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Internationale Kritik an WikiLeaks

Die von WikiLeaks am Sonntag veröffentlichten Dokumente haben nur wenige brisante Informationen, dafür umso mehr vertrauliche Korrespondenz aus den US-Botschaften der ganzen Welt enthalten. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ist „selten kreativ“, Russlands Regierungschef Wladimir Putin ein „Alpha-Rüde“ und Italiens Premier Silvio Berlusconi „physisch und politisch schwach“, meldeten die Diplomaten in ihren Depeschen an die USA.

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Mehr als in anderen Berufen „kommt es in der Diplomatie darauf an, den Schein zu wahren, sich dem Protokoll zu unterwerfen und in allen Lebenslagen so zu tun, als entbiete man seinem Gegenüber tiefste Wertschätzung, selbst wenn es sich beim Gegenüber um den Innenminister eines zentralasiatischen Folterstaats handelt“, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“, Montag-Ausgabe) in einem Kommentar zu den Veröffentlichungen.

Deshalb sei es umso wichtiger, dass sich Diplomaten in ihrer Kommunikation mit dem Außenministerium ihrer Heimat nicht unbedingt ein Blatt vor den Mund nehmen müssen. Was in internationalen Botschaften durchaus Usus sei, werde für die US-Beamten nun zum Super-GAU. „Die WikiLeaks-Papiere werden für viele einen Gesichtsverlust bedeuten, vieles in dem Konvolut ist ehrlich, aber eben deswegen auch persönlich verletzend“, so die „SZ“.

„Geschwätz“ auf diplomatischer Ebene

WikiLeaks müsse sich also den Vorwurf gefallen lassen, auf dem Niveau einer Klatsch-und-Tratsch-Plattform zu agieren, konstatiert der britische „Economist“ in der Onlineausgabe und nennt die veröffentlichten Dokumente abfällig „Geschwätz“. Wenn in den Dokumenten verwerfliche Tatsachen veröffentlicht würden, spräche nichts dagegen, dieses auszuwerten und anschließend zu veröffentlichen, so die Zeitschrift. Doch das rein quantitative Sammeln und Publizieren von vertraulichen diplomatischen Nachrichten sei keine „gesellschaftlich angemessene Aktion“.

Verwechslung von Spionage und Diplomatie

Auch von internationalen Regierungen hagelt es Kritik an der Veröffentlichung. Der einhellige Tenor: Die Aufdeckerplattform verwechsle Spionage und diplomatische Arbeit und schade nicht nur der US-Regierung. Die Veröffentlichung würde sich in erster Linie auf die diplomatischen Umgangsformen auswirken, hieß es etwa aus Deutschland und Belgien. Frankreich erklärte sich demonstrativ „solidarisch mit der US-Regierung“.

Die WikiLeaks-Aktivisten hatten nach eigenen Angaben der US-Regierung zuvor angeboten, die Namen von gefährdeten Informanten aus der Datenbank der diplomatischen Depeschen zu entfernen. Über den Kurznachrichtendienst Twitter verwies die Enthüllungsplattform auf ein Schreiben des WikiLeaks-Gründers Julian Assange an den US-Botschafter in London, Louis B. Susman, von Freitag. Darin fordert Assange als „Chefredakteur“ von WikiLeaks die US-Regierung auf, ihm die Namen der Personen zu nennen, die durch eine Veröffentlichung der Dokumente einer signifikanten Gefahr ausgesetzt seien.

Assange sagte in dem Schreiben an Susman zu, die Hinweise der Amerikaner auf gefährdete Personen vertraulich zu behandeln. „Wir sind darauf vorbereitet, solche Hinweise ohne Zeitverzögerung zu verarbeiten.“

„Guardian“: Nicht alles veröffentlicht

Unterdessen wiesen das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und die britische Tageszeitung „The Guardian“ darauf hin, aus Sorge um die Sicherheit der US-Informanten nicht alle Depeschen vollständig veröffentlicht zu haben. Man habe Angst um das Leben von Informanten und anderen betroffenen Menschen gehabt, sagte David Leigh, Chefredakteur der investigativen Abteilung beim „Guardian“, am Montag dem Sender BBC. „Deshalb haben wir uns entschlossen, sämtliche Namen von Kontakten und Informanten der USA herauszunehmen, vor allem aus solchen Ländern, in denen ihnen offensichtlich Gefahr droht.“

Die Dokumente hätten trotz aller Bedenken unter allen Umständen an die Öffentlichkeit gemusst, sagte Leigh. „Diese Dokumente zeigen den Menschen in der ganzen Welt, was wirklich vor sich geht. Die USA sind die einzige Supermacht der Welt und die Weltpolizei, wie sie selber denken. Die Art und Weise, wie sie sich gegenüber Regimen und Staaten verhalten - inklusive Großbritannien -, ist sehr bedeutsam. Die Menschen müssen wissen, was in der Welt vorgeht.“

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