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Glanzvoll, ungehemmt und geheim

Viel Alkohol, wenig Kleidung und heiße Flirts: Ein DJ bringt die Tanzfläche zum Kochen. Eine Strandparty auf Mallorca? Der neuste Szeneclub in Berlin? Falsch: Dschidda in Saudi-Arabien, gut 20 Kilometer westlich der heiligen Stadt Mekka. Hinter dem Schleier einer der strengsten Auslegungen des Islams lässt sich die Jugend ihren Spaß nicht nehmen.

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Die Sittenpolizei drückt ein Auge zu - zumindest wenn der Gastgeber zur Königsfamilie gehört. Kenner der Region wissen längst von den zwei Seiten der saudischen Frömmigkeit zu berichten. Ein von der Internetplattform WikiLeaks enthülltes Dokument bestätigte das nun. Ein US-Diplomat war auf geheimer Mission im Land unterwegs. Sein Auftrag: die „sozialen Interaktionen“ der Jugend der arabischen Oberschicht zu beobachten. Sein Report liest sich wie ein Artikel aus einem Lifestyle-Magazin.

„Das Nachtleben im Untergrund floriert“, schreibt der Diplomat. Die Elite in der Hafenstadt am Roten Meer brauche praktisch auf nichts zu verzichten. „Die volle Bandbreite weltlicher Laster ist verfügbar: Alkohol, Drogen, Sex - aber alles hinter verschlossen Türen.“ Wohlgemerkt, es geht hier um Saudi-Arabien, das Land, in dem Frauen nicht einmal Auto fahren dürfen und Gefängnisstrafen drohen, wenn sie mit fremden Männern auch nur ins Gespräch kommen.

Der Schleier wird abgelegt

Der Bericht von der Party eines saudischen Prinzen liefert einen lebendigen Eindruck vom Leben hinter der Fassade des erzkonservativen Wahhabismus. Am Eingang erfolgt zunächst ein Sicherheitscheck. An der Garderobe legen die Damen ihre schwarzen, von Kopf bis Fuß reichenden Schleier ab. Im Inneren des Clubs servieren philippinische Kellnerinnen schwarzgebrannten Wodka. Prostituierte bieten offen ihre Dienste an. „Nichts Ungewöhnliches auf solchen Partys“, schreibt der US-Diplomat.

Zwischen der offiziellen Sittenlehre und der inoffiziellen Praxis scheint auf der arabischen Halbinsel eine tiefe Lücke zu klaffen. „Wenn man sich mit den Gesellschaften des Nahen Ostens beschäftigt, merkt man schnell, dass hier mehrere Schichten übereinander lagern“, sagt Salman Scheich vom Brookings-Zentrum Doha, der katarischen Dependance eines US-Instituts.

„Stillschweigende Abkommen“

Dass die Veröffentlichung des Berichts irgendwelche Folgen haben wird, glaubt der Wissenschaftler nicht. „Natürlich kann so etwas zu Verlegenheit führen“, sagt Scheich, „aber in einer verschlossenen Gesellschaft wie der saudischen gibt es eine Reihe stillschweigender Abkommen.“ Niemand im Land habe ein Interesse daran, einem solchen Bericht mehr Aufmerksamkeit zu schenken als notwendig.

Der Name des Prinzen, der zu dem ausschweifenden Fest in Dschidda geladen hatte, war in dem WikiLeaks-Dokument geschwärzt. Es sei keiner der potenziellen Thronfolger gewesen, schreibt der Autor, aber doch einer mit „beträchtlichen Privilegien“. Die sonst allgegenwärtige Religionspolizei sei nirgends in der Nähe zu sehen gewesen.

„Wir sind Menschen“

„Unter der Oberfläche genießt die Jugend in Saudi-Arabien relativ viele Freiheiten, auch was die Sexualität anbelangt“, so das abschließende Urteil des US-Diplomaten. Ein Urteil, das auch die saudische Frauenrechtlerin Wadschiha al-Hawaidar bestätigt. Die Hingabe an Vergnügungen nach westlichem Vorbild sei ein offenes Geheimnis. „Das Leben sucht sich seine Wege, auch wenn man eine Gesellschaft unter noch so starken Druck stellt“, sagt Al-Hawaidar. „Wir sind schließlich nicht aus Fels, wir sind Menschen.“

Brian Murphy, AP

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