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Von der Bevölkerung gedeckt?

Vor zwei Jahren haben die Behörden bei einer Großrazzia auf seiner Farm in Kentucky 2.400 Marihuanapflanzen beschlagnahmt. Seitdem fehlt von ihm jede Spur: John Robert Boone gilt als eine der führenden Figuren der US-Drogenproduktion. „King of Pot“ und „Godfather of Grass“ nennen ihn selbst die Ermittler. Doch die tappen völlig im Dunkeln - auch weil die Bevölkerung offenbar hinter Boone steht.

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In seiner Heimat hat Boone, der auf den letzten Fahndungsfotos wie ein tätowierter Santa Claus aussieht, bereits den Status eines Volkshelden. „Run, Johnny, Run“-T-Shirts werden verkauft, zwei Facebook-Fanseiten haben regen Zulauf. "Alles, was er je getan hat, war, ‚Gras‘ zu züchten, sagte Larry Hawkins, ein Freund Boones, gegenüber der Nachrichtenagentur AP: „Er hat nie jemandem etwas zuleide getan.“ Ein weiterer Freund formulierte es anders: „Johnny Boon hat nie die Gesetze der Bibel gebrochen, nur die der Menschen.“

„Größtes Marihuanasyndikat der US-Geschichte“

Die Behörden sehen das freilich anders: Sein Strafregister reicht bis in die 60er Jahre zurück, vom Besitz schwarzgebrannten Alkohols über Gemeingefährdung und illegalen Waffenbesitz bis zu Drogendelikten. Mehr als ein Jahrzehnt saß er im Gefängnis: Ende der 80er Jahre hatten die Behörden die „Cornbread-Mafia“ ausgehoben, einen riesigen Ring von Marihuanafarmern.

182 Tonnen Rauschmittel auf 29 Farmen in Minnesota, Illinois, Indiana, Kentucky, Michigan, Nebraska, Missouri, Kansas und Wisconsin wurden beschlagnahmt. Vom „größten einheimische Marihuanasyndikat der amerikanischen Geschichte“ sprachen die Ankläger.

Lebenslange Haft droht

Über 70 Männer aus Kentucky wurden verurteilt – und Boone galt als einer der Anführer. Er wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt, aber 1999 vorzeitig entlassen. 2008 entdeckten die Behörden auf seiner Farm abermals Marihuanapflanzen, vor der Razzia tauchte Boone unter. Seine dritte Verhaftung wegen Drogen würde für ihn lebenslange Haft bedeuten.

Die Ermittler sahen Boone auch als durchaus innovativ. Als einer der Ersten im lokalen Business trennte er die männlichen und weiblichen Pflanzen, um bessere Qualität zu produzieren. Auch mit Samen aus anderen Ländern habe er experimentiert. Trotzdem sei das alles andere als harmlos, heißt es von den Ermittlern: Selbst wenn die Farmer an sich nicht gewalttätig sind, gingen mit der Größe der Organisationen zumeist weitere Straftaten einher - von Prostitution bis Gewalt zwischen Dealern.

Ausgerechnet Kentucky

Kentucky hat eine lange Tradition, wenn es darum geht, Geschäfte mit berauschenden Substanzen vor den Augen des Gesetzes zu verbergen. Schon während der Prohibition kämpfte man um den berühmten Kentucky Bourbon Whiskey im Untergrund. Seit damals existiere eine Schweigekodex in der Bevölkerung, heißt es in US-Medien: Von den Behörden gefragt, habe man nichts gesehen, nichts gehört und wissen würde man sowieso nichts. In der gottesfürchtigen Gegend würden die zehn Gebote ohnehin mehr zählen als Gesetze – und in der Bibel steht schließlich nichts von schwarzem Schnapsbrennen und Marihuanaanbau.

Für Letzteres stieg in den 60er Jahren die Nachfrage, ein zweiter Boom setzte in den 80er Jahren ein. Die Wirtschaft stagnierte, die Agrarpreise und insbesondere der Preis für Tabak rasselten in den Keller. Bei einer Arbeitslosigkeit von 14 Prozent erweiterten etliche Farmer ihre Produktpalette – und setzten auf Marihuana. Und gerade die Gegend um Louisville wurde zum Zentrum der „Gras“-Farmer.

„Omerta“ als Credo

Boone habe das Verschwiegenheitsgelübde zur Perfektion getrieben, meinen die Ermittler. Er habe das von der sizilianischen Mafia stammende „Omerta“ sogar in großen Lettern auf seinen Körper tätowiert. Sein Credo laute: „Nie jemanden verraten. Nie jemandem Schaden zufügen, es sei denn aus Selbstverteidigung. Frauen, Kinder und Hilflose schützen. Immer eine klare Ansicht haben, was richtig und was falsch ist. Und vorbehaltlos das Richtige tun“, zitiert die US-TV-Serie „America’s Most Wanted“ aus den Notizen Boones.

Robin-Hood-Image geschaffen

Dieser Verhaltenskodex mag nicht unbedingt nach einem rücksichtslosen Schwerverbrecher klingen. Und tatsächlich hat es Boone offenbar geschafft, eine Art Robin-Hood-Image aufzubauen. Er unterstütze Alte, Jugendorganisationen und Kirchen, meinen die Ermittler, und habe sich damit Ansehen und Vertrauen in der Bevölkerung verschafft. Auch gegenüber der AP berichten etliche Bekannte, Boone habe Menschen in finanziellen Schwierigkeiten auch mit Geld unterstützt.

Auch deswegen wird Boone wohl in der Bevölkerung gedeckt. Doch vielleicht ist es nicht nur Sympathie, sondern auch Angst, vermuten manche Ermittler. Auf seiner Farm hatte er Rinderskelette verteilt, um ungebetene Gäste abzuschrecken. Und eine Horde Rottweiler habe das Land gewacht. Aber die Behörden wissen nicht einmal, ob sich Boone noch in seiner Heimat in Kentucky aufhält: Ihm werden hervorragende Kontakte nach Südamerika nachgesagt. Es wird nicht ausgeschlossen, dass er sich nach Belize abgesetzt hat.

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