Die Favoriten für den Löwen
Die Filmfestspiele von Venedig sind jedes Jahr „ganz großes Kino“ im Wortsinn. Heuer zeichnet sich das Festival durch eine ungewöhnliche Bandbreite bei den Filmen aus. Von seichten Komödien bis hin zu schwierigen und brutalen Problemstreifen ist alles vertreten. Einen Favoriten für den Löwen auszumachen ist schwerer denn je.
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Die Trophäe wird am Samstagabend vergeben. Wirklich begeistert hat viele Kritiker Sofia Coppolas sechster Film „Somewhere“. Witzig und auch einfühlsam erzählt die 39-jährige Tochter von Regielegende Francis Ford Coppola von der inneren Leere des Hollywoodstars Johnny Marco, den erst seine kleine Tochter aus seiner Sinnlosigkeit reißen kann.
Verlorener Superstar
Wie schon in ihrem Erfolgsstreifen „Lost in Translation“ ist ein Hotel Schauplatz des Films, diesmal vor allem das legendäre Chateau Marmont in Los Angeles. Sex, Tabletten und ein Ferrari als Statussymbol haben den Star Johnny im Griff - Sofia Coppolas Protagonist (Stephen Dorff) ist irgendwie verloren. Mit seinem Superschlitten dreht er Runden, sein Leben dreht sich im Kreis. Als er aber seine elfjährige Tochter Cleo (Elle Fanning) mit zu einer Preisverleihung nach Italien schleppen muss, nähern sich die beiden einander an. Liebe kommt so auf in einem Film, der ansonsten die oberflächliche Showwelt Hollywoods auf die Schippe nimmt und Coppolas bisher intimstes Werk ist.
Andere Filme, die vor ihrem Screening bereits mit Spannung erwartet wurden, enttäuschten eher. Julian Schnabel, Regisseur von „Schmetterling und Taucherglocke“, erzählt in „Miral“ eine generationenübergreifende Geschichte aus den Palästinensergebieten und Israel - allerdings laut Kritikern enttäuschend oberflächlich und einseitig. Und auch der chilenische Beitrag „Post Mortem“ von Pablo Larrain erwähnt die Umstände rund um Salvador Allendes Tod beim Militärputsch nur am Rande.
Beklemmende Bilder aus China
Etwas politischer wurde da der Überraschungsfilm, der bis zur ersten Vorführung geheim gehalten worden war. In „The Ditch“, was so viel bedeutet wie „Der Graben“, zeigt der chinesische Regisseur Wang Bing ein Arbeitslager in der Wüste Gobi. Dort schuften sich im Jahr 1960 viele Chinesen, verbannt von der kommunistischen Führung für ihre angeblich „rechten“ Ideen, zu Tode oder verhungern elendig. Es sind beklemmende Bilder, die Wang Bing einfängt: ausgemergelte Männer, die im Dreck und unter menschenunwürdigen Zuständen leben. Männer, die in ihrer Not nicht nur Ratten essen, sondern auch das Erbrochene der Mitgefangenen und sogar Fleisch der Toten. Explizite Kritik äußert der für Dokumentationen bekannte Regisseur allerdings nicht, er lässt seine Bilder sprechen. Und die gehen unter die Haut.
Ein Film für Tarantino
Brutal bis an die Grenze des Erträglichen geht es auch in „Essential Killing“ des Polen Jerzy Skolimowski zu. Auf einem CIA-Flug nach Europa entkommt der Afghane Mohammed (Vincent Gallo). Er versucht verzweifelt, sich von den Häschern nicht wieder einfangen zu lassen und schlägt sich mordend irgendwo in weiten osteuropäischen Wäldern durch. Solch ein Film um den extremen Überlebenskampf eines fernab der Heimat Gejagten könnte dem Präsidenten der diesjährigen Jury, dem US-Starregisseur Quentin Tarantino, durchaus gefallen.
Bisher dominierten ansonsten klar die Frauen, auf der Leinwand und hinter der Kamera. Catherine Deneuve bewies in Francois Ozons Komödie „Potiche“ auf äußerst unterhaltsame Weise, dass Frauen die besseren Unternehmenschefinnen sein können. Eine Paraderolle für „die Deneuve“.
Der Glam-Faktor
Mögliche Favoriten, zumindest was den Glamf-Faktor betrifft, sind einige der besonders publikumswirksamen Streifen. Isabella Rossellini spielt in „Die Einsamkeit der Primzahlen“, der teilweise in Deutschland gedreht wurde, und Dustin Hoffman kam in „Barney’s Vision“ von Richard Lewis an den Lido. Fans des deutschsprachigen Kinos kommen bei Tom Tykwers „Drei“ mit Sophie Rois auf ihre Rechnung - möglicherweise sichert sich die Dreiecksgeschichte als Freitagsfilm noch auf den letzten Metern einen Löwen.
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