Paul Celan wäre 90 geworden

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Vor 90 Jahren wurde im einst österreichischen Czernowitz der Dichter Paul Celan geboren, der vielen als der vielleicht wichtigste deutschsprachige Lyriker nach 1945 gilt.

Als schwer fassbar gilt die Lyrik des jüdischen Dichters, der den Holocaust nur knapp überlebte. Einblicke in sein Seelenleben haben viele zu geben versucht, auch sein Sohn, seine Ehefrau und seine Geliebten. Vergeblich: Celan bleibt ein Rätsel, ein ewig Unverstandener.

Celan deutete sein Dichten als ein „unterwegs Sein“ von einem „nicht mehr“ zu einem „noch nicht“. Eine Interpretation, die man nicht nur auf die Unverständlichkeit seiner Sprache beziehen kann.

Der als Paul Antschel geborene Dichter, dessen Eltern 1942 von den Deutschen ermordet wurden, war selbst unterwegs. Auf einer beschwerlichen Reise, die einem Lebenskampf glich, einem Kampf vieler Holocaust-Überlebender, suchte er nach Hoffnung, die über Trauer und Schmerz hinausreichte.

Der Tod, ein Meister aus Deutschland

Als 27-Jähriger kam Celan im Juli 1948 über Bukarest, Budapest und Wien nach Paris. Herkunft und Jugend haben den sprachbegabten, hochgebildeten und äußerst sensiblen Mann zeit seines Lebens geprägt. Besonders bekannt wurde Celans „Todesfuge“ mit den Versen „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau/er trifft dich mit bleierner Kugel er/trifft dich genau“.

Man hat diesen ergreifenden Abgesang auf die von den Nazis ermordeten Juden als die überzeugendste Antwort auf Theodor W. Adornos Diktum angesehen, dass nach Auschwitz keine Gedichte mehr möglich seien.

Die bedeutendsten Celan-Texte entstanden nach Kritikermeinung in den 60er Jahren, als sein Werk radikaler wurde - bis hin zu einem völligen Verzicht auf Verständlichkeit. „Was kann Celan in Zukunft noch dichten, wenn nicht das Schweigen“, schrieb 1960 ein Kritiker, der seine Gedichte als „Unendlichkeitssprechung von lauter Sterblichkeit“ bezeichnete.

Celan und die Frauen

Celan sei zwar seit dem Nazi-Mord an seiner Mutter vom Tod besessen gewesen, doch auch von der Liebe, hält Brigitta Eisenreich dem düsteren Bild entgegen. Die österreichische Wissenschaftlerin hat sich erst 40 Jahre nach dem Tod des Lyrikers als dessen langjährige Geliebte bekannt.

In ihrem im Frühling 2010 erschienenen Buch „Celans Kreidestern. Ein Bericht“ beschreibt sie den Dichter, der am Ende seines Lebens nicht mehr ohne Antidepressiva auskam, als einen Mann voller Energie und einen Verführer und wehrt sich dagegen, dass das öffentliche Bild des Lyrikers zu sehr von seinem Wahn, seiner Psychose geprägt sei.

Im Leben des schwermütigen Dichters gab es tatsächlich viele Frauen: die Ehefrau, eine sechs Jahre jüngere Französin namens Gisele de Lestrange, die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann und die Ethnologin Eisenreich, mit der Celan von 1952 bis 1962 liiert war. Ob auch das Dichten für Celan ein Liebesakt war, wie der Celan-Spezialist Bertrand Badiou sagt, oder ein Schutz gegen den Wahnsinn, wird auch weiterhin eines der Geheimnisse des Lyrikers bleiben, der sich am 19. April 1970 in die Seine stürzte.