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„reden wir über bildung“

Nach strengen Regeln wurde das Internet genau eine Stunde lang durchforstet: 15 Minuten Recherchezeit für die vier größten Parteien im Wiener Wahlkampf, die über die Deutschkenntnisse von Migranten besorgt sind. Gesucht wurde nach wirrem Deutsch sowie Grammatik- und Rechtschreibfehlern.

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Besonders präsent ist die ÖVP Wien mit ihren Integrationsplakaten. „reden wir über bildung. am besten auf deutsch“, heißt es da etwa, und: „Unser Kurs in der Bildung: der Deutschkurs“. Spitzenkandidatin Christine Marek sprach in einem von der ÖVP selbst geführten Sommerinterview im Netz über ein ganz anderes Thema, nämlich die Männerkarenz: „Es sind in der neuen, kurzen Pauschalvariante - also ein Jahr plus zwei Monate, tausend Euro - fast doppelt so viele Väter, als es im Gesamtdurchschnitt des Kinderbetreuungsgeldes ist.“ Am Ende wäre die Mehrzahl - „sind“ - korrekt gewesen.

Keine Hilfe für Schüler und Migranten

Wenn man Vorbild für Schüler in Sachen korrektes Deutsch sein will, sollte man wohl auch die Praxis überdenken, auf einzelnen Plakaten ausschließlich Kleinbuchstaben zu verwenden. Vor etwa zehn bis 15 Jahren (E-Mails waren noch jung und Chats galten als wild) in Mode gewesen, sticht diese Praxis heute wohl vor allem Deutschlehrern ins Auge: „frischer wind für wien“.

Schreibt man „Sie“ in der direkten Anrede in einem Blog groß oder klein? Die ÖVP hilft einem deutschlernhungrigen Migranten in dieser Frage nicht weiter, sie wechselt ab - auch in ein und demselben Beitrag: „Dabei ist es nämlich möglich, dass der Coach entweder direkt zu Ihnen nachhause kommt und Ihnen dadurch viel wertvolle Zeit erspart oder dass sie Ihr Coaching schlicht und einfach in einen der wunderschönen Wiener Parks verlegen.“

Deutschpflicht für FPÖ-Politiker?

Die FPÖ Wien sorgt sich bereits traditionell wegen der Deutschkenntnisse der Migranten. Ein verpflichtendes Vorschuljahr für Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen wird genauso gefordert wie eine Deutschpflicht auf dem Pausenhof. Aber um welches Deutsch geht es? Mitunter kann diese Sprache verwirrend sein: „Obwohl uns von den zuständigen Damen und Herren immer was anderes berichtet wird, stellt das Magistrat was anderes fest.“ Wer anderer berichtet „was“ anderes als jemand anderer - schreibt Michael Mrkvicka, Klubobmann der FPÖ Favoriten, auf deren Website.

Seine Simmeringer Kollegenschaft ignoriert die Groß- und Kleinschreibung: „Der Wiener Bürgermeister hat offensichtliche Konditionsschwierigkeiten und war neben seiner offen zur Schau gestellten Präpotenz ziemlich Wortkarg.“ Die Donaustädter Freiheitlichen gleichen das große Adjektiv durch ein kleines Substantiv aus: „Die Riesenbaustelle am Asperner Flugfeld wird auch immer mehr zum Ärgernis für die Menschen in den umliegenden siedlungsgebieten.“

„Unter“ Deutschfehler verärgert

Interessant ist bei der FPÖ Donaustadt auch, dass man „unter“ statt „über“ etwas verärgert ist: „Die unter dem deutlich angestiegenen Verkehrsaufkommen und der massiven Lärm- und Geruchserregung in der warmen Jahreszeit verärgerten Anrainer warten schon seit Monaten vergeblich auf eine dahin gehende Reaktion von SPÖ Bezirksvorsteher Scheed.“ Es geht um ein Islamzentrum.

Die FPÖ Ottakring nimmt es mit korrektem Deutsch ebenfalls nicht so genau: „Und selbst wenn, drohe demjenigen, der illegal seine Dienste für diverse Arbeiten anbiete, keinerlei Strafen.“ Einzahl, Mehrzahl, ganz egal. Und Konjunktiv? Negativ.

„Das entscheidende Punkt“ Häupls

Der Obervollzugsbeamte der SPÖ in Wien in Sachen Integration ist freilich niemand Geringerer als Bürgermeister Michael Häupl selbst. Bei der „Elefantenrunde“ im ORF vergangenes Wochenende sagte er: „Deutsch ist die Kommunikation, die bei uns entsprechend notwendig ist.“ Schon früher äußerte er sich zu dieser Thematik. „Das entscheidende Punkt ist, dass man uns hilft, Integration in dieser Stadt tatsächlich auch zu vollziehen“ - zu hören in einem YouTube-Video, das eine Diskussionsveranstaltung im Oktober 2009 wiedergibt.

Folgende Aussage von Laura Rudas bei der Auftaktveranstaltung zu „Österreich 2020“ dürfte nicht nur für Migranten schwer zu verstehen sein. Es geht dabei um die großen Fragen, die ihre Partei beschäftigen: „Was sind die Herausforderungen der Zukunft und versuchen, die Symbiose zwischen Wissenschaft und Politik, eine Hegemonie der zentralen Herausforderungen der Zukunft zu schaffen. Weil die gibt es ja nicht.“

Die SPÖ Favoriten schreibt sogar ihren eigenen Namen falsch - nämlich mit Bindestrich: „Wenn Sie unsere Werte teilen, und die SPÖ-Favoriten in ihrer politischen Arbeit unterstützen möchten, können Sie bei uns Mitglied werden.“

Grüne verteilen Zuschauerräume

Bei der ORF-„Elefantenrunde“ am Wochenende war auch die Spitzenkandidatin der Wiener Grünen, Maria Vassilakou, anwesend. Ihr seien Muttersprachen- und Fremdsprachentraining wichtig, vor allem aber „perfekte Deutschkenntnisse“, sagte sie. Das sollte sie auch ihren Parteikollegen ins Stammbuch schreiben. Christoph Chorherr etwa verteilt im Blogportal der Grünen Zuschauerräume: „Es wurde von ATV die Stadthalle angemietet, der Zuschauerraum in 4 Sektoren verteilt, und den Parteien je 450 Karten verkauft (10 Euro das Stück).“

Diese Veranstaltung hat es Chorherr angetan: „Dazwischen wuseln Kamerateams von ATV und Dutzenden Fotografen, gierig nach genau diesem Spektakel.“ Seit wann haben Fotografen Kamerateams?

Wien ist eine Stadt - Beistrich!

Der Grüne Georg Prack schreibt in seinem Blog: „Wien ist eine Stadt in der viele Menschen unter der Armutsgrenze leben, darunter viele Kinder. Wien ist eine Stadt in der sich die Biographie vieler Menschen anhand des sozialen Status ihrer Eltern entscheidet, weil Bildungsarmut und Bildungsreichtum vererbt werden. Wien ist eine Stadt in der Menschen in Haft sitzen, weil sie am falschen Platz auf (...).“ Sonst wurden Beistrichfehler für diese Zusammenstellung nicht geahndet (sie kommen bei allen Parteien nicht zu knapp vor) - aber bei dieser Häufung ...

Simon Hadler, ORF.at

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