Täter inszeniert seinen Selbstmord
Sie tötete ihren Sohn, dessen Vater und einen Krankenpfleger. Der Amoklauf einer Rechtsanwältin in Lörrach am Sonntag schockiert viele. Was Menschen zu einer solchen Tat bringt, erläuterte der Angstforscher und Kriminalpsychologe Christian Lüdke aus Essen der Nachrichtenagentur dpa.
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Wie oft werden Frauen zu Amokläuferinnen?
Lüdke: „Bei einem Amoklauf geht es dem Täter darum, seinen eigenen Selbstmord zu inszenieren. Das heißt, der Täter plant, sich am Ende umzubringen oder von der Polizei erschossen zu werden. Die Statistiken zum Verhältnis der Selbstmorde bei Männern und Frauen zeigen eindeutig, dass Männer wesentlich öfter, dreimal häufiger, Selbstmord begehen als Frauen dies tun. Und ungefähr genauso ist das Verhältnis bei den Amokläufen.“
Warum rasten Frauen seltener aus?
„Erweiterter Selbstmord“
Das Wort „Amok“ kommt aus der malaiischen Sprache und bedeutet „Wut“. Angst, Demütigung, Eifersucht oder Scham haben sich nach Einschätzung von Experten oft lange aufgestaut, bevor es zur Katastrophe kommt. Viele Amokläufer töten sich am Ende selbst, weshalb solche Anschläge mitunter auch als „erweiterter Selbstmord“ angesehen werden.
Lüdke: „Die innere Widerstandsfähigkeit, die Fähigkeit, mit Enttäuschungen und Kränkungen umzugehen, ist bei Frauen wesentlich höher entwickelt. Das heißt, Männer sind bei Beziehungsproblemen, bei Konflikten und Krisen wesentlich verletzlicher und verletzbarer, als Frauen das sind. Von daher neigen Männer eher dazu, ihre Aggressionen in Gewalt umzuwandeln, weil die Gewaltausübung ihr Gefühl von Ohnmacht in ein kurzzeitiges Erleben von Allmacht wandelt.“
Was kann der Auslöser für eine solche Tat sein?
Lüdke: „Damit eine Frau Amok läuft, müssen dem enorme Kränkungen, Demütigungen, Verletzungen vorangegangen sein. In der Regel gibt es gestörte Beziehungen über einen sehr sehr langen Zeitraum und letztlich die Unfähigkeit, mit diesen hohen Aggressionen umzugehen.“
Welchen Einfluss haben psychische Erkrankungen?
Lüdke: „Psychische Erkrankungen können teilweise eine solche Tat begünstigen, das heißt, dass Frauen in diesem Fall Realitätsverluste erleben. Allerdings handelt es sich bei einer solchen Tat in den seltensten Fällen um eine Affekthandlung, sondern das Ganze wurde von den Tätern in der Fantasie schon viele Hunderte Male durchgespielt.“
Warum sind so häufig Beziehungsprobleme der Grund für solche Taten?
Lüdke: „Weil wir als Menschen in erster Linie Beziehungsmenschen sind, das heißt, wir sind auf die Beziehung zu anderen Menschen angewiesen. Wenn wir dort das Gefühl von Missachtung, von Kränkung, von Demütigung erleben, dann haben wir große Ängste, nicht mehr zur Gemeinschaft, zur Gesellschaft dazuzugehören, aus dieser Welt herauszufallen. Dann versuchen Menschen alles Mögliche, in den Mittelpunkt zu geraten. Gelingt es ihnen nicht, fehlt dann wieder die Anerkennung, werden sie erneut gekränkt, dann kann dieses starke Ohnmachtsgefühl in Gewalttaten umgewandelt werden.“
Das Gespräch führte Ronny Thorau, dpa