Körperverständnis im Wandel der Zeit
Der Akt, der unbekleidete menschliche Körper, ist seit Erfindung der Fotografie ein zentrales Thema und Motiv in diesem Medium. Die Ausstellung „Nude Visions“, die ab Sonntag im Leipziger Museum der bildenden Künste zu sehen ist, visualisiert die lange Historie der Aktfotografie.
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Münchner Stadtmuseum/Sammlung Fotografie
Wilhelm von Gloeden: Jüngling in Landschaft bei Taormina (1890)
Die über 200 Fotografien sowie die zahlreichen Mappenwerke, Zeitschriften und Bücher aus der Münchner Sammlung sind zusammen mit 80 zeitgenössischen Arbeiten aus der Sammlung von Thomas Olbricht zu sehen. Die Auswahl der Arbeiten wurde gemeinsam mit Wolfgang Schoppmann, Kurator der Olbricht Collection, getroffen.
Facettenreich präsentiert die große Ausstellung das Körperbild, die sich in den 150 Jahren veränderten Darstellungsformen sowie das gewandelte Körper- und Geschlechterverständnis. Daguerreotypien, die seit den 1840er Jahren in Paris entstanden, bilden den Anfang der Aktfotografie. Es sind kostbare Unikate, die den privaten, männlichen Blick auf einen weiblichen Körper erlauben.
Vom Studio in die freie Natur
Die fotografischen "Akademien“, die, meist auf einem Abzug ein Modell von unterschiedlichen Seiten in verschiedenen Positionen wiedergaben, waren für viele Künstler ab der Mitte des 19. Jahrhunderts eine preiswerte Studienvorlage. Während in den ersten Jahrzehnten Aktfotografien im Atelier entstanden, versuchten Fotografen ab 1880, vermehrt Akte im Freien und in einer exotischen Umgebung zu inszenieren.
In der Lebensreform-Bewegung seit Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Freikörperkultur eine besondere Stellung ein. Aktfotografien, die den Körper in seiner Natürlichkeit feierten, stellten für die Naturisten eine wichtige Verbreitung ihrer Ideale dar.

G. Ray Hawkins Gallery, Beverly Hills
Paul Outerbridge Jr.: Nude with frame (1938)
Nackte Körper als künstlerisches Sujet
Um 1900 wollten sich die Vertreter des internationalen Piktorialismus von der Massenproduktion akademischer Studienvorlagen absetzen und erfanden den Akt als künstlerisches Sujet neu. Mit aufwendigen Edeldruckverfahren wurde die Bildwirkung der Motive verändert. Das konkret Physische wurde dem Modell entzogen und der Körper in eine abstrakte Form überführt.
Bis in die 1930er Jahre hinein entstanden vergleichbare verklärte Bildentwürfe im Geiste des Piktorialismus, parallel zur realistischen Bildsprache der Neuen Sachlichkeit und des Neuen Sehens, die ganz neue Bildlösungen fanden. Mehrfachbelichtungen, Solarisationen und Collagen, extreme Bildausschnitte und Perspektiven gaben der Aktkunst nach dem Ersten Weltkrieg entscheidende Impulse.
Der entblößte Körper wurde verfremdet, entmaterialisiert, durchleuchtet, fragmentiert und auf seine prinzipielle Darstellbarkeit hin analysiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Entwicklungen der Avantgarde aus den Vorkriegsjahren von den Fotografen aufgegriffen und fortgeführt.
Revolution durch digitale Möglichkeiten
In den 1950er und 1960er Jahren entstanden Körperbilder von größerer Natürlichkeit und Klarheit in der Tradition der Straight Photography. In den 1970er Jahren entstanden zahlreiche Aktfotografien im Kontext von Body Art und Performance. Die Künstler erhoben die Unmittelbarkeit der eigenen körperlichen Erfahrung dabei oft zur politischen Frage.

APA/EPA/Peter Endig
Larry Clark: Teenage Lust (1981)
Die digitale Fotografie eröffnete neue Dimensionen. Mit den Möglichkeiten der Manipulierbarkeit veränderten sich die Körperbilder. Und privat und öffentlich werden im Internet und Fernsehen neu ausgelotet. Aktfotografie wird oftmals mit dem Bild des weiblichen Aktes gleichgesetzt, dabei gibt es eine eigene Bildtradition des männlichen Aktes.

Herbert List-Nachlass, Hamburg und Münchner Stadtmuseum
Herbert List: Junger Araber mit Steppenkerzen (1935)
Männliche Modelle
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden fotografische Männerakte als Vorlagenstudien für die künstlerische Ausbildung. Darüber hinaus gab es Aktaufnahmen von Anhängern des Bodybuildings. Piktorialisten inszenierten ihre männlichen Modelle hingegen im eklektizistischen Umfeld eines mit Kunstgegenständen dekorierten Interieurs oder als lyrische Motive mit Anklängen an mythologische Themen.
Um die Jahrhundertwende setzten die ersten emanzipatorischen Bestrebungen homosexueller Männer ein. Die Wandervogelbewegung bot ebenfalls gewisse Freiräume. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten kam die kurze Blütezeit des männlichen Aktes in Deutschland zum jähen Erliegen.
Ein weiterer Aspekt der Ausstellung ist die Fotografie der Glamourwelt: Revuetänzerinnen, die Marilyn-Monroe-Bilder von Bert Stern, die kurz vor ihrem Tod entstanden, aber auch Fotografien von Stripperinnen und Tänzerinnen in St. Pauli und von Prostituierten sind zu sehen.
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