Erste Verhaftungen bei Freudenfeiern
Der massive Druck aus Peking hat seine Wirkung verfehlt: Der Friedensnobelpreis geht an den chinesischen Menschenrechtler Liu Xiaobo. Das Komitee in Oslo würdigt den gewaltlosen Kampf eines Mannes, der im Gefängnis sitzt und selbst noch nichts von seiner Auszeichnung weiß.
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Der Chef des Nobelkomitees, Thorbjörn Jagland, sagte, auch den Juroren sei bisher kein Kontakt zum Preisträger und seiner Frau Liu Xia möglich gewesen: „Wir haben die chinesischen Behörden gebeten, den Bescheid über den Preis weiterzugeben“, berichtete Jagland im TV-Sender NRK. Diese hätten jedoch versucht, jeden Kontakt mit Liu Xia, der Ehefrau des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, zu verhindern. Polizeikräfte verwehrten Journalisten den Zugang zu dem Wohnungskomplex in Peking, in dem die Frau des inhaftierten Preisträgers lebt, wie Augenzeugen am Ort des Geschehens berichteten.

APA/EPA/DPA/Liu Xia
Lius Schlussworte im Prozess:
„Was ich von mir, sowohl als Person wie in meinem Schreiben, verlangte, war, mit Anstand, Verantwortlichkeit und Würde zu leben.“
Obama fordert schnelle Freilassung
US-Präsident Barack Obama forderte China auf, Xiaobo so schnell wie möglich aus dem Gefängnis zu entlassen. China habe in den vergangenen 30 Jahren dramatische Fortschritte bei Wirtschaftsreformen und der Verbesserung des Lebensstandards von Millionen Menschen gemacht, erklärte Obama am Freitag. Die Auszeichnung für Liu zeige jedoch, dass politische Reformen mit denen in der Wirtschaft nicht Schritt gehalten hätten und die grundlegenden Menschenrechte respektiert werden müssten.
Meldungen über den Preis für Liu wurden in China umfassend zensiert. Die Übertragung des Senders CNN wurde gestört, beliebte Websites entfernten die Berichterstattung über die Nobelpreise, die in den Tagen zuvor in den naturwissenschaftlichen Sparten noch eine wichtige Rolle gespielt hatten. Sogar Versuche, SMS mit den chinesischen Schriftzeichen für Liu Xiaobo zu verschicken, scheiterten.
Die Frau Lius zeigte sich dennoch hocherfreut über die Verleihung des Friedensnobelpreises an ihren Mann. „Ich bin glücklich, aber ich kann nicht herauskommen“, sagte Liu Xia am Telefon in ihrer Wohnung. „Ich stecke hier fest - mit der Polizei“, sagte Liu Xia. Am Samstag könne sie in die Provinz Liaoning reisen, um ihm dort von dem Preis zu berichten, sagte Liu. Auch Shang Baojun, einer von Lius Anwälten, äußerte die Hoffnung, dass der Dissident nun wegen der Auszeichnung schneller freikomme.
Norwegischer Botschafter im Pekinger Außenamt
Peking zitierte nach der Vergabe den norwegischen Botschafter ins Außenamt. Dort wurde ihm der offizielle Protest der chinesischen Führung übermittelt. Das chinesische Außenministerium hatte zuvor schon erklärt, die Auszeichnung für Liu laufe den Zielen des Nobelpreises zuwider. Die Beziehungen zu Norwegen würden damit gestört. Die norwegische Seite habe auf die Unabhängigkeit den Nobelpreiskomitees und den Wunsch nach guten Beziehungen zu China verwiesen, sagte eine Sprecherin des Außenministeriums in Oslo.
Druck aus Peking im Vorfeld
Schon vor der Vergabe hatte Peking alles unternommen, um eine Auszeichnung Lius zu verhindern, mit deutlichen Ansagen und diskretem Druck hinter den Kulissen. So berichtete der Direktor des Nobelinstituts, Geir Lundestad, die chinesische Vizeaußenministerin Fu Ying habe ihm bereits im Juni deutlich gemacht, dass eine Auszeichnung Lius als „unfreundlicher Akt Norwegens“ gegenüber Peking betrachtet würde. Noch im September zog ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums gegen Liu als möglichen Preisträger ins Feld.
Wenig überraschend kam daher die Verärgerung Pekings, als Liu am Freitag tatsächlich zum Preisträger ernannt wurde. „Liu Xiaobo ist von der Justiz der Verletzung des chinesischen Gesetzes für schuldig befunden und zu einer Haftstrafe verurteilt worden“, erklärte das Außenministerium. Seine Aktivitäten widersprächen dem Ziel des Friedensnobelpreises. Er sei ein „Krimineller“, die Entscheidung des Komitees sei daher ein „Verstoß gegen die Prinzipien“ dieser Auszeichnung und werde den Beziehungen zwischen Norwegen und China schaden.
„Wir waren so glücklich“
Bei spontanen Feiern nach der Verleihung wurden in Peking rund 20 prodemokratische Aktivisten festgenommen. Wie die Bürgerrechtlerin Wang Lihong der Nachrichtenagentur dpa telefonisch aus dem Polizeigewahrsam berichtete, hätten sie zunächst Karaoke gesungen und dann in einem Restaurant nahe des Ditan-Parks gefeiert. „Wir waren so glücklich.“
Plötzlich seien rund zehn Polizeifahrzeuge mit rund 50 Polizisten gekommen. „Sie forderten uns auf, zu kooperieren“, sagte Wang Lihong. „Die Polizisten waren sehr unverschämt.“ Die Aktivisten seien erst auf die Hepingli-Wache gebracht, dann auf andere Polizeistationen verteilt worden. Unter den Festgenommenen sei auch der Anwalt Zhao Zhangqing, berichtete die Bürgerrechtlerin über ihr Handy telefonisch direkt aus der Jinshan-Wache.

AP/Vincent Yu
Demonstrationen in Hongkong
Auch vor dem Haus von Lius Ehefrau sowie vor der Pekinger Vertretung in Hongkong wurde für seine Freilassung demonstriert. „Wir wollen, dass sich China sowohl politisch als auch wirtschaftlich entwickelt“, sagte Kenneth Chan, einer der Anführer der prodemokratischen Zivilpartei in Hongkong. Chinas Regierung werde die Auszeichnung „höchst peinlich“ sein. „Aber es sind gute Nachrichten für China.“
Beifall von Menschenrechtsorganisationen
Weltweit fand die Entscheidung des Nobelkomitees viel Zustimmung. Deutschland und Frankreich verlangten die Freilassung Lius ebenso wie das Oberhaupt der Tibeter im Exil, der Dalai Lama, der auch Friedensnobelpreisträger ist.
UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon reagierte sehr zurückhaltend. Er bezeichnete die Ehrung in New York lediglich als „Anerkennung des wachsenden internationalen Einverständnisses zur Verstärkung der Menschenrechte und ihrer Kultur auf der ganzen Welt“. Auf die Person des in China inhaftierten Preisträgers ging er nicht näher ein und sprach auch keine Glückwünsche aus.
Der österreichische Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) erinnerte daran, dass Liu und seine Frau „für ihre Überzeugungen einen hohen Preis zahlen“ mussten. „Ich hoffe, dass eines Tages Menschen wie Liu Xiaobo auch in ihrer Heimat jene Anerkennung erfahren werden, die ihnen zusteht.“ Der außenpolitische Sprecher der Grünen, Alexander Van der Bellen, forderte die Freilassung Lius und mehr Demokratie, Freiheit und Wahrung der Menschenrechte in China.
Der Generalsekretär von Amnesty International in Österreich, Heinz Patzelt, erklärte, Liu habe den Friedensnobelpreis „mehr als verdient“. Er stehe „stellvertretend für viele andere Menschen, die sich in China für die Menschenrechte einsetzen“.
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