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Venedig ohne Venezianer

Venedig hat heute knapp 60.000 Einwohner, vor 30 Jahren waren es noch doppelt so viele. Jährlich verlassen 2.500 Venezianer die Stadt, denn für die Einheimischen hat die Touristenflut viele Nachteile: Die Lebenshaltungskosten sind in Venedig dreimal so hoch wie in benachbarten Orten.

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Seit die Umwandlung von Wohneigentum in Touristenunterkünfte per Gesetz erleichtert wurde, hat sich die Wohnungsknappheit weiter extrem verschärft. Wegen der starken Nachfrage nach Ferienappartements kosten Wohnungen in der Lagunenstadt bis zu 8.000 Euro pro Quadratmeter, berichtet das ORF-Weltjournal" am Mittwoch.

Mieten kaum mehr zu leisten

„Sollte dieser Trend anhalten, wird es in Venedig bald keine Einwohner, sondern nur noch Touristen geben“, warnen Experten. Aufgrund der hohen Restaurierungskosten liegen viele Gemeindewohnungen brach oder werden, weil es Geld bringt, privatisiert. Gefördert wurde bisher nur der Umbau von Wohnungen in Beherbergungsbetriebe. Venedig verwandelt sich für die 20 Millionen Besucher jährlich in eine riesige Hotelanlage, sagen die Kritiker. Bürgerbewegungen ist es immerhin vor kurzem gelungen zu verhindern, dass große Hotelketten halb Venedig aufkaufen dürfen.

U-Bahn in Venedig

ORF

Behörden mit ambitionierten Plänen

Der Boom an Bed-and-Breakfast-Pensionen treibt die Mietpreise in die Höhe. Vor allem die jungen Venezianer können sich Wohnungen in der Lagunenstadt nicht leisten und ziehen deshalb auf das Festland z. B. nach Mestre. Da die Industriestadt als Stadtteil Venedigs gilt, schiebt der Gemeinderat die Lösung des Wohnungsproblems auf das Festland. Man lässt den Venezianern keine Wahl, nur in Mestre bekommen sie eine Gemeindewohnung. Venedig scheint seine eigenen Bewohner zu vertreiben.

U-Bahn in Venedig

ORF

Studie zu den U-Bahn-Plänen

U-Bahn statt Gondeln?

Um die Touristenströme organisiert durch die Lagunenstadt zu lenken, setzt die Stadtregierung auf neueste Technik. Im April wurde der „People Mover“ in Betrieb genommen: Der 900 Meter lange Shuttle-Zug verbindet die künstlich errichtete „Isola del Tronchetto“, auf der sich Dienstleistungs- und Bürozentren sowie Parkhäuser befinden, mit dem „Piazzale Roma“ in Venedig. Stündlich können 3.000 Personen pro Richtung diese Verbindung verwenden.

Pläne für ein weiteres, sehr utopisch klingendes Verkehrsprojekt liegen schon auf den Tischen der Stadtverwaltung: In Venedig soll eine U-Bahn gebaut werden. Mehrere Modelle werden derzeit begutachtet. Der U-Bahn-Tunnel soll unter der Lagune verlaufen und die Touristen vom Flughafen direkt in die Altstadt führen. Umweltschützer sind alarmiert. Sie befürchten, dass ein U-Bahn-Bau das ohnehin empfindliche Ökosystem der Lagunenstadt vollkommen ins Wanken bringen könnte.

Von der „Serenissima“ zum „Disneyland“

Seit 1889 bereits ist der Fremdenverkehr größter und wichtigster Wirtschaftszweig in der Stadt der 177 Kanäle und 354 Brücken. Die Fremden seien gleichermaßen Fluch und Segen, hieß es schon vor mehr als einem Jahrhundert. Die „Serenissma“ – die „Allerdurchlauchtigste“ - bleibt auch in Zukunft ein Besuchermagnet, sagen Tourismusexperten.

Sie prognostizieren, dass sich die Zahl der Touristen in den kommenden 20 Jahren verdoppeln und auf jährlich 40 Millionen ansteigen wird. Für die 60.000 Venezianer eine Horrorvorstellung. Viele fühlen sich jetzt schon wie Statisten in einem „Disneyland“, denn nur die Hoteliers, Souvenirverkäufer und Gondolieri profitieren vom Besucherandrang in der Lagunenstadt. Wollte man die Touristenflut eindämmen, würden der Stadt enorme Einkünfte entgehen: Der Besucherandrang bringt Venedig jedes Jahr rund 1,5 Milliarden Euro Umsatz und füllt auch die leeren Kassen in Rom.

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