Themenüberblick

Großbaustelle Internet

„Das Internet hat einen subversiven Charakter“, meint RTR-Chef Georg Serentschy. Im Gespräch mit ORF.at plädiert er dafür, im Netz eine Balance zwischen Netzwerksicherheit und Innovationsfähigkeit zu finden. Würden die Roaminggebühren in Europa zu schnell abgeschafft, würde das ins Chaos führen, glaubt der Regulator.

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Die Telekoms haben die EU-Roamingverordnung stark kritisiert. Soll das neue Regulierungsgremium GEREK solche Eingriffe der Kommission in Zukunft abmildern?

Serentschy: Es ist nicht Ziel des GEREK, alle Ecken und Kanten abzuschleifen. Es soll die Fachmeinung der nationalen Behörden näher an die EU-Kommission heranbringen. Was in Brüssel geplant wird, soll sich auch auf die nationale Expertise abstützen.

Wenn die Roamingentgelte fallen, dann herrscht im Mobilfunkbereich europaweiter Wettbewerb. Ist es dann nicht sinnvoll, diesen Bereich auf EU-Ebene zu regulieren?

Serentschy: Roaming und Zusammenschaltungsgebühren sind die beiden großen Baustellen im Bereich Mobilfunk. Diese Themen müssen für ganz Europa einheitlich geregelt werden und ich denke, dass das GEREK dafür die Leitlinien entwickeln soll. Für den Binnenmarkt ist es wichtig, dass wir mittelfristig zu einer Abschaffung der Roamingentgelten kommen. Aber: So etwas kann nicht von heute auf morgen gehen. Das würde in ein vollkommenes Chaos führen, weil Hunderte von Vereinbarungen auf Großhandelsebene geändert werden müssten.

RTR-Chef Georg Serentschy

Günter Hack, ORF.at

Zur Person:

Georg Serentschy ist seit 2002 Geschäftsführer des Telekombereichs der Regulierungsbehörde RTR. Vorher war er als Managing Director bei Arthur D. Little Austria im Management-Consulting, er hielt. mehrere Managementpositionen in Hochtechnologieunternehmen

Vor seiner Industrielaufbahn arbeitete Serentschy als Nuklearphysiker im Bereich der Grundlagenforschung. Sein Studium der Physik und Mathematik absolvierte er an der Universität Wien.

Auch der neue Mobilfunkstandard LTE kann nur eingeführt werden, wenn Österreichs Nachbarn mitspielen.

Serentschy: Österreich hat viele Nachbarländer, die das terrestrische TV noch nicht auf digital umgestellt haben. Das ist die Voraussetzung dafür, dass diese Frequenzen für LTE genutzt werden. Ich höre von unseren Kollegen aus der Slowakei, aus Tschechien und Ungarn, dass man dort so Mitte bis Ende 2012 den Umstieg geschafft haben wird. Wenn das funktioniert, dann können die Frequenzen auch hierzulande störungsfrei genutzt werden.

Zum Thema Netzneutralität: Viele Telekoms sind Internetprovider und bieten eigene Netzvideodienste an. Wie kann man sicherstellen, dass sie den Markteintritt von Firmen wie Netflix nicht behindern werden, um das eigene Angebot zu schützen?

Serentschy: Wir sind für die Regulierung solcher Probleme institutionell noch nicht richtig aufgestellt. Die Netzneutralität ist eine Materie mit vielen unterschiedlichen Aspekten. Ich erwarte auch nicht, dass es für dieses Problem in absehbarer Zeit eine Patentlösung geben wird.

Man wird in Europa darüber nachdenken müssen, wie man diese neuen Modelle des Zusammenfließens von Inhalten und Transport besser regeln kann. Man wird sehen, ob es eines Tages eine Art europäisches Schichtenmodell gibt, das auf einer Ebene die Infrastruktur regelt und auf jeweils anderen Inhalte und Dienste. Wenn man das machen würde, dann wäre das eine Revolution, ein extrem visionäres Projekt. Es gibt asiatische Regulatoren, die so arbeiten. Diese Frage kann aber für Österreich allein nicht gelöst werden, man muss sich ihr international stellen.

Derzeit gibt es auf EU-Ebene heftige Diskussionen über die Einführung nationaler Netzsperren, sei es gegen Urheberrechtsverletzungen oder gegen Kinderpornographie. Wie sehen Sie die Aufgabe der Regulierer angesichts dieser drohenden nationalen Fragmentierung der Netzwerke?

Serentschy: Wir haben auf der einen Seite die Möglichkeit, eine globale digitale Ökonomie weiter voranzutreiben, die der arbeitsteiligen Gesellschaft unglaubliche Chancen bietet. Auf der anderen Seite stehen auch neue Bedrohungen wie der Angriff auf intelligente Stromnetze. In diesem Spannungsfeld ist noch nicht absehbar, ob sich die von Ihnen genannten Abschottungstendenzen durchsetzen werden oder ob man sagt: Wir müssen mit Gefahren leben, aber die Chancen der digitalen Ökonomie sind größer. Wir werden sicher nicht zu abgeschotteten Insellösungen im Netz kommen. Es wird ein Nebeneinander von Aktivitäten der digitalen Ökonomie und Schutzmaßnahmen geben, wie diese aussehen, wird immer vom Gefahrenpotenzial abhängen.

Momentan sieht es so aus, als gebe es einen Backlash der Nationalstaaten gegen das Globalisierungswerkzeug Internet. Immerhin greifen manche Sperrpläne tief ins DNS ein, das Herz des Netzes.

Serentschy: DNS-Sperren wären ein extrem massiver Eingriff. Wir haben das auch bei der Diskussion über Netzsperren bei Urheberrechtsverletzungen gehabt, also die Frage: Ist da die Verhältnismäßigkeit noch gewahrt? Das Internet hat einen subversiven Charakter, es hat die Verwertungsmodelle der analogen Welt unterminiert. Was Sie als Backlash bezeichnen, das kann man als Versuch sehen, die Dinge wieder einzufangen. Wenn es aber einmal zu einem echten Cyber-Angriff kommen sollte, dann werden noch härtere Maßnahmen ergriffen werden.

Pflegt das GEREK einen regelmäßigen Dialog mit Bürgerrechtsorganisationen? Schließlich ist seine Arbeit zunehmend wichtig für Themen wie freie Meinungsäußerung.

Serentschy: Den gibt es im Augenblick nicht, und wenn es ihn gibt, dann ist es die Privatinitiative einzelner. Es steht nicht im Arbeitsprogramm. Ich hätte diesbezüglich aber auch einen Wunsch. Das Ziel ist ja, dass die digitale Ökonomie allen Bürgern zur Verfügung stehen soll. Da sollten wir nicht vergessen, dass es Menschen gibt, die mit körperlichen Einschränkungen zu kämpfen haben. Diesen Menschen sollten wir dabei helfen, dass sie die Möglichkeiten des Netzes gut nutzen können. Das Mindeste, was Regulatoren tun können, ist, auf das Thema stärker aufmerksam zu machen.

Das Interview führte Günter Hack, ORF.at

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