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Sarrazin: Intelligenz wird vererbt

Thilo Sarrazin ist Provokateur aus Leidenschaft. Bereits seit Jahren fordert der 65-jährige Notenbanker mit radikalen Aussagen und Vorwürfen heraus: Lange waren es Arbeitslose, mittlerweile sind es vor allem die muslimischen Zuwanderer, die Sarrazin als Gefahr für Deutschland sieht.

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Sarrazin selbst sieht sich als Rufer in der Wüste, der unangenehme Wahrheiten verkündet - auch und gerade, weil sie ungern gehört werden. Den daraus folgenden Widerstand nimmt der SPD-Mann quasi im Stile eines Leidensmanns zum Wohle der Zukunft Deutschlands auf sich. Mindestens ebensoviel Berechtigung hat freilich eine andere Sichtweise: Sarrazin befeuerte die Debatte mit zahllosen Interviews, in denen er wohldosiert immer noch eins draufsetzte, und katapultierte damit sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ noch vor dem Erscheinen auf den Bestsellerplatz.

Kritiker orten „Rassenwahn“

Die Vorwürfe gegen Sarrazin nehmen seit Tagen an Schärfe zu. Seiner These von einer „Überfremdung“ Deutschlands durch integrationsunwillige Einwanderer aus islamisch geprägten Ländern wie der Türkei und arabischen Staaten konnten zunächst noch Politiker wie der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) oder Peter Gauweiler (CSU) folgen.

Die Empörung steigerte sich, als Sarrazin in Interviews Juden und Basken eigene Gene zuordnete. Der Zentralrat der Juden in Deutschland lehnte eine Definition von Juden über ihr Erbgut ab und sprach von „Rassenwahn“.

Sarrazin genießt

Wie schon in seiner Zeit als provokationsfreudiger Berliner SPD-Finanzsenator beharrt Sarrazin bisher auf seiner Meinung und scheint den Aufruhr zu genießen. Er wolle das „große gesellschaftliche Bedürfnis nach ungeschminkter Wahrheit“ befriedigen, schreibt er.

„Frankfurter Allgemeine Zeitung“-Herausgeber Frank Schirrmacher attestiert Sarrazin zwar, sicher kein Rassist zu sein. Mit den Hinweisen auf eine „katastrophale Einwanderungs-, Familien- und Integrationspolitik“ und deren Auswirkungen liege er richtig.

„Fataler Irrweg“

Gleichzeitig verweist Schirrmacher aber in der „F.A.Z.“ auf einen fatalen Irrweg, den Sarrazin mit seinen Buch einschlage. Sarrazins Thesen zur Vererbung von Intelligenz seien höchst strittig, die Fragen wissenschaftlich ungeklärt. Er vermische Erbbiologie und Kultur und erneuere eine große Einwanderungs- und Intelligenzdebatte aus den USA vor 100 Jahren, so Schirrmacher. Inzwischen habe sich aber gezeigt, dass Bildung und die Förderung von Begabung und Talent auch schwierige Einwanderungsgruppen wie etwa die „muslimischen Milieus aufwecken könnte“.

Sarrazin schreibt, Intelligenz sei laut Untersuchungen zwischen 40 und 80 Prozent vererbbar. Weil die im Durchschnitt weniger intelligente Unterschicht mehr Kinder bekomme, werde das Volk auf Dauer immer dümmer. Zudem befürchtet er das Ende der deutschen Kultur. Türkisch- oder arabischstämmige Familien hätten mehr Nachwuchs.

In drei Generationen, also bis Ende des Jahrhunderts, drohe eine Mehrheit in der Bevölkerung, die der deutschen Kultur fernstehe. Sarrazin will dagegen die „westlichen Werte und die jeweilige kulturelle Eigenart der Völker“ bewahren.

Aus Sherpa-Dasein befreit

Das Image des selbstlosen Verkünders unangenehmer Wahrheiten pflegt Sarrazin gekonnt und mit Hingabe. Immerhin versucht der Notenbanker in seinem Buch erst gar nicht, das Motiv dafür zu verschweigen: In seinen 39 Berufsjahren als Beamter und Politiker habe er seinen Chefs den Rücken freihalten müssen - war quasi ihr Sherpa. „Oftmals konnten subjektiv empfundene Wahrheiten nur dosiert vorgetragen werden“, gesteht er sein jahrelanges Leiden. So viel immerhin ist gewiss: Dieses Handicap hat Sarrazin nun endgültig überwunden.

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