Aussagen mit Gedächtnislücken
Seit rund einem Monat wird im Mordprozess gegen die frühere Terroristin der Roten Armee Fraktion (RAF), Verena Becker, im Stuttgarter Oberlandesgericht verhandelt. Die deutsche Bundesanwaltschaft wirft der 58-Jährigen vor, an der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seinen beiden Begleiterin am 7. April 1977 in Karlsruhe beteiligt gewesen zu sein.
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Becker soll maßgeblich an der Entscheidung für den Mordanschlag, an dessen Planung und Vorbereitung sowie der Verbreitung der Bekennerschreiben mitgewirkt haben. Bis heute ist nicht geklärt, wer vom hinteren Sitz eines Motorrads aus die tödlichen Schüsse auf Buback und seine Begleiter abgegeben hat.
Während die Bundesanwaltschaft nicht davon ausgeht, dass Becker die Todesschützin war, will der Sohn des Ermordeten, Michael Buback, als Nebenkläger in dem Prozess beweisen, dass Becker die Täterin war. Er glaubt, dass sie bei den Ermittlungen geschützt wurde, weil sie schon vor ihrer Festnahme mit Geheimdiensten kooperiert haben könnte.
Keine stichhaltigen Beweise
Bisher konnte keiner der befragten Zeugen Bubacks These stichhaltig bestätigen, obwohl bisher vor allem diejenigen in den Zeugenstand geladen wurden, die zufällig das Attentat im April 1977 beobachtet haben. Nach den Angaben von Bubacks wichtigster Zeugin, die das Geschehen aus dem Bürofenster beobachtet haben will, soll die zweite Person auf dem Motorrad wesentlich kleiner und höchstwahrscheinlich eine Frau gewesen sein.
Drei Verurteilungen
In Zusammenhang mit dem Buback-Attentat wurden bisher die RAF-Mitglieder Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar und Knut Folkerts als Mittäter wegen Mordes verurteilt. Das Verfahren gegen den ebenfalls tatverdächtigen RAF-Mann Günter Sonnenberg wurde 1982 eingestellt.
Allerdings unterscheidet sich ihre aktuelle Aussage deutlich von der vor 33 Jahren. 1977 wusste sie noch nichts von einer Frau auf dem Beifahrersitz zu berichten. Sie meinte aber, dass sie ihre Aussagen vom Tattag nie unterzeichnet habe. Sie beschrieb auch, dass das Motorrad Bubacks Wagen mehrere Male wie in einer Zirkusnummer umrundet habe. „Es ist schlicht und ergreifend unmöglich, was Sie da gesehen haben wollen“, lautete der Kommentar einer Oberstaatsanwältin.
Auch ein mittlerweile verstorbener Zeuge unterstützt Bubacks These. Er will fünf Jahre nach der Tat „fast mit Sicherheit“ ein Mädchen auf dem Sozius des Motorrads gesehen haben. Er war allerdings 70 Meter davon entfernt, berichtete die „Süddeutsche Zeitung“.
Buback will neuen Zeugen laden
Buback will nun einen neuen Zeugen laden lassen, der auf dem Motorrad ganz klar eine Frau erkannt haben will - ein Hinweis, dass doch Becker die Täterin gewesen sein könnte. Der Zeuge sei noch nie vernommen worden und ihm auch erst vor zwei Wochen bekanntgeworden. Die Bundesanwaltschaft äußerte Zweifel: Wie könne es sein, dass sich ein so wichtiger Zeuge erst nach Jahrzehnten melde? Bundesanwalt Walter Hemberger nannte die Thesen Bubacks schon zu Beginn des Prozesses „abwegig und absurd“. Es gebe keine Hinweise auf „Manipulation“ von Akten, aber viele Indizien und DNA-Spuren, dass Becker damals nicht auf dem Motorrad saß.
Bruchstückhafte Erinnerungen
Der Prozess gegen Becker ist nicht einfach. Vielfach drehen sich die Aussagen der Zeugen, manche werden detaillierter, andere haben gröbere Gedächtnislücken nach über 30 Jahren. Ein Jurist der am 7. April in der Erstvernehmung von den Schüssen berichtete, meinte nun in dem Prozess, er habe nicht direkt gesehen, wie geschossen wurde, sondern erst nach den Schüssen aus dem Fenster geschaut.
Suche nach RAF-Terroristen
Die RAF löste sich vor über zehn Jahren selbst auf. Das deutsche Bundeskriminalamt sucht nach wie vor in Ernst-Volker Staub, Daniela Klette und Burkhard Garweg drei mutmaßliche Mitglieder der dritten und letzten RAF-Generation.
Auch die Vernehmung des heute 77-jährigen Tankstellenpächters förderte Lücken bei den Details zutage. Seine Aussage widerspricht Bubacks These, dass Becker die Tat beging. Der Tankstellenpächter gab bei seiner Vernehmung an, dass er sich bei dem Geschlecht des Beifahrers, der die tödlichen Schüsse abgegeben haben soll, sicher gewesen sei. Er habe „so männliche Hände“ gehabt. Mittlerweile sagt er: „Das kann schon so gewesen sein.“ Konkret erinnern kann er sich aber nicht mehr.
Becker schweigt
Gar keine Aussage möchte Becker selbst machen. Zum Auftakt des Prozesses Ende September lasen der Vorsitzende Richter des Stuttgarter OLG, Hermann Wieland, und der Staatsanwalt aus tagebuchähnlichen Aufzeichnungen Beckers vor, in denen sie überlegt, ob sie den Hinterbliebenen der drei Toten ihr „Täterwissen“ offenbaren solle, „damit Heilung geschehen kann“. Das Urteil gegen Becker wird frühestens im Sommer erwartet.
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