hohe weiße Wand, die den gesamten Bühnenraum unsichtbar macht. Es gibt kein Entrinnen, scheint das Bühnenbild von Johannes Schütz in seiner sterilen Einfachheit zu schreien.

Im Laufe des Abends verdichtet sich das Drama, die Ironie wird weniger, der Zynismus mehr. Schimmelpfennig will sein Publikum die eigene Haltung überdenken lassen, will die Scheinheiligkeit gegenüber der „Dritten Welt“ demaskieren. Ein Ansinnen, das in „Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes“ trotzdem nicht mit dem Vorschlaghammer daherkommt. Bei der Premiere gab es viel Applaus für die Schauspieler und das Regieteam, Jubel blieb aber aus.

Sophia Felbermair, ORF.at

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