Jahrhundertbauwerk mit Problemen
Am 1. Dezember 1990 schrieben der Franzose Philippe Cozette und der Brite Robert Graham Fagg Geschichte. Unter Blitzlichtgewitter waren sie es, die den Durchbruch im Eurotunnel bewerkstelligten, einander die Hände schüttelten und französische und britische Fahnen austauschten. Jahrhunderte hatte es von den ersten Plänen bis zum Durchstoß gedauert – die Probleme gingen aber weiter.
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Schon zu Napoleons Zeiten gab es erste Pläne für einen Tunnel, doch militärische Konflikte machten sie immer wieder zunichte. Erst in den 1950er Jahren wurden neue Vorstöße unternommen. Begonnen hatten die Arbeiten Ende 1987 auf der britischen Seite am Shakespeare Cliff. Riesige Maschinen bohrten sich durch das Erdreich. Von Baukosten von rund 4,8 Mrd. Pfund war zunächst ausgegangen worden. Am Ende waren sie doppelt so hoch.
Späte Entscheidung für Zugtunnel
Mit ihrem Ersparten hatten Hunderttausende Kleinaktionäre den Bau des Tunnels seit dem 1. Dezember 1987 ermöglicht. Für sie stand bald fest, dass sie einer finanziellen Fehlkonstruktion aufgesessen waren. Die konservative britische Premierministerin Margaret Thatcher und der sozialistische französische Präsident Francois Mitterrand hatten sich im Vertrag von Canterbury 1986 auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt und eine finanzielle Beteiligung des Staates ausgeschlossen.
Vier Projekte standen damals zur Auswahl: eine riesige Hängebrücke, eine kombinierte Brücken- und Tunnelverbindung der Gruppe Euroroute mit zwei futuristisch anmutenden künstlichen Inseln, ein zweiröhriger Eisenbahntunnel sowie eine Variante mit einem Eisenbahn- und auch einem Straßentunnel. Die Briten wollten eigentlich letztere Version, aus Sicherheitsgründen entschied man sich aber in letzter Minute für die Zuglösung.

APA/EPA/David Giles
Der historische Durchbruch 1990
Eröffnung erst 1994
Ende Oktober 1990 hatten die von beiden Seiten grabenden Arbeiter mit dem ersten kleinen Loch den eigentlichen Durchbruch geschafft, groß gefeiert wurde dann erst einen Monat später, als Cozette und Fagg gemeinsam in die Kamera lächelten, obwohl sie nur eine der insgesamt drei Röhren - den sogenannten Diensttunnel für das Wartungs- und Rettungspersonal - durchbohrt hatten. „England hat aufgehört, eine Insel zu sein“, schrieben französische Medien.
Bis zur Eröffnung dauerte es wieder mehr als drei Jahre: Queen Elizabeth II. und der damalige französische Präsident Francois Mitterrand weihten die Röhre im Frühjahr 1994 ein. Im November lief der fahrplanmäßige Zugsverkehr an - allerdings schon gleich mit einigen Wochen Verspätung.
Jahrelang am Rande der Pleite
Die Hoffnung, dass das Bauwerk schon nach wenigen Jahren Gewinne abwerfen werde, erfüllte sich nicht. Bis zum Spitzenwert von 96,51 Franc (14,71 Euro) war die Eurotunnel-Aktie 1989 geklettert, zeitweise dümpelte die Notierung bei einigen Cent dahin. Jahrelang balancierte das Unternehmen am Rande der Pleite. 2004 schickten Kleinaktionäre in einem beispiellosen Putsch die Firmenleitung in die Wüste.
2007 erließen die Gläubiger der Betreibergesellschaft Schulden in Höhe von rund fünf Mrd. Euro – erst dann ging es langsam bergauf: Im selben Jahr schrieb man mit einer Million Euro Gewinn erstmals immerhin schwarze Zahlen, 2008 verdiente die französisch-britische Eurotunnel-Gruppe schon 40 Mio. Euro. Das gute Ergebnis erlaubte es dem Unternehmen, seinen Aktionären erstmals eine Dividende auszuschütten - vier Cent pro Aktie.
Immer wieder Zwischenfälle
Heute befördern die Hochgeschwindigkeitszüge jährlich rund sieben Millionen Menschen unter dem Ärmelkanal hindurch, die Fahrtzeit mit dem Eurostar zwischen Paris und London beträgt nur noch zwei Stunden und 20 Minuten. 80 Prozent aller Reisenden zwischen den beiden Städten nehmen den Zug, nur noch 20 Prozent ein Flugzeug.

Reuters/Pascal Rossignol
Ein ICE auf Probefahrt durch den Eurotunnel
Doch nicht immer läuft alles reibungslos ab. Neben Ärger über Verspätungen gab es auch dramatische Zwischenfälle. Schon zweimal brannte es, zuletzt im Herbst 2008, als ein Lastwagen in Flammen aufging. Millionenschaden entstand 1996 bei einem Feuer an einem Zug. Außer dem Eurostar für Passagiere nutzen auch Güter- und Autozüge den Tunnel.
Hinzu kommen Ärger über Verspätungen und Zugsausfälle, zuletzt im vergangenen Winter. Kurz vor Weihnachten 2009 mussten rund 2.000 Passagiere stundenlang in einem feststeckenden Zug ausharren. In den Wochen darauf war der normale Fahrplan immer wieder gestört. Und genau das verdarb den Betreibern erneut das Geschäft. Gerade einmal 1,4 Mio. Euro Gewinn schrieb man 2009.
Doch nicht nur wirtschaftliche Probleme sind ungelöst. Zumindest ein bisschen Misstrauen zwischen Briten und Franzosen schwingt bei der gemeinsamen Verbindung noch immer mit: Sogar der heutige Eurotunnel-Vertrag sieht nach französischen Angaben für den Fall eines Konflikts zwischen beiden Ländern eine Geheimklausel für die Schließung vor.
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